Der Reiz liegt im Widerspruch: Beim Anblick der Fahrgäste des Torture Ships ist offensichtlich, dass sie etwas voneinander wollen. Dafür wird ein enormer Aufwand betrieben, wobei das Anziehen vermutlich das noch geringere Problem darstellt. Das Ausziehen muss eine Folter der ganz eigenen Art sein, denn so gut wie alle Passagiere kommen daher wie Wurst in Pelle. Kann es also sein, dass der Augenschein trügt? Ganz echt jedenfalls sind die Figuren nicht, weshalb sich in der zur Schau gestellten Begierde genauso gut das Gegenteil ausdrücken könnte: Hauptsache keiner kommt ran.
Das Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung ist dabei so ungewöhnlich nicht, denn Lust und Laster verkleiden sich gern auch in sanfter Variante. Wer will kann die Fasnacht als Spielart betrachten, ebenso wie der Beziehungsmarkt generell nicht ohne Camouflage auskommt. Was aber auffällt, sind die flächendeckende Überreizung und ein Versteckspiel, bei dem es mit einem Eins-Zwei-Drei-Ich-Komme nicht getan ist. Das Torture-Ship treibt‘s dabei nur auf die Spitze. Sei es nun der gepiercte Hüftspeck, die tätowierte Basilika-Landschaft auf einem muskulösen Rücken oder cineastisch beförderte Phantasien vom Kamasutra in der Besenkammer – das alles steht wirklicher Nähe im Wege.
Unterschied von Sex und Erotik
Sei‘s drum. Es gibt Schlimmeres als ein schlüpfriges Kopfkino und einen Körperkult, der Abziehbilder auf die nackte Haut ritzt oder Perlen in Nasen, Ohren und Zungen stanzt. Ein bisschen schade aber ist‘s schon, dass die Romantik unwillkürlich ins Perverse verrutscht. Das Spiel des Annäherns über Wochen, Monate, vielleicht Jahre, dass man sich chic macht fürs Rendezvous, die allmähliche Entdeckung der Erotik, das Glück intimer Scham bei der Erkundung der von Bildern unversehrten Körperlandschaft eines lieb gewonnenen Menschen, die die vollbusige Präsentation über die Reling nicht kennt – dergleichen geht mehr unter die Haut, als es ein Tattoo oder ein Überzug aus Latex je könnte.
Große Liebe zur Dampflokomotive
Klar, das lässt sich denunzieren. „Tschüss, Ihr Spießer“, tönt‘s beim Ablegen vom Torture Ship in Richtung der Zaungäste. Und es stimmt ja auch: Der sexuelle Fetisch war lang genug verpönt, wo er doch weit über Latex und Leder hinausreicht. Die Leute stehen auf Schürzen und Schuhe, und bei manchen Alltagsgarderoben lässt sich kaum unterscheiden, ob da jemand in Unterwäsche unterwegs ist oder ob es sich um den neuesten Schrei handelt. Und dabei geht‘s lediglich um Klamotten! Es gibt Zeitgenossen, die eine emotionale Beziehung zu Dingen aufbauen, die höchst komplexe Züge tragen. Oder wie lässt sich der jüngst im Spiegel-Magazin dargestellte Fall eines 41-jährigen Mannes verstehen, der seine langjährige Beziehung zu einer Hammondorgel zugunsten einer Dampflokomotive aufgab?
Die Wissenschaft hat es aufgegeben, eine klare Ursache für fetischistisches Verhalten zu definieren. Mag sein, dass von Ferne Siegmund Freud mit der Kastrationsangst winkt oder der Grund in der Vereinsamung der Moderne liegt. Zum Torture Ship und seinen Spielarten kann deshalb jeder und jede seine Meinung haben. Zum Abschluss vielleicht noch diese: Sebastian Brant schrieb vor gut 500 Jahren einen Abgesang aufs Mittelalter. Der Titel lautet „Das Narrenschiff“. Das passt.