Am zweiten Verhandlungstag wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Konstanz steht die Beweisaufnahme im Mittelpunkt: 13 Zeugen sollen zur Aufklärung der Schießerei an der Eni-Tankstelle am 7. Juli 2024 beitragen. Ein zum Tatzeitpunkt 37-jähriger Mann wurde damals durch die Munition schwer verletzt. Am Dienstag, 4. Februar, sitzt er als Nebenkläger im Gerichtssaal.
War es sechsfacher versuchter Mord?
Als weiterer Nebenkläger ist ein 19-Jähriger im Gericht anwesend, der sich ebenfalls in der betroffenen Gruppe befunden hatte, als die Schüsse fielen. Der Anwalt des 19-Jährigen schlägt direkt zu Beginn des zweiten Verhandlungstages eine Erweiterung der Anklage vor: Er beantragt, die beiden aus Italien stammenden Angeklagten, die von einer Dolmetscherin übersetzt werden und 35 und 20 Jahre alt sind, nicht nur wegen einfachen, sondern wegen sechsfachen versuchten Mordes anzuklagen.
Er stützt sich dabei auf die Argumentation der Oberstaatsanwältin aus der Anklageschrift am ersten Prozesstag: Die Angeklagten hätten demnach mit den Schüssen an der Tankstelle bewusst in Kauf genommen, dass eine oder mehrere Personen getroffen, schwer verletzt oder sogar getötet werden. Die Tat erfülle somit das Mordmerkmal der Verwendung gemeingefährlicher Mittel.
Da die Gruppe eng beieinanderstand, sei der Tötungsvorsatz jedoch nicht nur auf den tatsächlich getroffenen Mann, sondern auf alle Anwesenden übertragbar. „Nicht umsonst dürften die Angeklagten so viele Schüsse abgegeben haben, wie Personen in der Gruppe waren“, argumentiert der Rechtsanwalt. Oberstaatsanwältin Claudia Fritschi erklärt daraufhin, den Antrag zu prüfen.
Alles beginnt mit Schlägen vor einer Konstanzer Diskothek
Zunächst geht es in der Sitzung jedoch um die nähere Aufklärung des Vorfalls um die beiden Angeklagten, die laut Richter Joachim Dospil nicht vorbestraft sind. Wie am ersten Prozesstag geschildert wurde, soll der Schießerei an der Reichenausraße eine Schlägerei in der Diskothek „Grey“ vorausgegangen sein. Ein 18-Jährige soll dort von einem Minderjährigen und dem 35-jährigen Angeklagten mit einem Schlagstock verprügelt und später an der Eni-Tankstelle nochmals von dem 35-Jährigen und diesmal auch von dem 20-jährigen Angeklagten angegriffen worden sein.
Das Opfer dieser Taten gibt vor Gericht an, dass es am 7. Juli im „Grey“ gefeiert hatte. Gemeinsam mit ihm sei der 19-jährige Nebenkläger dort gewesen, der am zweiten Prozesstag ebenfalls als Zeuge gehört wird. Als der 18-Jährige vor dem Club auf den 19-Jährigen wartete, habe er einen Streit bemerkt.

Was dann genau geschah, ist noch unklar. Während der Verteidiger des 35-jährigen Angeklagten andeutet, dass auf einem Video zu sehen sei, wie der 18-Jährige ebenfalls zugeschlagen habe, bestreitet er selbst das. Er sei grundlos von zwei Männern mit einer Teleskopstange verprügelt worden.
Bei der Eni-Tankstelle kommt es dann zum erneuten Angriff
Das 18-jährige Opfer hatte durch den Angriff eine Platzwunde erlitten. Das bestätigt auch der 19-jährige Nebenkläger: „Als ich aus dem ‚Grey‘ kam, hat mein Kollege geschrien und geblutet.“ Vom herbeigerufenen Rettungsdienst wurde der Mann vor Ort versorgt. Danach wollten die beiden Freunde zur Tankstelle an der Reichenaustraße, um ein Getränk zu holen und dann nach Hause zu gehen.
Dort seien dann zwei Männer mit einem Motorroller vorgefahren und erneut wurde der 18-Jährige attackiert. Die beiden Zeugen konnten jedoch die Gesichter der Täter nicht richtig erkennen. Schlug einer oder beide Männer bei diesem erneuten Zusammentreffen zu? Auch das bleibt im Gericht unklar. Während sich das Opfer nicht mehr sicher ist, sagt ein Sicherheitsmann der Tankstelle, der den Angriff durch sein Eingreifen beendet hatte: „Nur eine Person hat geschlagen, der andere hat beim Roller gewartet.“
Der 20-jährige Angeklagte gibt die Schläge zu. Die Dolmetscherin richtet übersetzt seine Worte an das 18-jährige Opfer: „Ich möchte mich bei dir entschuldigen, weil ich dich bei der Tankstelle geschlagen habe.“ Auf die Frage nach dem Grund antwortet er: „Mir wurde gesagt, dass du meinen Onkel zuvor geschlagen hast.“
Zeuge: „Die Schüsse sind immer noch in meinem Kopf“
Auch die weiteren Zeugenaussagen bleiben widersprüchlich. So sind sich zwar alle geladenen Zeugen sicher, dass zwei Männer auf einem Motorroller die Tankstelle verlassen haben und danach Schüsse gefallen sind. Doch wer von den beiden Männern geschossen hat und wie viele Schüsse es waren, kann an diesem Tag nicht mit Sicherheit geklärt werden.
So sind sich zwei Zeugen, die zur Tatzeit getankt hatten, nicht sicher, ob ein oder zwei Schüsse gefallen waren. Ein Tankstellen-Mitarbeiter spricht hingegen von fünf Schüssen. Der 19-jährige Zeuge gibt an, es seien vermutlich sechs Schüsse abgegeben worden. Die Männer seien nach dem Angriff kurz mit dem Roller weggefahren, hätten dann aber gewendet. „Dann haben die einfach mitten reingeschossen“, so der 19-Jährige. Der Vorfall belaste ihn: „Die Schüsse sind immer noch in meinem Kopf.“
19-Jähriger überrascht mit einem neuen Detail
Der Zeuge nennt zudem ein neues Detail: Nach der Rückkehr hätten die beiden Männer den Motorroller auf der gegenüberliegenden Straßenseite angehalten, um die Schüsse abzufeuern. Bislang wurde davon ausgegangen, dass während der Fahrt geschossen wurde. „Sind Sie sicher? Das mit dem Anhalten jetzt schon etwas ganz Neues“, fragt Oberstaatsanwältin Fritschi. „Ja, ich bin sicher“, macht er deutlich.
Dass der Fahrer geschossen hat, habe der 19-jährige Nebenkläger daran erkannt, dass er mit ausgestreckter Hand auf die Menschengruppe zielte. Der Sicherheitsmitarbeiter der Eni-Tankstelle vermutet hingegen, dass der Beifahrer schoss.
Auch die Frage nach der Art der Schusswaffe kann von den Zeugen nicht eindeutig beantwortet werden. Bei einer Hausdurchsuchung bei den Angeklagten kurz nach dem Vorfall wurde lediglich eine Schreckschusspistole gefunden, wie ein schweizerischer Polizist aussagt. Allerdings seien sowohl an der Oberbekleidung als auch an den Händen beider Angeklagten Schmauchspuren nachgewiesen worden. Zudem wurde damals am Tatort Revolvermunition sichergestellt.
Die Beweisaufnahme in diesem komplexen Fall, bei dem verschiedene Zeugen unterschiedliche Wahrnehmungen schilderten, ist bisher noch nicht abgeschlossen. Noch haben nicht alle Zeugen ausgesagt. Die Fortsetzung des Prozesses ist für Freitag, 7. Februar, um 9 Uhr geplant.