Sie wolle nur Ruhe und Frieden haben, sagte die 55-Jährige zu Beginn der Verhandlung mehrmals. Sie saß dabei neben ihrem Lebensgefährten auf der Anklagebank in einem Saal des Konstanzer Amtsgerichts. Er war der versuchten Körperverletzung angeklagt. Sie soll ihn dazu angestiftet haben und wurde von der Staatsanwaltschaft darüber hinaus der Beleidigung und Sachbeschädigung beschuldigt.
Beide sind sie einschlägig vorbestraft. Er wurde in den frühen Nullerjahren mehrfach wegen Körperverletzung verurteilt, einmal zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zudem weist sein Bundeszentralregisterauszug je eine Verurteilung wegen Betrugs, Diebstahls und Beleidigung auf.
Sie hat vier Eintragungen im Register, unter anderem wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung. Ihre letzte Verurteilung stammt aus dem vergangenen Jahr, weil sie 2019 eine Frau auf offener Straße mit den Worten „Fotze“ und „Dumme Sau“ beschimpft haben soll.
Abgründe tun sich auf
Die Vorsitzende Richterin verlas die Bundeszentralregisterauszüge erst gegen Ende der Verhandlung, vor den Plädoyers der Staatsanwältin und des Anwalts der 55-jährigen Angeklagten. Zuvor hatten sich die Abgründe eines zutiefst zerrütteten Nachbarschaftsverhältnisses in einem Konstanzer Mehrfamilienhaus aufgetan.
Für das Gericht von Belang waren aber die mutmaßlichen Taten, denen die 55-Jährige und ihr Lebensgefährte angeklagt waren. Er soll vergangenes Jahr auf ihre Aufforderung hin, einen Nachbarsjungen zu schlagen, im Treppenaufgang des Wohnhauses seine Hand gegen den damals Zwölfjährigen erhoben haben, so die Anklage. Und er habe nur deshalb nicht zugeschlagen, weil der ältere Bruder des Jungen mit Rufen eingeschritten sei, führte die Staatsanwältin aus.
Die Richterin sprach ihn am Ende jedoch frei, denn, so ihre Urteilsbegründung: „Ich bin davon überzeugt, dass Sie selbst zum Punkt gelangt sind: Ich mache es nicht. Sie haben zwar ein blühendes Bundeszentralregister, aber ein Kind zu schlagen, ist dann noch ne andere Nummer.“ Während der Verhandlung ging aus den Zeugenaussagen auch nicht klar hervor, ob der Angeklagte seine gegen den Jungen gerichtete Hand nun vor oder nach den Rufen des Bruders gesenkt hatte.
Das Verfahren gegen seine Mitangeklagte wegen Anstiftung zur versuchten Körperverletzung war bereits zuvor während der Verhandlung eingestellt worden. Anders verhielt es sich bei den weiteren Anklagepunkten gegen die Frau. Die Richterin sah es zum einen als erwiesen an, dass die Angeklagte einige Zeit nach dem Vorfall im Treppenhaus gegen die Wohnungstür der Familie des Jungen getreten und diese als „asoziale Geschöpfe“ beleidigt habe.
Weiter sprach die Richterin die Frau der Sachbeschädigung schuldig, da sie mehrfach versucht habe, die mit einem Stein fixierte Haustür des Hauses zu schließen, in dem sie und die geschädigte Familie wohnen. Da sie trotz spürbaren Widerstands nicht von der Haustür abgelassen habe, sei diese am Ende ausgehebelt worden. Die Angeklagte wurde zu einer Strafe von 65 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt.
Von Beleidigungen und Mobbing
„Ich glaube einfach, dass die Verhältnisse inzwischen so schwierig sind, dass Sie teilweise die Kontrolle über sich verlieren“, sagte die Richterin nach ihrem Urteil zur 55-Jährigen. Wie schwierig die Verhältnisse im Wohnhaus tatsächlich sind, ließen die Zeugenaussagen während der Verhandlung erahnen.
Nacheinander traten auf: der inzwischen 13-jährige Junge, gegen den der Angeklagte die Hand erhoben hatte, sein Freund, sein Bruder, seine Eltern sowie die Nachbarin, die die von der Angeklagten ausgehebelte Haustür mit einem Stein fixiert hatte.
Die Angeklagte terrorisiere ihre gesamte Nachbarschaft schon seit Langem, so die Zeugenaussagen: Sie beschimpfe Nachbarinnen als „Russenschlampe“ oder „blonde Schlampe“, trete und hämmere gegen Türen, gieße den Inhalt von Salatschüsseln über Fahrradsättel oder schmeiße die zum Trocknen aufgehängte Wäsche von Nachbarn auf den Boden.
Ganz anders die Schilderungen der Angeklagten: Sie werde von der restlichen Hausgemeinschaft systematisch gemobbt. Und auch ihr Anwalt betonte in seinem Schlussplädoyer, dass es in dem Haus sicher anders zugehe, als es die Zeugen weismachen wollten: „Ich nehme nicht an, dass nur meine Mandantin die Böse ist. Die Zeugen spielen auch ihren Part.“
Während der Verhandlung musste die Richterin die Angeklagte mehrmals ermahnen, da sie mit lauten Einlassungen sowohl Zeugen als auch ihrem eigenen Anwalt ins Wort fiel. Noch vor der Urteilsverkündung sagte sie zur Richterin: „Ich werde aus diesem Haus ausziehen. So was mache ich nicht mehr mit!“