Der Mann auf der Anklagebank sitzt aufrecht, seine gefalteten Hände ruhen auf dem Tisch. Vor dem Landgericht geht es am Mittwoch, 4. Juni, um versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. So lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen den 37-Jährigen. Er soll in den frühen Morgenstunden des 19. Oktober 2024 im Bereich der Konstanzer Reichenaustraße einem 27-Jährigen mit einem Messer mehrfach in den Brust- und Bauchbereich gestochen haben.
Dass er zugestochen hat, bestreitet der Angeklagte nicht. An diesem ersten Prozesstag der mehrtägigen Verhandlung geht es vor allem um ihn selbst, um sein bisheriges Leben. Vor Gericht spielen – neben häufig wechselnden Arbeitsplätzen und Wohnorten – vor allem Suchtprobleme eine Rolle.
Mehrere Messerstiche in den Oberkörper
Laut Anklage waren der mutmaßliche Täter und das Opfer jeweils Teil einer Gruppe, die sich im Bereich des Bodenseeforums unweit der Schänzlebrücke begegneten. Das 27-jährige Opfer hätte sich auf die andere Gruppe zubewegt.
Dann soll der Angeklagte ein Messer mit einer Klingenlänge von fünf bis sieben Zentimetern aus seiner Jacke gezogen und damit mehrmals „in rascher Abfolge“, so die Staatsanwältin, auf den Oberkörper des Gegenübers eingestochen haben. Das Opfer wurde lebensgefährlich verletzt, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
Seit Ende Oktober sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft. Vor Gericht äußert er sich umfassend zu Fragen, die sein bisheriges Leben betreffen. Der heute 37-Jährige kam als Jugendlicher mit seiner Familie aus seinem Geburtsland Kasachstan nach Deutschland. Die Sprache konnte er nicht, niemand aus seiner Familie, sagt er. Besonders am Anfang war sei es „verdammt schwer“ gewesen. Trotzdem schloss er die Hauptschule und später eine Ausbildung ab.
Der Angeklagte antwortet schnell und genau auf jede Frage des Gerichts. Während der Vorsitzende Richter Arno Hornstein einzelne Stationen auflistet, korrigiert der 37-Jährige ihn einmal, als es um das Jahr eines Wohnortwechsels geht.
„Reden wir mal über Alkohol und Drogen“, sagt Hornstein und spricht damit ein Thema an, mit dem der Angeklagte bereits seit langer Zeit kämpft. Der 37-Jährige fasst sich kurz an die Stirn und fragt: „Nikotin auch?“ Er will es scheinbar genau nehmen und listet in schneller Reihenfolge auf, welche Substanzen er in seinem Leben bereits konsumiert hat: Kokain, Amphetamin, Heroin, LSD, Alkohol und Schmerzmittel. Zudem noch Tabletten, die er nicht genau benennen kann, etwas Beruhigendes soll es gewesen sein.
Zwischen 2007 und 2009 sei er abhängig von Heroin gewesen, bis er sich zu einem kalten Entzug zu Hause entschieden hätte. Er wurde mehrfach rückfällig. Dass es so nicht habe weitergehen können, habe der Mann dann selbst eingesehen. Er habe sich für eine Therapie entschieden. Es sollte nicht die einzige in seinem Leben bleiben.
Angeklagter möchte sich beim Opfer entschuldigen
An die Tat habe der Angeklagte laut seiner Verteidigerin keine genaue Erinnerung mehr. Die Stiche in den Oberkörper des Opfers habe er eingestanden. Warum er das getan hat, daran könne er sich aber nicht erinnern. Er habe viel Alkohol und Drogen konsumiert, will sich an einen Konflikt mit dem Opfer erinnern, sagt seine Verteidigerin. Er habe sich bedroht gefühlt. Das Messer habe nicht dem Angeklagten gehört, sondern er hätte es dem Opfer abgenommen. Wann und wie genau – darauf möchte er sich nicht festlegen.
Dass die Messerstiche lebensgefährlich sein können, das sei dem 37-Jährigen bewusst gewesen. Er habe von seinem Opfer abgelassen, als der Mann zu Boden ging. Nach dem Angriff habe dieser gesessen, sei nicht ohnmächtig gewesen. Der Angeklagte hätte deshalb angenommen, dass der 27-Jährige nicht lebensgefährlich verletzt sei. Zudem hätten sich dessen Freunde, die sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten haben sollen, um ihn kümmern können.
An Ende seiner Aussage kommt es zu einem Moment, mit dem niemand im Saal gerechnet hat. Der Angeklagte möchte ein Schreiben an den 27-Jährigen vorlesen, das er in Haft verfasst hat. Am liebsten in dessen Gegenwart, erklärt er. Dazu wird es nicht kommen. Ein rechtlicher Vertreter sagt, sein Mandant habe kein Interesse daran, eine Entschuldigung zu hören. Das muss der Angeklagte akzeptieren. Er darf seinen Brief dennoch vorlesen.
Der Angeklagte ist bereits mehrfach vorbestraft
Der Angeklagte ist bereits mehrfach verurteilt worden. Mehrfach geht es um Körperverletzung, auch ein Messer spielte in zwei Fällen eine Rolle. Bei einigen Vorstrafen wird auch erheblicher Alkoholkonsum in Zusammenhang mit den Tatbeständen erwähnt. Drei Einträge sind vom Amtsgericht Konstanz, aus den Jahren 2021 und 2023. Auch in der Schweiz, wo der Angeklagte eine Zeit lang lebte, hatte er mit der Justiz zu tun.
Für den Prozess sind drei weitere Verhandlungstage geplant. Vom Gericht sind elf Zeugen und zwei Sachverständige geladen.