Es gibt Prozesse, die sind einfach zäh. Da werden dutzende Zeugen vom Gericht vernommen oder besonders komplexe Sachverhalte von mehreren Gutachtern beurteilt. Manchmal ziehen sich Verhandlungstage auch, weil man einen Angeklagten hat, der so geizig ist mit seinen Worten, dass man bei jedem halbwegs sinnvollen Satz applaudieren möchte.

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Ganz anders jedoch das Verfahren gegen die mutmaßliche Hochstaplerin Silke P. vor dem Landgericht Konstanz. Das ist die Frau, die als vorgeblich erfolgreiche Geschäftsfrau – die sie nicht ist – von 2018 bis 2020 ganze 32 Mal in Luxushotels genächtigt haben soll, ohne zu zahlen. Schaden: Über 20.000 Euro.

Nur sie selbst glaubt an ihre eigene Lüge

Die Frau leidet, wie der psychologische Gutachter feststellte, an einer schweren paranoiden querulatorischen Persönlichkeitsstörung und glaubt offenbar selbst, dass sie eine erfolgreiche Person ist.

In der Verhandlung gegen die schick gekleidete Dame liegt eigentlich alles für ein Urteil auf dem Tisch: Zeugen sind vernommen, der Gutachter war da und Staatsanwaltschaft sowie Richterin Regina Weinacht haben ihre Fragen gestellt. Dennoch ist kein Ende in Sicht, auch nicht am fünften Verhandlungstag, der jüngst stattfand. „Geplant waren zwei“, sagte Staatsanwalt Simon Pschorr.

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Der Grund für die Verzögerungen: Silke P. stellte einen Beweisantrag – oder das, was sie dafür hielt – nach dem anderen. Jeden dieser Anträge begründet sie bis ins Detail – von den sechs Stunden, die der fünfte Verhandlungstag andauerte, sprach sie mehr als fünf. Unter anderem forderte sie, dass die Richterin ausgewechselt werden und sie einen neuen Pflichtverteidiger bekommen soll.

Staatsanwalt: „Es reicht!“

Den Staatsanwalt bezichtigte sie als nicht fähig, ihr einen fairen Prozess machen zu können. Die Kompetenz des psychologischen Gutachters stellte sie in Frage: „Haben Sie jemals einen Abschluss gemacht?“, giftete sie ihn an.

Nach dem 41. Antrag forderte ein sichtlich genervter Staatsanwalt Pschorr: „Ich beantrage förmlich, der Angeklagten das Wort zu entziehen. Es reicht!“ Und Richterin Regina Weinacht, ebenfalls sichtlich genervt, sagte: „Wir sind jetzt beim 41. Antrag, alle wurden abgelehnt. Es scheint, dass Sie nicht in der Lage sind, diese zu stellen, oder nicht wollen und das Beweisantragsrecht missbrauchen.“

Gute Gründe für zähe Verhandlung?

In der ersten und einzigen Pause platzte einem Zuschauer der Kragen: „Warum lässt die Richterin sie gewähren? Die Frau führt das Gericht doch vor! Da hört mein Glaube an die Justiz auf!“, ärgerte sich der Mann, der sich als Angehöriger einer Prozessbeteiligten vorstellte – und erzählt, dass er den gemeinsamen Urlaub wegen Silke P. verschieben musste.

Symbolfoto.
Symbolfoto. | Bild: Sven Frommhold

Die Frage ist berechtigt: Warum darf Silke P. ihre zahlreichen Anträge, die sich häufig wiederholen und offenbar kaum etwas zur Urteilsfindung beitragen, stellen? Jeder zusätzliche Tag vor Gericht kostet die Staatskasse nicht nur mehrere tausend Euro, sondern führt auch dazu, dass andere Verfahren warten müssen.

Interessanter juristischer Hintergrund

Das hat einen interessanten juristischen Hintergrund: Zunächst ist es das Recht jedes Angeklagten, Beweisanträge zu stellen. In der deutschen Justiz wird dieses Recht als besonders hohes Gut betrachtet. Gerne werden Vergleiche zur Zeit zwischen 1933 bis 1945 gezogen, als Menschen vor Gericht meist vollkommen der Willkür von parteiischen Richtern ausgesetzt waren. Inzwischen ist man weiter. „Heute ist alles sehr Angeklagten-freundlich, jeder hat das Recht auf einen Prozess auf Augenhöhe“, erklärte Simon Pschorr dem aufgebrachten Zuschauer.

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Es müssen schon ganz besondere Voraussetzungen erfüllt sein, damit man einem Angeklagten sein Recht, Beweise zu beantragen, entziehen kann. Nämlich dann, wenn er die nur stellt, um das Verfahren zu verschleppen.

Und hier kommt die Persönlichkeitsstörung, die Silke P. laut Gutachter sehr wahrscheinlich hat, ins Spiel. „Sie nimmt die Anträge ernst und glaubt wirklich, dass sie wichtig sind“, sagte ihr Anwalt Urs Gunther Heck. Er erklärte dem Mann, der seinen Urlaub verschieben musste, in der Pause: „Wenn unter all den Anträgen, die gestellt werden, doch einer dabei ist, der angenommen werden könnte – und die Richterin lehnt ihn ab, dann ist das ein Grund für eine Revision. Nach dem Motto: ‚Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn.‘“

Rücksicht auf psychische Störung der Angeklagten

Hätte die Angeklagte nicht die Diagnose paranoide querulatorische Persönlichkeitsstörung, für die ein solch beharrliches Verhalten, wie Silke P. es bei der Stellung ihrer Anträge zeigt, typisch ist, wäre ihr wahrscheinlich längst das Wort entzogen worden.

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Immerhin, ein relativ neues Rechtsmittel hat Richterin Weinacht am Ende des fünften Prozesstages dann doch verwendet: Sie stellte Silke P. ein Ultimatum, bis zu dem sie alle Anträge für die kommende Verhandlung vorgelegt haben muss. Diese Fristsetzungsbefugnis wurde in der deutschen Strafprozessordnung vor rund drei Jahren in Folge der NSU-Prozesse ergänzt. Das Verfahren gegen das rechte Terrornetzwerk zog sich über Jahre hinweg hin, unter anderem, weil die Anwälte der Angeklagten stets neue Beweisanträge vorbrachten.

Der nächste Verhandlungstag soll Mitte Juni stattfinden. Der Zuschauer, dem in der Pause der Kragen platzte, dürfte nicht der einzige sein, der hofft, dass es diesmal wirklich der letzte Verhandlungstag ist. Er frotzelte: „Wir haben den Urlaub auf September gelegt, hoffentlich war das nicht zu optimistisch.“