Herr Pantisano, Sie erzählen ganz offen, dass Sie Personenschutz in Anspruch nehmen müssen. Warum tun Sie sich Politik überhaupt an?
Ich liebe Politik. Es gibt nichts Schöneres als am Marktstand zu stehen und sich mit Menschen über gesellschaftliche Themen zu unterhalten. Da bekommt man auch mal Negatives ab. Ich habe als Jugendlicher in meiner Heimatstadt Waiblingen gespürt, dass mir das liegt. Ich habe mich viel für die Umwelt eingesetzt, ich bin mit 15 Jahren mal auf der Rems gesegelt und habe für eine andere Mobilität eingesetzt. Schon damals war das Thema wichtig für mich. Danach hat sich etwas bewegt in der Stadt, die Menschen haben auf mich reagiert und ich habe gemerkt: Man kann Gesellschaft mitformen, wenn man sich einsetzt. Daher mache ich das sehr gerne. Ich selbst habe als Mensch viel Diskriminierung erfahren und ich will es nicht zulassen, dass Menschen aufgrund von äußeren Merkmalen oder Sexualität oder Glaube diskriminiert werden. Ich setze mich schon lange gegen Rassismus und Gewalt ein und betreue Projekte in verschiedenen Landkreisen. Aufgrund dieser Arbeit bekomme ich Drohungen, die mich aber nicht stoppen können.

Hat Konstanz ein Problem mit Diskriminierung und Rassismus?
Das gibt es in Konstanz auch, das gibt es leider überall. Ich hatte auch in Konstanz Drohungen im Briefkasten. ‚Geh zurück nach Italien‘ oder ‚Dich müsste man im Bodensee versenken‘, ‚Pass auf, dass Du nicht in unser Messer läufst‘, stand da auf Zetteln. Und mir haben Konstanzer geschrieben, die 2020 antisemitische Briefe im Briefkasten hatten. Ich muss aber auch sagen: In meinem gesamten Wahlkampf hat es keine Rolle gespielt, dass ich einen italienischen Namen trage. Das wird einfach selbstverständlich angenommen in Konstanz. Mohamed Badawi hatte die meisten Stimmen bei der Kommunalwahl, Nese Erikli wurde in den Landtag gewählt. Das zeigt, dass die Herkunft für die überwältigende Mehrheit keine Rolle spielt. Trotzdem müssen wir uns um diese kleinen, rechten Gruppen kümmern, die eine große Wirkung entfalten können. Faktisch reicht eine Person – das haben Anschläge wie in Halle gezeigt.
Dann bleiben wir doch mal bei Ihrem Italienischen Namen. Wann kommt bei Ihnen das italienische Temperament heraus?
(lacht) Beim Fußball. Ganz klar. Ich war auch froh, dass die Europameisterschaft verschoben wurde. Dann kann ich die mir nächstes Jahr ganz in Ruhe anschauen. Ich bin großer Fan des AC Mailand.
Sind Sie als Politiker eher Deutscher?
Ich bin zu 100 Prozent Deutscher. Ein Teil von mir ist geprägt von meiner Familie. Meine Mama hat mir die Fußball- und Sportbegeisterung mitgegeben. Noch heute schaut sie sich nachts um drei Uhr Boxkämpfe an. Damit hat sie uns alle infiziert. Die Erkenntnis und das Gefühl, Deutscher zu sein, kam als Zwölfjähriger auf einer Heimfahrt am Ende der Sommerferien von Italien nach Deutschland. Die Landschaft wurde immer grüner, je nördlicher wir kamen. Mit dem Überschreiten der Grenze habe ich gefühlt: Deutschland ist mein Zuhause, Deutschland ist mein Land. Hier fühle ich mich daheim. Ich war Botschafter für die Landesregierung bei der Einbürgerung. Noch heute bin ich ein großer Verfechter, dass junge Menschen, die hier geboren sind und hier aufwachsen, einen deutschen Pass erhalten.
Wie italienisch ist Konstanz? Auf dem Apennin kennt jeder Lago di Costanza…
Durch das Wasser, den See und die vielen Italiener hier, hat Konstanz ein italienisches Flair. Ganz viele Italiener kamen zu mir und haben ihren Stolz ausgedrückt, dass ein Mann mit italienischem Namen hier kandidiert. Viele ältere Konstanzer Italiener kamen fast schon mit Tränen in den Augen zu mir und sagten, wie gerührt sie seien, dass so etwas möglich ist.
Wie beurteilen Sie den Wahlkampf?
Für mich übertrifft er die persönlichen Erwartungen. Wir saßen vorgestern zusammen und haben geschaut: Wann hatte ich den ersten Mailaustausch mit meinem Wahlkampfleiter Daniel Schröder? Das war am 15. Oktober 2019. Inhaltlich habe ich mich dann auf den Weg gemacht und wir hätten uns niemals vorstellen können, dass wir ein Jahr später an diesem Punkt sind. So viele Konstanzer unterstützen mich. Das freut mich wahnsinnig.
Haben Sie sich einen OB-Wahlkampf grundsätzlich so vorgestellt?
Ja, ich habe es so erwartet, weil ich in der Vergangenheit bereits Kampagnen begleitet habe. Zum Beispiel die meines guten Freundes Hannes Rockenbauch der bereits 2012 in Stuttgart OB-Kandidat war und in diesem Jahr erneut antritt. Ich wusste, dass mich so eine Kandidatur als Person sehr fordern, aber auch persönlich sehr weiterbringen würde. Ich will mich als politischer Mensch in einer neuen Rolle kennenlernen und inhaltlich weiterkommen. Wenn man sich auf den Weg macht, überlegt man sich natürlich verschiedene Szenarien: Das jetzige Szenario ist für eine Kampagne natürlich der absolute Glücksfall. Viele Menschen berichten mir heute, dass sie sich nie für Politik interessierten, jetzt aber mitfiebern und voll dabei sind. Mir hat jemand geschrieben, dass er sich jetzt entschieden hat, bei der nächsten Kommunalwahl zu kandidieren. Das ist schon super.
Sollten Sie gewählt werden, könnte das Signalwirkung für Baden-Württemberg oder gar die ganze Republik haben – der erste OB der Linken in Westdeutschland.
Das ist mir zu viel Verantwortung. Ich bin nur Kandidat für eine OB-Wahl. Wenn jetzt woanders eine OB-Wahl ansteht und wir werden gefragt, wieso wir in Konstanz so erfolgreich waren, würde ich sagen: Wenn es ein Signal gibt, dann dass man nur mit ganz klaren Positionen punkten kann. Niemals den Versuch starten, allen gerecht werden zu wollen. Meine klare Haltung hat dazu geführt, dass sich Menschen einbringen und in der Kampagne engagieren. Das zweite Besondere ist, dass es ein Bündnis im Gemeinderat über die Lager hinweg gibt, das mich unterstützt. Zusammen mit Bewegungen und Initiativen, die auf der Straße stehen: Fridays for Future, Seebrücke, Black Lives Matter, andere Klimainitiativen. Also parlamentarische und außerparlamentarische Gruppierungen, die alle gemeinsam an meinem Programm gearbeitet haben. Das ist eine große Verantwortung, die ich spüre. Da ist viel Energie entstanden.
Klare Kante, klare Meinung. Haben Sie Ihre Haltung beim Thema Hafner nach den Diskussionen zuletzt etwas weniger klar formuliert?
Nein, habe ich nicht. Zu behaupten, dass ich den Hafner stoppen möchte, erweckte einfach einen falschen Eindruck. Das stimmt schlicht nicht. Ich habe nie gesagt und habe auch nicht vor, den Hafner zu verhindern. Sondern mir geht es von Anfang an darum, den Hafner klimaneutral zu bauen. Das ist die Bedingung, damit wir die Klimaziele erreichen können. Wenn wir das bis 2030 wollen, dann muss ich mir auch über das Bauen Gedanken machen. Das bedeutet für den Hafner als Konsequenz die Klimaneutralität im Bau. Das ist allen meinen Bündnispartnern klar. Meine Position ist klar und die verstehen viele.
Wie realistisch ist denn klimaneutrales Bauen, wenn der Hafner bis 2030 fertig sein soll?
Ich weiß nicht, ob der Hafner bis 2030 fertig sein kann, weil es einfach die ganzen Bauabläufe gibt: Baupläne, Planungsverfahren – außerdem gehören uns ja nicht mal alle Grundstücke. Da geht noch viel Wasser den Seerhein entlang, bis dort ein Bagger steht. Ich würde mir wünschen, dass es schneller geht. Klimaneutral kann man aber heute schon bauen. Es entstehen schon viele Gebäude, die klimaneutral sind. Auch große Baugruppen und Projekte. Die Wissenschaft und auch die Unternehmen entwickeln sehr viel, man kann heute beispielsweise schon Recycling-Beton einsetzen. Wenn wir den Zeitpunkt des Baubeginns des Hafners erreichen, können wir klimaneutral bauen. Auch in dieser Größenordnung.
Es wird aber auch teurer...
Auch das müssen wir alle gemeinsam lösen. Wir haben von der Landes- und Bundespolitik Vorgaben bekommen. Daher müssen sie sich auch beteiligen und Gelder zur Verfügung stellen. Zum Beispiel wenn wir ein klimaneutrales Quartier bauen, mit dem wir europaweit beispielhaft sind. Mit dem Green Deal der EU wird eine Art Marshall-Plan aufgesetzt: Es werden Millionen Euro zur Verfügung gestellt für die Bereiche Wohnen, Mobilität oder Ernährung. Diese Gelder gehen auch direkt in die Kommunen, um die sozialen Folgen aufzufangen. Die Wobak und Baugenossenschaften können diese Gelder erhalten, um damit entsprechend zu bauen. Und im Laufe der Jahre wird die Technik besser – und damit auch die Preisentwicklung. Da müssen wir Vertrauen haben. Als die Solarzellen auf den Markt kamen, hatten alle Angst vor den Preisen. Heute ist das kein Thema mehr. Klimaneutrales Bauen ist auf jeden Fall langlebiger, weshalb sich die Investition wieder relativiert. Hohe Investition spart uns auf lange Frist Geld.
Beobachten Sie eine Spaltung der Gesellschaft anhand der polarisierenden Themen?
Nein. Unsere Demokratie ist eine wunderbare Sache. Gerade bei Wahlen, wo denn, wenn nicht bei Wahlen, sollen wir die unterschiedlichen Positionen darstellen? Diese Wahl wird eine Klimawahl. Es wird sich entscheiden, wie ernst wir die Klimaziele nehmen. Die Bürger haben die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Wer auch immer OB wird am Sonntag: Die Verantwortung besteht darin, die unterschiedlichen Sorgen und Positionen zusammenzuführen. Wir müssen eine Einigkeit und zu einer Zusammenarbeit finden. Ich muss zugeben, zu mir kamen schon Wähler von Herrn Burchardt und äußerten großen Respekt vor meiner Klarheit. Und diese Menschen sagten auch: Sollte ich gewählt werden, wären sie dabei bei der Veränderung. Sie wählen mich nicht, weil sie nicht wissen, ob das alles funktioniert, aber sie hoffen, dass es funktioniert. Das zeigt alles andere als eine Spaltung.
Warum ist Konstanz die schönste Stadt am See?
Zum einen, weil wir das großartige Glück haben, dass unsere Stadt im zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Man erkennt die Geschichte der Stadt, wenn man hindurch läuft. Das ist etwas Besonderes und etwas ganz Schönes. Jeder Konstanzer, erst Recht der OB, hat die Pflicht und die Verantwortung, diese tolle Stadt in der Historie zu erhalten und eben auch weiterzuführen.
Wo schlägt das Konstanzer Herz besonders laut?
Mein Herz in der zweiten Etage im Konzil. Ich habe meine Frau in der St. Georgs-Kirche auf der Reichenau geheiratet und wir haben im Konzil gefeiert. Das war einer dieser Tage, die man nie vergisst. Die Terrasse war offen, auf dem See fand eine historische Regatta statt. Alles war wie bestellt, einfach schön. Das Herz der Konstanzer schlägt an der Fasnacht ganz besonders laut und intensiv. Fasnacht ist eine ganz tolle und besondere Tradition, die erhalten bleiben muss. Ich will mir nicht anmaßen Experte zu sein, denn ich komme von außen. Aber ich schätze die Fasnacht sehr.
Apropos Fasnacht. Es gibt bekannte Konstanzer Narren, aber auch Vertreter der Wirtschaft, die sie vor allem in den Sozialen Medien vehement und persönlich angehen. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe vor vier Wochen meine persönlichen Zugänge zu meinen Kanälen in den Sozialen Medien gekappt. Ich lese das nicht und versuche, mich davon nicht beeinflussen zu lassen. Ich unterhalte mich lieber mit Konstanzer Bürgern und mit ihren Wünschen und Vorschlägen. Ich bekomme das natürlich trotzdem durch meine Wahlkampfunterstützer mit. Das ist ein Grund, warum sich immer weniger Menschen kommunalpolitisch engagieren. Wir diskutieren, warum Bürgermeister immer öfter aufhören. Die Antwort: Sie wollen das nicht mehr ertragen und sie werden bedroht. Wenn bekannte Persönlichkeiten aus der Mitte der Gesellschaft anfangen zu solchen Mitteln zu greifen, dann frage ich mich: Wird es jetzt gefährlich für mich? Zu was kann das führen bei denjenigen, die nicht nur reden, sondern vielleicht handgreiflich werden? Ein bekannter Konstanzer hat eine Mail herumgeschickt, in der stand: Ich habe Angst vor Luigi Pantisano. Was erzeugt das in dem Kopf von jemandem, der nicht ganz so stabil ist und der mich in der Stadt sieht? Hat der dann Angst vor mir und wie reagiert er auf mich? Ich habe andere Ideen und Vorstellungen, ich bringe mich ein gesellschaftlich – vor mir braucht keiner Angst zu haben. Wer solche Mails verteilt und wer solche Kommentare in den sozialen Netzwerken verbreitet, sollte sich mal überlegen, welche Verantwortung er selbst für die Stadtgesellschaft und für unser demokratisches Miteinander hat.
Ihnen wird gerne vorgeworfen, dass Sie nicht von Anfang an Ihre Mitgliedschaft bei den Linken offen kommuniziert hätten.
Aber das stimmt doch nicht. Das steht überall. Von Anfang an steht das in der Zeitung. Ich habe das immer klar gemacht, auch in meinen Pressemitteilungen oder auf meiner Website. Es wurde schlicht konstruiert, dass ich ein Geheimnis daraus machen wolle. Aber ich muss auch sagen: Für mich geht meine eigene politische Arbeit vor. Ich engagiere mich in einer Wählervereinigung in Stuttgart, die sich ‚Stuttgart Ökologisch Sozial‘ nennt. 2019 habe ich bei der Kommunalwahl in Stuttgart in Konkurrenz zur Linken kandidiert, obwohl ich für den Bundesvorsitzenden arbeite. Ich bin unabhängig in meiner eigenen politischen Arbeit.
Thema Verkehr. Leute haben Angst, dass man unter dem OB Pantisano grundsätzlich nicht mehr mit dem Auto in die Stadt fahren darf. Wäre dem denn so?
Wenn ich in Winterthur wohne und ich im Lago in Konstanz einkaufen möchte, dann kann ich nach meinem Modell nicht mehr mit dem Auto in die Innenstadt fahren. Der Einkaufsverkehr von außerhalb darf nicht mehr linksrheinisch in die Stadt fahren. Diese Autos müssen auf der Reichenaustraße parken. Die Innenstadt ist sehr kleinteilig geplant und nicht ausgelegt für die Menge an Verkehr, die heute reindrängt. Das privat genutzte Auto muss weniger werden. Aufgrund des Verkehrs kommen immer weniger Konstanzer in die Stadt. Mein Ziel ist es, dass ältere Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, oder Handwerker oder Menschen mit Behinderung, nach wie vor in die Stadt fahren dürfen.
Wie soll das funktionieren?
Da gibt es viele Wege. Wir müssen schauen, welches Vorgehen für Konstanz am besten ist. Ich bin kein Verkehrsplaner, aber wir haben tolle Experten in der Verwaltung. Denn das ist auch eine rechtliche Frage, die wir aber lösen werden. Beispiel Marktstätte – hier fuhren früher die Autos, heute ist das unvorstellbar. Heute ist das eine Fußgängerzone und dennoch gibt es Ausnahmen, also Autos, die hier fahren dürfen. Das ist in Stuttgart mit dem Diesel-Fahrverbot nicht anders. Rund 60 Prozent der Dieselfahrzeuge dürfen weiterhin hinein fahren: Busse, Lieferverkehr, Handwerker, Camper und so weiter. Das könnte zum Beispiel über Schranken, Poller oder Plaketten organisiert werden. In Stuttgart muss man vor der Einfuhr am Stadtrand ein Parkticket für das Parkhaus ziehen. Wenn das Parkhaus voll ist, dann eben über andere Verkehrsmittel. Anwohner haben eine Karte, die die Einfahrt ermöglicht-
Was bedeutet für Sie Glück?
Wenn ich mit meinen Kindern zusammen sein kann. Meine Familie kommt am Wochenende und damit endet die Zeit der Trennung. Wenn ich OB werde, zieht meine Familie nach Konstanz.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten. Welche wären das?
Ich wünsche mir natürlich, dass ich am Sonntagabend zum OB gewählt werde. Dann wünsche ich mir, dass die Konstanzer, die mich unterstützt haben, mich dann als OB begleiten. Wir brauchen die ganze Stadtgesellschaft. Und das dritte ist, dass der AC Mailand endlich mal wieder Meister wird und die Champions League gewinnt.