Als Valentina Vidusici hochschwanger war, blickte sie bang auf den Kalender. Die Woche, in dem ihr Sohn zur Welt kommen sollte, wäre eigentlich eine Schließwoche des Konstanzer Kreißsaals gewesen. Denn aus akutem Mangel an Hebammen musste die Geburtshilfe im Klinikum Konstanz für eine Woche im Monat schließen – fast ein halbes Jahr lang.

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Doch die 30-Jährige, die selbst in Konstanz zur Welt kam, wollte ihr Kind unbedingt in ihrer Heimatstadt bekommen. „Ich hatte Angst, dass ich nach Singen fahren muss, aber zum Glück wurde Arian hier geboren“, sagt sie und deutet auf das Bett hinter ihr, in Kreißsaal 1 des Klinikums Konstanz.

Seitdem alle Hebammen hier freiberuflich arbeiten, musste nur noch eine Schwangere abgewiesen werden – aber nicht mehr aufgrund von Personalmangel, sondern weil die Räume knapp wurden. Denn das neue Modell der Dienstbeleghebammen führt dazu, dass plötzlich die Geburtenzahlen explodieren.

Auf dieser Wand werden die Namen der geborenen Kinder vermerkt.
Auf dieser Wand werden die Namen der geborenen Kinder vermerkt. | Bild: Katharina Stamml

„Mit diesem Erfolg in der kurzen Zeit haben wir selbst nicht gerechnet“, sagt Mara Herbinger. Sie ist eine von derzeit 14 Hebammen, die als Selbstständige in einer Partnergesellschaft arbeiten, die wiederum mit dem Klinikum kooperiert. Drei weitere Hebammen gehören zum Team, die nach einem Jahr ebenfalls Partnerin werden könnten, eine weitere kommt ab August dazu.

„Mit diesem großen Team können wir auch Stoßzeiten gut abfangen, wenn uns viele Gebärende auf einmal brauchen“, sagt Hebamme Katharina Stamml und ergänzt begeistert: „Plötzlich haben wir eine Warteliste von Bewerberinnen, die Situation hat sich komplett gedreht.“

Hebamme Katharina Stamml ist überzeugt vom neuen Beleghebammensystem. Hier steht sie im Kreißsaal 1 des Konstanzer Klinikums.
Hebamme Katharina Stamml ist überzeugt vom neuen Beleghebammensystem. Hier steht sie im Kreißsaal 1 des Konstanzer Klinikums. | Bild: Kirsten Astor

Der Weg zum Erfolg war aber nicht ganz leicht: „Wir haben ein halbes Jahr lang im Team ein neues Modell entwickelt und diskutiert, mit Anwalt und Notar gesprochen, mit der Klinikleitung verhandelt und mussten auch finanziell ordentlich in Vorleistung gehen“, erzählt Katharina Stamml. Die Unsicherheit, vom Angestelltenverhältnis auf einmal in die Freiberuflichkeit zu wechseln, stand durchaus im Raum.

Mehr Eigenverantwortung und mehr Geld

Doch die Frauen wagten den Schritt und bereuen ihn nicht. „Wir haben jetzt mehr Selbstverantwortung und natürlich auch mehr Risiko, aber das Arbeitsklima ist viel besser geworden und der Verdienst auch“, so die 41-Jährige. „Das Beleghebammensystem ist das einzige Modell, bei dem Hebammen fair vergütet werden.“

Die Hebammen schreiben ihre Dienstpläne selbst und können so auch auf familienfreundliche Arbeitszeiten achten. „Trotz steigender Geburtenzahlen sind wir deutlich weggekommen vom ständigen Arbeiten an der eigenen Belastungsgrenze“, sagt Mara Herbinger. Und das komme den Gebärenden zugute.

„Trotz steigender Geburtenzahlen sind wir deutlich weggekommen vom ständigen Arbeiten an der eigenen Belastungsgrenze“, sagt ...
„Trotz steigender Geburtenzahlen sind wir deutlich weggekommen vom ständigen Arbeiten an der eigenen Belastungsgrenze“, sagt Hebamme Mara Herbinger. | Bild: Hanser, Oliver

„Frauen brauchen zur Geburt ein gutes Gefühl und das können wir jetzt rundum bieten“, sagt die Hebamme. „Schön, dass Konstanz den Schwangeren nach einer Durststrecke wieder Sicherheit und Verlässlichkeit bieten kann.“

Elternschule ist in Planung

Ab Herbst wollen die Hebammen ihr Angebot sogar noch ausbauen: Geplant ist eine Elternschule mit Kursen von der Geburtsvorbereitung bis zur Rückbildung. „So können wir den Kontakt zu den Eltern noch früher und ganzheitlicher herstellen“, sagt Katharina Stamml.

Andreas Zorr, Chefarzt der Frauenklinik Konstanz seit 2011, ist ebenfalls überzeugt vom neuen System: „Ich habe schon geglaubt, dass unsere Hebammen in Selbstständigkeit zufriedener und glücklicher arbeiten, aber ich hätte nicht zu hoffen gewagt, dass wir so schnell mehr Bewerberinnen als Stellen haben und dass sich die Geburtenzahlen so schnell erholen und sogar noch steigen. Ganz persönlich bin ich erfüllt von der Zusammenarbeit mit unseren erfrischenden und engagierten Beleghebammen.“

„Ganz persönlich bin ich erfüllt von der Zusammenarbeit mit unseren erfrischenden und engagierten Beleghebammen“, sagt ...
„Ganz persönlich bin ich erfüllt von der Zusammenarbeit mit unseren erfrischenden und engagierten Beleghebammen“, sagt Chefarzt Andreas Zorr. | Bild: Timm Lechler

Obwohl das neue Arbeitsmodell nicht ohne kontrovers geführte Diskussionen entwickelt worden sei, freut sich auch Thomas Beringer über den Erfolg. Der kaufmännische Direktor am Klinikum Konstanz sagt: „Für uns hat sich die Umstellung zu einem Beleghebammensystem von Anfang an als richtiger Weg erwiesen. Die Hebammen tragen das Modell mit Begeisterung voran. Das Klinikum ist nun wieder eine verlässliche Anlaufstelle für die Gebärenden.“

„Das Klinikum ist nun wieder eine verlässliche Anlaufstelle für die Gebärenden“, sagt Thomas Beringer, kaufmännischer ...
„Das Klinikum ist nun wieder eine verlässliche Anlaufstelle für die Gebärenden“, sagt Thomas Beringer, kaufmännischer Direktor am Klinikum Konstanz. | Bild: Thomas Beringer

Valentina Vidusici jedenfalls kann das Konstanzer Team der Geburtshilfe weiterempfehlen. „Dadurch, dass mein Sohn trotz Einleitung vier Tage lang nicht zur Welt kommen wollte, war ich ständig hier und habe das ganze Team kennen gelernt“, sagt sie und schmunzelt. „Die haben mir alle toll geholfen.“

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