Die Debatte um die Asyl- und Migrationspolitik wird überall heiß geführt: Städte, Gemeinden und Landkreise melden, dass sie bei der Flüchtlingsversorgung am Limit sind. Bund und Länder streiten über das an die Kommunen zu zahlende Geld, die AfD freut sich und gewinnt Woche um Woche locker Prozentpunkte in Wahlumfragen dazu.
Wie steht es um die Versorgung und Integration der Flüchtlinge und Asylbewerber in Konstanz? Schafft die Stadt das oder waren die Zweifel, die der ehemalige Landrat Frank Hämmerle in den Jahren 2015/16 äußerte, berechtigt? Eine einfache Antwort sucht man vergeblich. Konstanz bietet Rahmenbedingungen, die die Versorgung von Flüchtlingen erschweren, wie auch solche, die sie erleichtern.
Die Konstanzer Grenzlage ist eine Besonderheit
In Konstanz kommen etliche Asylbewerber direkt über die deutsch-schweizerische Grenze an. Die Bundesrepublik reagiert darauf mit verstärkten Grenzkontrollen und erfüllt damit eine Erwartung aus weiten Bevölkerungskreisen. Dem örtlichen Handel allerdings ist wichtig, dass der Grenzübertritt einkaufender Schweizer nicht behindert oder erschwert wird. Die Grenzlage macht die Stadt also sensibel für das Thema Migration und gleichermaßen verwundbar.
Die schwierigste Konstanzer Besonderheit jedoch sind Wohnungsnot und hohe Mieten. Kein Flüchtling hat auf dem hiesigen privaten Wohnungsmarkt eine Chance, folglich ist die Stadtverwaltung noch stärker als anderswo in der Pflicht, die Menschen unterzubringen. Mit den Flüchtlingen konkurrieren andere Gruppen um den knappen günstigen Wohnraum: Alleinerziehende mit nur einem Einkommen, Geringverdiener, manche Rentner.
Akzeptanz wird auf eine harte Probe gestellt
Wie soll eine Supermarktverkäuferin verstehen, dass sie bei der Wohnungssuche gegen die vielen Gutverdiener bei der Wohnungsbesichtigung keine Chance hat, der 25-jährige Afghane aber automatisch eine Wohnung von der Stadt gestellt bekommt? Was sagt die Alleinerziehende, die seit Monaten auf einen Kita-Ganztagesplatz wartet, dazu, dass ein Flüchtlingskind nach kurzer Zeit im Kindergarten aufgenommen wird? Hier wird Akzeptanz auf eine harte Probe gestellt.
Vor dem Tafelladen bildet sich eine lange Schlange, die Kunden warten auf Einlass. Noch vor Jahren setzte sich die Gruppe zusammen aus Langzeitarbeitslosen, älteren, kranken Menschen, viele dem Personal der Tafel gut bekannt. Inzwischen sind es vor allem ukrainische Flüchtlinge, die die Dienste der Tafel in Anspruch nehmen. Manche frühere Klienten fühlen sich von ihnen verdrängt. Menschen, die sich abgehängt fühlen und miteinander um knappe Ressourcen wie Wohnraum und Kindergartenplätze konkurrieren. Vielen von ihnen ist Solidarität für geflüchtete Menschen schwer zu vermitteln.
Konstanzer Bürger suchen Lösungen statt Probleme
Doch es gibt begründeten Anlass zur Hoffnung, dass die erforderliche – enorme! – Integrationsleistung in Konstanz zu schaffen ist. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs standen Hunderte ehrenamtliche Flüchtlingshelfer parat, um Wohnraum zur Verfügung zu stellen oder zu übersetzen. Das war 2015/16 nicht anders. Konstanz verfügt über wohlhabende, gut ausgebildete Bürger, von einer liberal-weltoffenen Grundhaltung geprägt. Die Stadtverwaltung unterstützt diese Haltung und kümmert sich nach Möglichkeit um die Beschaffung von Wohnraum.
Die meisten Bürger hier suchen gerne nach Lösungen von Problemen, statt sie zu vergrößern. In den Schulen sitzen Syrer und Ukrainer zwischen deutschen Schülern und werden nicht ausgegrenzt, Narrenvereine erklären die Fasnacht schon mal auf Arabisch. Das hilft bei der Integration. Das alles trägt dazu bei, dass in Konstanz Flüchtlingsunterkünfte nicht beschmiert werden und die AfD kommunal (bislang) eine Randerscheinung blieb.
Privater Wohnraum ist weitgehend erschöpft
Was zu tun bleibt? Vorerst jede Menge. Es gibt eine Reihe von Problemen, die Konstanz (und alle anderen Kommunen) in den Griff bekommen müssen. Zum Beispiel die Bevorzugung der ukrainischen Geflüchteten in den Sozialsystemen, was dauerhaft zu Neiddebatten führen wird. Das aber ist ein bundesweites Thema. Zum Beispiel der frei verfügbare günstige Wohnraum, den es weiter geben muss, und zwar nicht nur für Geflüchtete. Entscheidend wird sein, wann die städtische Wohnbaugesellschaft Wobak ihre Bautätigkeit wieder aufnimmt, da privater Wohnraum weitgehend erschöpft ist.
Ebenso geht es um eine beschleunigte Arbeitsaufnahme der ukrainischen (aber auch aller anderer) Flüchtlinge. Laut Auskunft der Arbeitsagentur Konstanz-Ravensburg waren im Kreis Konstanz im April 2023 (neuere Zahlen gibt es nicht) 510 Ukrainer sozialversicherungspflichtig, zusätzlich 180 geringfügig beschäftigt – von knapp 2000 erwerbsfähigen Personen: diese Zahl ist sicher steigerbar und sollte steigen.
Kinderbetreuung ist ein Schlüssel zur Integration
Der Akzeptanz in der Bevölkerung kann eine umfassende Berufstätigkeit aller Flüchtlinge und Asylbewerber nur zuträglich sein. Behörden – auch die Jobcenter – sollten telefonisch erreichbar sein für Geflüchtete und ihre Helfer. Am raschen weiteren Ausbau der Kita-Plätze muss der Stadt unbedingt gelegen sein. Denn jedes fließend deutsch sprechende Kind wird deutlich weniger Bildungshilfe und pädagogische Ressourcen verbrauchen als eines, das nur die Muttersprache beherrscht.
Übrigens, es handelt sich um 3500 Menschen mit Flüchtlingsstatus, die in Konstanz leben, unter ihnen 1400 Ukrainer. Das sind 4,1 Prozent der etwa 86.000 Konstanzer Einwohner. Es ist keine geringe Anzahl, doch von Masse kann ebenso wenig die Rede sein. Eine wohlhabende, leistungsstarke Stadt mit klarem Wertekodex sollte dieser Integrationsaufgabe gewachsen sein. Es besteht wenig Grund, den Ressentiments und Verschwörungsformeln der AfD anheimzufallen.