Gegen 21 Uhr dann endlich der Tagesordnungspunkt Klima. Viel stand für die Stadt auf dem Spiel am Donnerstagabend im Konstanzer Gemeinderat. Wie soll in Zukunft gebaut, Energie erzeugt, die Innenstadt gestaltet werden?
Energie – die fehlte nach nunmehr sechs Stunden pausenloser Debatte über Corona, Haushalt, jugendliche Trinker auch dem Gros der Stadträte. Doch womöglich war es gar nicht so wichtig, dass jeder einzelne Rat seine Meinung zum vom Heidelberger Ifeu-Institut berechneten Klimaszenario kund tat.
Viel wichtiger waren die Hände...
Viel wichtiger waren die Hände, die die Politiker im Bodenseeforum zur Abstimmung heben sollten. Und sie hoben die Hände. Alle, als es darum ging, sich zu einem Klimaziel zu bekennen. Geworden ist es das Jahr 2035, bis dahin will Konstanz weitgehend klimaneutral sein. Hans Hertle vom Ifeu-Institut berichtete, was das bedeutet. Es hängt vor allem an dem Wörtchen „weitgehend“, und das hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun.
Kein Grünwaschen in Konstanz
Das beschlossene Ziel heißt „Klima-Plus-Szenario“. Es sieht vor, dass bis 2035 die Treibhausgasemission – also die Ausstöße in die Atmosphäre – in Konstanz rapide abgesenkt werden. Aber nicht auf null. Das geht nämlich nur, wenn Konstanz Kompensationsmöglichkeiten außerhalb der Stadt anrechnen würde.
Zum Beispiel durch Maßnahmen am anderen Ende der Welt oder Ausgleichszahlungen. Das aber wollten die Stadträte, wie sie in einem Workshop im Januar klar gemacht hatten, nicht. Grünwaschen soll es mit dem Konstanzer Gemeinderat nicht geben.
Wann genau also wird Konstanz klimaneutral?
Auf den vielen Folien, die Hans Hertle im Gemeinderat zeigte, sieht das so aus: Die Kurve flacht bis 2035 fast vollständig ab. Die letzten Prozente jedoch ziehen sich in die weiteren Jahre hinein. Soviel vorweg: Was das konkret für die Bürgerschaft bedeutet, war noch kein Thema.
Die konkreten Maßnahmen für Konstanz will das Ifeu-Institut jetzt auf Basis des Entschlusses ausarbeiten und Mitte des Jahres vorstellen. Die Frage, die am Donnerstagabend im Fokus stand, war die: Ist die weitgehende Absenkung des Pfads bis 2035 ein großer Wurf – oder die Bequemlichkeitsvariante?
Darauf gibt es zwei Antworten. Einmal die aus Sicht der Fridays-for-Future-Bewegung, die die Klimadebatte in der Konzilstadt groß gemacht hat.
Die Aktivistin Frida Mühlhoff hielt in der Bürgerfragestunde eine kleine Rede: „Wir wissen, dass 2035 ein ambitioniertes Ziel ist. Doch es reicht nicht zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze.“
Risiken für unumkehrbare Folgen steigen
1,5 Grad, so stark darf sich aus Sicht der Klimaforschung die Erwärmung noch fortsetzen, bis sich die dauerhaften Klimafolgen häufen. Laut Weltklimarat IPCC steigen dann Risiken für bedrohte Ökosysteme und Extremwetterlagen. Die Stadt Konstanz hat sich auferlegt, das Ziel von deutlich unter zwei Grad zu verfolgen. Dafür müssen die Treibhausgasemissionen massiv gesenkt werden.
„Das, was man einer Kommune gerade noch zumuten kann“
Die zweite Antwort auf die Frage, wie ambitioniert das Klimaziel 2035 ist, gibt das Ifeu-Institut. Das renommierte Heidelberger Institut hat für Konstanz das Klimaziel berechnet. 2035 ist, so Hans Hertle, „das, was man einer Kommune gerade noch zumuten kann“.
Er kenne keine andere Stadt, die diesen Weg so radikal zu gehen bereit ist wie Konstanz. Andere Kommunen würden Schlupflöcher nutzen, um klimaneutral zu werden, beispielsweise Ausgleichszahlungen. Hertle will den Konstanzer Weg in die Welt hinaus bringen, nach Tübingen zum Beispiel.
Wunsch an OB: Gefahren betonen
Fridays for Future wünschten sich dabei vom Oberbürgermeister Uli Burchardt vor allem eines: Dass er die Gefahren, die drohen, wenn nicht gehandelt würde, in den Mittelpunkt der Kommunikation stellt. Und nicht nur, wie schwer es für die Stadt Konstanz und alle ihre Bürger werden wird, die ambitionierten Ziele einzuhalten.
Hans Hertle machte keinen Hehl daraus, dass sich Konstanz „weit aus dem Fenster gelehnt“ habe, im positiven Sinne. Dazu sagte FGL-Stadträtin Nina Röckelein: „Sie haben im Workshop gesagt, das ist das Ambitionierteste, was Sie noch vertreten können. Das ist eine harte Aussage, die viele schlucken lässt.“
Denn wenn man höre und realisiere, dass eine privilegierte Stadt wie Konstanz, die Vorreiter in Sachen Klimaschutz sein will, es nicht mehr schaffen könne – dann merke man erst, wie spät es sein muss. Sie habe die Hoffnung, dass der Vorschlag Realisten und Idealisten zusammenbringe.
Als ein Realist meldete sich Heinrich Fuchs
Als ein Realist meldete sich Heinrich Fuchs von der CDU zu Wort. Er erinnerte noch einmal daran, dass im vergangenen Jahr viele Stadträte das Jahr 2030 als Zieljahr beschließen wollten. „Dann hätten wir spätestens jetzt einsehen müssen, dass wir es nicht schaffen. Und was passiert, wenn die große Politik Sachen verspricht, die nicht klappen?“, fragte er in die Runde. „Das können wir jeden Tag in den Nachrichten sehen.“
Er nannte ein paar der großen Herausforderungen. Dass massiv Photovoltaik ausgebaut werden müsse. Dass es da möglicherweise zu einer Konkurrenz von Landwirtschaft und Flächen für Photovoltaik kommen werde. Dass man viel mehr Handwerker brauche, die ja ohnehin händeringend gesucht würden, und die Kosten im Hochbau massiv steigen würden.
Dass man Flächen brauche für die Photovoltaik und Bebauungspläne ändern müsse, man wisse ja, wie lange das immer dauere. Wie das denn alles gehen solle?
Und dann kam der Optimist
Darauf antwortete schließlich OB Uli Burchardt und zeigte, dass auch er ein Optimist in Sachen Klima sein kann: „Wir wissen ja nicht, wie‘s geht, aber ich verlasse mich da sehr auf Hans Hertl und Lorenz Heublein, die den Auftrag haben, uns zu sagen, wie es geht. Wenn wir jetzt sagen, wir beschließen erst, wenn der Weg in Stein gemeißelt ist, dann wird noch eine ganze Weile vergehen.“
Seine Wahrnehmung sei: Die große Mehrheit in Konstanz will jetzt ins Wasser springen. „Wissend, dass wir noch ein paar Rätsel auf dem Weg zu lösen haben werden.“