Was genau am 20. Juni 2024 auf der Jahnstraße nahe dem Zähringerplatz geschah, sorgt im Konstanzer Amtsgericht schon vor dem Prozessbeginn für Spekulationen. Bei der ersten Verhandlung konnte nicht geklärt werden, ob die beiden 35 und 38 Jahre alten Angeklagten damals einen 32-jährigen Mann zusammengeschlagen haben. Unter anderem deshalb, weil einige Zeugen – darunter das mutmaßliche Opfer – nicht zur Verhandlung erschienen waren.

Am zweiten Tag vor Gericht sagen nun aber zwei Zeugen aus, die den körperlichen Übergriff beobachten konnten. Einer davon ist der mutmaßliche Geschädigte. Er sorgt für eine Überraschung.

Das soll passiert sein

Um den Vorfall aufzuklären, ist ein Kreuzlinger Immobilienmakler geladen. Dieser habe während der Tat in seinem Auto gesessen und beobachtet, wie sich ein Fahrradfahrer – das mutmaßliche Opfer – zunächst normal mit den Angeklagten unterhielt. Als später die Fäuste flogen, sei der Radfahrer zu Boden gegangen und die Angeklagten hätten auf ihn eingetreten. Der 49-jährige Zeuge sagt: „Das Opfer hat sich zwar gewehrt, aber ohne jede Chance – die gingen ja von beiden Seiten auf ihn los“.

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Während der Aussage ist immer wieder lautes Schnauben von der Anklagebank zu hören. Irgendwann interveniert Richterin Barbara Fischer-Muermans: „Ich warne Sie jetzt. Ich möchte nichts von Ihnen hören: Kein Gemurmel und auch keine Kommentare!“

Genervt kommentiert der 35-jährige Beschuldigte dann aber doch: „Der Typ soll das alles aus 20 Metern Entfernung ganz genau beobachtet haben?“ Dann ruft er lautstark in den Saal: „Ich habe damit nichts zu tun und mein Kumpel auch nicht!“ Als der nächste Zeuge eintritt, ist die Stimmung angespannt.

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Dabei handelt es sich um einen 67-jährigen Mann, der ebenfalls vor Ort gewesen sein soll. Seinen Aussagen zufolge war nur einer der Angeklagten aktiv an der Gewalt beteiligt, gleichzeitig seien aber massive Drohungen gegen das am Boden liegende mutmaßliche Opfer ausgesprochen worden. Der Zeuge schildert: „Das war so nach dem Motto, dass er sich hier nicht mehr blicken lassen soll.“

„Können Sie Ihren Mandanten bitte mal zurückpfeifen?“

Als der Zeuge angibt, dass es sich dabei auch um Todesdrohungen gehandelt haben soll, platzt dem 35-jährigen Angeklagten der Kragen: „Und wer soll das gewesen sein?“ Da wendet sich die Richterin an dessen Verteidiger und bittet: „Können Sie Ihren Mandanten bitte mal zurückpfeifen?“ Doch der Beschuldigte lässt nicht locker: „Ich habe das Recht, mich zu verteidigen!“ Auch der ältere Angeklagte mischt sich ein und meint: „Uns muss man nicht sagen, wie wir uns zu benehmen haben.“

Dass sich der 38-Jährige eigentlich mit den Gepflogenheiten im Gerichtssaal auskennen müsste, zeigt ein Blick in sein Zentralregister. In den 17 Einträgen lassen sich fünf einschlägige Vorstrafen, drei Freiheitsstrafen und ein Verfahren wegen Einschüchterung eines Opfers finden. Der 35-Jährige ist aufgrund eines Diebstahls vorbestraft.

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Das Opfer reagiert ungewöhnlich gereizt

Als das Opfer den Zeugenstand betritt, ist die Stimmung im Saal ebenso ruhig wie gespannt. Der 32-jährige Mann gibt an, dass er an diesem Tag mit seinem Fahrrad unterwegs gewesen sei und zum Tatzeitpunkt einen Unfall gehabt habe. Er beteuert: „Ich weiß nicht mehr viel, es ging alles sehr schnell.“ Als er wiederholt bestreitet, von einem körperlichen Angriff zu wissen, hakt die Richterin nach: „Erinnern Sie sich wirklich an nichts mehr – oder haben Sie Angst vor den Angeklagten?“

Noch bevor das Opfer antworten kann, ruft der 35-jährige Beschuldigte dazwischen: „Wieso sollte der denn Angst vor uns haben?“ Richterin Barbara Fischer-Muermans mahnt ihn zur Ruhe und richtet ihren Blick erneut auf das Opfer: „Mehrere Zeugen, die sich alle nicht kennen, haben ausgesagt, dass Sie an diesem Tag zusammengeschlagen worden sind.“

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Doch der Geschädigte bleibt bei seiner Darstellung und betont: „Ich wurde zu keiner Zeit von irgendjemandem bedroht und ich will hier auch niemanden einfach so ins Messer laufen lassen.“ Als die Richterin nachhakt, reagiert der Zeuge gereizt: „Bin ich hier jetzt der Angeklagte, oder was? Wollen Sie, dass ich lüge?“

Reichen die Indizien für eine Freiheitsstrafe?

In seinem Plädoyer zieht Staatsanwalt Sebastian Hub die Angaben des Opfers in Zweifel. Er schildert: „Die Verletzungen sprechen eindeutig gegen einen Fahrradunfall.“ Da er den anderen Zeugenaussagen mehr Gewicht beimisst, plädiert er auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten für den 38-Jährigen. Die neunmonatige Freiheitsstrafe des 35-Jährigen soll zur Bewährung ausgesetzt sein.

Daraufhin zeigt sich der Anwalt des 38-Jährigen geschockt: „Das Opfer hat kein Interesse an einer Strafverfolgung und Sie wollen ihn für zwei Jahre in den Knast stecken? Man muss ihm doch einen minimalen Tatbeitrag zuordnen können!“ Auch der Anwalt des jüngeren Angeklagten schließt sich an und macht darüber hinaus klar, dass die Verletzungen tatsächlich von einem Fahrradsturz stammen könnten.

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Mit Spannung erwarten die Prozessbeteiligten nach einer langen Unterbrechung die Entscheidung. Verurteilt wird der 38-Jährige zu einem Jahr Freiheitsentzug, der zur Bewährung ausgesetzt wird. Der 35-Jährige bekommt acht Monate Freiheitsstrafe, ebenso auf Bewährung.

Beide müssen den Diebeswert zurückzahlen und jeweils 250 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Gegen dieses Urteil haben beide Beschuldigte Berufung eingelegt, wie Amtsgerichtsdirektor Franz Klaiber schriftlich mitteilt.