Fensterputzen mit Wasser aus dem Feuerwehrschlauch? Das kennt nicht jeder Hausmann und wird wohl in den wenigsten Wohnungen nötig sein. Zwei Männer, die aktuell am Münsterturm für Ordnung sorgen, greifen aber zeitweise auf ungewöhnliche Mittel zurück. Zu ihrem Arbeitsplatz in 78 Metern Höhe fahren sie jeden Tag in einem klapprigen Außenaufzug. Für manch zartbesaitete Menschen wäre dieser Ausflug an der frischen Luft schon zu viel des Abenteuers.
Für Pascal Harlaut und Moritz Stöckle sind frische Luft und ein bisschen Risiko bei der Arbeit Alltag. Sie sind Industriekletterer und haben aktuell den Auftrag, den oberen Teil des Münsterturms auf Schäden zu untersuchen. Es geht darum, mögliche Schäden und Abnutzungserscheinungen zu kartografieren und an die Münsterbauhütte weiterzugeben, wie Moritz Stöckle, Chef der Firma MS Industriekletterer, erläutert.
Die Münsterbauhütte wiederum ist Vermögen und Bau Baden-Württemberg zugeordnet, einer Behörde, die zuständig ist für den Erhalt und die Pflege von Kirchenbauten oder auch Universitäten. Dort wird entschieden, ob das Gemäuer bereits sanierungsbedürftig ist. Eine solche Kontrolle des Gesteinszustands wird etwa alle drei Jahre vorgenommen, schreibt Norbert Müller von der Münsterbauhütte auf SÜDKURIER-Anfrage.

Das Metallseil ist mit einem Karabinerhaken um eine Metallstrebe an der obersten Plattform des Münsterturms befestigt und der Kletterer somit gesichert. Pascal Harlaut seilt sich langsam, mit vorsichtigen Schritten, rückwärts an der Turmwand ab. Die Sonne scheint und an diesem Mittag ist der Frühling schon zu ahnen, während am Tag zuvor die Temperaturanzeige die neun Grad nicht erreichte. Pascal Harlaut klopft vorsichtig gegen den Stein, dann nochmal, wandert mit seinem Hammer zum nächsten.

Am Klopfton könne man erkennen, ob es sich um Schalen handle, Hohlräume im Stein, die durch Wassereinlass entstanden sind, erläutert Moritz Stöckle. An den Hohlräumen klingt das Klopfgeräusch dumpf und deutlich dunkler als am festen Gemäuer.
Welche Sicherungsmaßnahmen umgesetzt werden, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Zunächst werden Absperrmaßnahmen durchgeführt und dann wird mit weiteren Fachleuten für Statik, Restaurierung, Denkmalpflege etc. das weitere Vorgehen abgestimmt.
Darüber hinaus gebe es Fehlstellen im Gemäuer, an denen der Sandstein die Substanz abgeworfen habe. Und auch die Risse im Gestein sind am Turm sichtbar und werden sorgfältig in eine Karte eingetragen. Die Karte ist zuvor aus Fotografien hergestellt worden, die aus einem Drohnenflug herrühren.

„Man sieht hier natürlich schon Witterungsschäden, die aber oft noch kein akutes Handeln erfordern“, erläutert Moritz Stöckle. Eventuell müsse man in den nächsten fünf bis zehn Jahren an diesen Stellen eingreifen. Das bestätigt Norbert Müller von Vermögen und Bau: „Reparaturen in geringfügigem Umfang erledigen Restauratoren und Handwerker aufgrund vorheriger Absprachen“, schreibt er. Weitere, größere Sanierungs- und denkmalrelevanten Maßnahmen würden mit der Denkmalpflege abgestimmt.

Arbeit bei Wind und Wetter
Im Laufe der Woche haben sich Moritz Stöckle und Pascal Harlaut von der Turmspitze bis zur Plattform, an der das Oktogon aufsetzt, herunter gearbeitet, Stück für Stück, Millimeter für Millimeter. Angenehm und entspannt sei die Arbeit nicht immer, räumt Pascal Harlaut ein. Der Wind und die Kälte zerren nicht nur am Gestein, sondern laugen auch die Kletterer aus.
Acht bis zehn Stunden verbringen sie täglich an ihren ungewöhnlichen Arbeitsplatz, 78 Meter über dem Boden, das strenge körperlich und geistig schon enorm an, sagt auch Moritz Stöckle: im Winter im Kampf gegen die Kälte, im Sommer gegen Hitze und Insekten in großer Zahl. Man muss also aus besonderem Holz geschnitzt sein, um hier oben klarzukommen und auch noch Spaß zu haben.
„Ich hatte schon als Kind den Traum, an solch ungewöhnlichen Orten zu arbeiten“, sagt Stöckle. Seine Ausbildung habe er dann beim Rigging gemacht – dem Gerüstaufbau für die Aufhängung von Lasten – die Kletter- und Abseiltechnik kam mit einer Zusatzausbildung hinzu. Zu schätzen weiß er in diesen Höhen die Teamleistung: „Man muss sich auf den Kollegen zu 100 Prozent verlassen können. Und man merkt schnell, bei wem das geht und bei wem nicht“, sagt er. „Wer auf dem Boden eine große Klappe hat, ist dafür weniger geeignet.“ Angst vor der Höhe habe er nach so vielen Jahren Erfahrung nicht, ergänzt Stöckle noch, wohl aber Respekt. Dieser sei auch sinnvoll, um stets fokussiert zu bleiben. „Sonst macht man Fehler und bringt sich in Gefahr.“

Das Handy klingelt, Pascal Harlaut nimmt ab, immer noch am Seil hängend. Frau und Kinder rufen an, sie sind 78 Meter weiter unten, sie stehen auf dem Münsterplatz. Über die Videofunktion zeigt ihnen Harlaut, woran er arbeitet und welche Aussicht er von hier oben hat. In diesem Moment sind sie weit weg und können gleichzeitig an seiner Arbeit teilnehmen. Pascal Harlaut seilt sich noch ein Stück ab und hat wieder festen Steinboden unter sich. Zeit für eine Pause.