Der Tod von Tovia Ben-Chorin hinterlässt eine riesige Lücke in der liberal ausgerichteten Jüdischen Gemeinde Konstanz. „Er war ein Licht unter den Menschen. Ein fürchterlicher Verlust“, sagt die Vorsitzende Minia Joneck. „Ich heule seit gestern“, beschreibt die Sängerin Ruth Frenk ihre Stimmung. „Ich bin erschüttert“, erklärt Soziologieprofessor Erhard Roy Wiehn.
Er brachte die Menschen zum Lachen
Tovia Ben-Chorin hatte im Jahr 2015 die Gemeinde in St. Gallen als Rabbiner übernommen. Seither feierte er alle vierzehn Tage freitagabends mit der Jüdischen Gemeinde in Konstanz den Gottesdienst. „Er kam immer mit dem Zug und immer in Begleitung seiner Frau“, erzählt Minia Joneck. Wenn er abends keinen Zug mehr erreichte, übernachtete er manchmal bei Ruth Frenk oder fuhr mit dem Taxi zurück nach Hause. „Sein Aufwand war groß“, sagt Joneck anerkennend.
„Er hat mit uns auch die wesentlichen jüdischen Feste gefeiert, wie Pessach oder Rosch ha-Schana. Bis zu sechs Mal im Jahr kam er zu Vorträgen in den Wolkensteinsaal“, ergänzt sie. „Beim Friedensgebet anlässlich des Konzilsjubiläums war er der Einzige, der die Leute zum Lachen brachte. Alle anderen waren ernst. Ihm lag immer ein Witz auf der Zunge“, blickt die Vorsitzende zurück.

Eine Geschichte von einem Gemeindemitglied werde ihr immer in Erinnerung bleiben, sagt Minia Joneck. Der Mann wollte nicht auf dem jüdischen, sondern auf einem anderen Friedhof beerdigt werden: „Tovia hat das Ritual trotzdem abgehalten, obwohl das so nicht üblich war“, erzählt die Vorsitzende.
„Er hat unsere Gemeinde zusammengehalten“, sagt sie anerkennend. Tovia Ben-Chorin sei immer nett, freundlich und zugewandt gewesen. Viele lobende Worte fallen ihr ein: „Er hat alle Leute verzaubert und sich um jeden gekümmert. Er war die Seele von einem Menschen. Er hat sich für uns unheimlich eingesetzt.“
Ruth Frenk kannte den Rabbiner fasst 30 Jahre lang. „Er war ein ganz besonderer Mensch und ein fundierter Wissenschaftler“, erklärt sie. Er habe sehr viel am Dialog mit Moslems und Christen gearbeitet und immer das Gespräch mit ihnen gesucht. „Er war sehr erfolgreich, denn man konnte ihm nicht widerstehen“, berichtet sie. „Er hat behalten, was man ihm erzählt hat. Das finde ich ungewöhnlich“, sagt Frenk anerkennend.
Tovia Ben-Chorin liebte die Musik
„Er hat wunderbar gesungen, er hat besonders aufgedreht, wenn ich in der Nähe war“, erzählt sie. Er habe keine Noten lesen können und sei ohne musikalische Erziehung aufgewachsen. „Dafür kannte er hunderte Melodien. Er hatte alles im Kopf“, ergänzt sie. Da sie so beeindruckt war, gab sie ihm mit einem Gesangsunterricht den nötigen Feinschliff.
„Vor drei Wochen hatten wir einen Gottesdienst per Zoom. Da war er schon angeschlagen, aber mit seiner Stimme drehte er voll auf“, berichtet Ruth Frenk. „Er verbreitete eine wunderbare Stimmung in den Gottesdiensten. Seine Stimme war immer fröhlich und laut. Und sein weltmännischer Blick hat mich angesprochen“, erinnert sie sich. „Es hat viele Leute erstaunt, dass ein liberaler Rabbi so viele Kenntnisse hat“, ergänzt sie.

Für Erhard Roy Wiehn ist der Tod von Tovia Ben-Chorin „ein großer Verlust“. Er kannte ihn bereits aus seiner Züricher Zeit, als der Rabbiner einmal im Monat Gottesdienst mit der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen feierte, die 2016 aufgelöst wurde. „Er hat sich dort sehr engagiert: Einmal im Monat hat ausgereicht, um ihn bekannt und beliebt zu machen“, erzählt der Uni-Professor. „Es ist nicht abzusehen, wie er ersetzt werden kann als Person“, fügt Roy Wiehn an.
„Seine Gottesdienste hatten ihre persönliche Note. Er war über die jüdischen Kreise hinaus bekannt als guter Redner. Er war auch im Alter ein lebenslustiger Mensch. Er war ein humorvoller Mensch. Er hatte immer offene Ohren für anstehende Probleme. Das hat ihn so einmalig gemacht“, betont Roy Wiehn. „Er war ein guter Seelsorger, wie die Christen sagen würden“, erklärt er.