Ist die Strafe zu niedrig – oder doch zu hoch? Das Landgericht Konstanz verhandelte einen der spektakulärsten Konstanzer Kriminalfälle des vergangenen Jahres: Am 7. Juli 2024 wurden von einem Motorroller aus mehrere Schüsse auf eine Menschengruppe an der Eni-Tankstelle abgegeben und ein damals 37-Jähriger schwer verletzt. Zwei Männer mit italienischer Staatsangehörigkeit wurden kurz nach der Tat festgenommen und mussten sich an fünf Prozesstagen unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten.
Das Gericht verurteilte den 20-jährigen Angeklagten Mitte Februar zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung und den 35-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Letzterer soll zudem ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro an das Opfer des Schusses zahlen. Doch mit dem Urteil scheint der Fall noch nicht abgeschlossen zu sein.
Fast alle legen Rechtmittel ein
Wie Landgerichtssprecherin Mirja Poenig auf SÜDKURIER-Nachfrage mitteilte, haben mehrere Seiten Revision gegen das Urteil eingelegt: der 35-jährige Angeklagte, der angeschossene Nebenkläger sowie die Staatsanwaltschaft.
Damit haben lediglich der 20-jährige Angeklagte und der zweite Nebenkläger (ein 19-Jähriger, der ebenfalls bei der Schussabgabe vor Ort war) eine Woche nach der Urteilsverkündung keine Rechtsmittel eingelegt. „Das Urteil ist aber aufgrund der Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage bezüglich beiden Angeklagten nicht rechtskräftig“, erklärt Poenig.
Das sagen Staatsanwaltschaft und Nebenklage
Was genau die Staatsanwaltschaft am Urteil angreifen will, könne sie laut Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi erst nach Eintreffen des schriftlichen Urteils sagen. Denn das könne von den mündlichen Ausführungen bei der Urteilsverkündung abweichen.
Die Entscheidung zur Revision sei in erster Linie gefallen, „weil es keine Verurteilung wegen versuchten Mordes gab und das aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht plausibel war.“ Den gleichen Grund führt auch der Rechtsanwalt des Nebenklägers für die eingelegte Revision an.

So hatte Fritschi zu Beginn der Verhandlung beiden Angeklagten versuchten Mord vorgeworfen, da die Schüsse aus ihrer Sicht mehrere Mordmerkmale erfüllt hatten. Unter anderem hätten die Männer aus Rache und damit aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Den Schüssen waren mehrere Schläge auf einen 18-Jährigen vorausgegangen, bei dem sich die beiden Angeklagten wegen eines vorherigen Angriffs auf einen Verwandten in der Diskothek „Grey“ rächen wollten. Allerdings hatten weder der 18-Jährige noch das vom Schuss zufälligerweise getroffene Opfer etwas mit der Auseinandersetzung im Club zu tun.
Im abschließenden Plädoyer nahm Fritschi den Vorwurf des versuchten Mordes gegen den 20-Jährigen zurück, weil sich bei ihm aus ihrer Sicht keine Tötungsabsicht nachweisen ließ. Beim 35-Jährigen hingegen sah sie es als erwiesen an, dass er auf die Gruppe geschossen habe und mit den Schüssen töten wollte. Sie beantragte daher für den 20-Jährigen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten und für den 35-Jährigen eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten.
Das Gericht folgte der Ansicht, dass der Ältere geschossen habe. Es ging jedoch nicht von einer Tötungsabsicht beim 35-Jährigen aus, da er freiwillig wieder aufgehört habe zu schießen. Der Schuss wurde deshalb als gefährliche Körperverletzung gewertet und die Strafe fiel für den 35-Jährigen entsprechend geringer aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert.
Deshalb legt auch der 35-Jährige Revision ein
Dennoch wollen auch der 35-Jährige und seine Anwälte das Urteil überprüfen lassen. „Das weicht von dem ab, was ich gefordert hatte“, begründet Rechtsanwalt Kristian Frank die Entscheidung für die Revision. Aus seiner Sicht konnte nicht eindeutig bewiesen werden, dass der 35-Jährige geschossen hat. Deswegen hatte er in seinem Plädoyer eine Bewährungsstrafe für seinen Mandanten gefordert.
Sobald das Urteil in schriftlicher Form vorliegt, können die Parteien ihre Revision begründen. Gehen die Revisionsbegründungen fristgerecht ein, wird das Urteil dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Dort wird es dann auf Rechtsfehler überprüft. „Ich denke erfahrungsgemäß eher nicht, dass vor Ablauf mindestens eines halben Jahres mit einer Entscheidung zu rechnen ist“, sagt Poenig. Der 35-Jährige bleibt laut Oberstaatsanwältin Fritschi trotzdem in Untersuchungshaft.