Elf Pfund Heller und freie Kost: Das war im Jahr 1437 der Lohn des Turmwächters im Schnetztor, der im oberen Geschoss wohnte und zusätzlich ein Pfund für das Richten der Turmuhr bezog. Der heutige Turmwächter verrichtet seinen Dienst ehrenamtlich, aber genauso gewissenhaft. Er heißt Werner Bauer, ist 71 Jahre alt und sehr stolz auf „mein Schnetztor“.

Das darf er auch, denn Bauer ist einer der fleißigen Helfer, die ab Mai 1976 in vielen Arbeitsstunden Hand anlegten, um aus einem verdreckten und verkommenen Wehrturm eine moderne Zunftstube für die Blätzlebuebe zu machen. Die Idee dazu hatte der damalige Zunftmeister Heinz Hug 1974, als er eine neue Unterkunft für 1111 heimatlose Blätz suchte.

Hug wandte sich an den damaligen Oberbürgermeister Bruno Helmle. „Im November 1974 schaute man sich mit der Stadt verschiedene Gebäude an, unter anderem den Rheintorturm und ein Gebäude an der Neugasse, Ecke Bruderturmgasse“, erzählt Werner Bauer. „Doch das Schnetztor wies die beste Bausubstanz auf.“

Gewagte Aktion: Blätzlebuebe-Zunftmeister Heinz Hug 1974 auf der Dachgaube des Stadttors.
Gewagte Aktion: Blätzlebuebe-Zunftmeister Heinz Hug 1974 auf der Dachgaube des Stadttors. | Bild: Wolfgang Gollwitzer/Blätzlebuebe

Die Blätzlebuebe hatten Feuer gefangen. Sie wollten den alten Turm sanieren, beantragten schon im März 1975 den Bauantrag im Gemeinderat und begannen am 8. Mai 1976 mit der ersten Arbeitsschicht. Während Werner Bauer in der aus dem Ei gepellten Zunftstube am Holztisch sitzt, denkt er an damals zurück.

„Am ersten Tag gingen wir mit dem Tierschutzverein ins Gebäude, denn das Schnetztor war das Taubenzentrum der Stadt. Hier fehlten teilweise Fenster, der Taubenkot stand bis zu 80 Zentimeter hoch. Zunächst wurden die Tiere umgesiedelt, dann begannen wir mit den Arbeiten.“

Dieses Bild bot sich den Narren 1974 vor der Sanierung. Das Schnetztor wurde damals als Lagerraum des Rosgartenmuseums genutzt.
Dieses Bild bot sich den Narren 1974 vor der Sanierung. Das Schnetztor wurde damals als Lagerraum des Rosgartenmuseums genutzt. | Bild: Wolfgang Gollwitzer/Blätzlebuebe

Zum Glück der Narrenzunft befanden sich einige Handwerker unter den Mitgliedern, denn es gab viel zu tun. „Der Zugang war eng und faulig und in den Wänden fehlte Mörtel, einige Steine waren gar nicht mehr befestigt. Bei den Holztreppen fehlten Stufen“, erzählt Bauer.

„Alle Stufen und Geländer wurden neu gemacht, außer bei der Treppe oben unter dem Dach, die ist noch original.“ Für die restlichen Stiegen wurde Holz aus der alten Steganlage des Konstanzer Hafens verwendet, der damals gerade erneuert wurde.

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Auch die Holzböden wurden neu verlegt. „Im Urzustand konnte man aus dem Uhrengeschoss bis ganz hinunter auf die Straße gucken, weil Bretter fehlten“, berichtet Werner Bauer. Jeder Schritt musste mit dem Denkmalschutz abgestimmt werden, so der 71-Jährige. Diese Erfahrung machte er selbst, als er im ersten Obergeschoss den alten Mörtel von der Wand kratzen wollte.

„Ich wurde zunächst daran gehindert, doch als die Experten sahen, dass dahinter ein Haselnussgeflecht als Zwischenwand liegt, sollte ich den Mörtel ganz schnell herunterholen“, sagt Bauer und lacht. Nach zwei Jahren harter Arbeit war es so weit: Am 6. Mai 1978 weihten die Narren feierlich ihre neue Zunftstube ein.

Werner Bauer kratzte damals alten Mörtel von der Wand im ersten Obergeschoss. Zum Vorschein kam dieses Haselnussgeflecht als Zwischenwand.
Werner Bauer kratzte damals alten Mörtel von der Wand im ersten Obergeschoss. Zum Vorschein kam dieses Haselnussgeflecht als Zwischenwand. | Bild: Kirsten Astor

„Wir waren stolz darauf, was wir geschafft hatten, aber auch sehr froh, dass diese Zeit vorbei war“, sagt Werner Bauer. Blätzlebuebe-Zunftmeister Roland Scherer ergänzt: „Das war eine Wahnsinns-Idee. Solch einen Mut wie Heinz Hug hätte heute wohl niemand mehr.“ Gleichzeitig sieht er in der Sanierung „erste Anzeichen von bürgerschaftlichem Engagement“, denn viele Konstanzerinnen und Konstanzer halfen den Blätzlebuebe bei ihrem Megaprojekt.

„Das war eine Wahnsinns-Idee. Solch einen Mut wie Heinz Hug hätte heute wohl niemand mehr“, meint Blätzlebuebe-Zunftmeister Roland Scherer.
„Das war eine Wahnsinns-Idee. Solch einen Mut wie Heinz Hug hätte heute wohl niemand mehr“, meint Blätzlebuebe-Zunftmeister Roland Scherer. | Bild: Kirsten Astor

Bürger zeigten sich sehr spendabel

„Gestartet war die Zunft mit einem Kapital von 6000 D-Mark“, sagt Scherer. „Gekostet hat die Sanierung zwei Millionen Mark.“ Geld kam durch Firmenspenden rein, durch Verkaufsaktionen und Spendensammlungen der Zunft, aber auch durch die Großzügigkeit der Bürger. „Wir hatten am Tor ein Spendenbarometer aufgehängt, das die Zielmarke von 100.000 Mark weit überschritt“, freut sich Werner Bauer noch heute.

Dann führen die beiden durch ihr Tor. Im Uhrengeschoss zeigt Roland Scherer eine Decke aus Holzbalken, die sternenförmig angeordnet sind. „Da war das Schnetztor früher zu Ende“, sagt er. Auf diesen Raum ist der Zunftmeister besonders stolz: „Hier bereiten wir eine Ausstellung über die Geschichte unserer Zunft vor.“

Die fleißigsten Helfer bei der Sanierung des Schnetztors waren (von links) Günther Prutscher, Markus Nabholz, Heinz Härter, Heinz Hug, ...
Die fleißigsten Helfer bei der Sanierung des Schnetztors waren (von links) Günther Prutscher, Markus Nabholz, Heinz Härter, Heinz Hug, Albert Müller und Georg Warning. | Bild: Wolfgang Gollwitzer/Blätzlebuebe

Noch eine Treppe weiter oben haben die Blätzlebuebe sich einen gemütlichen Besprechungsraum eingerichtet, nebenan befindet sich ein Lager mit rund 40 Leih-Häsern. Bilder verschiedener Künstler, die den Laternentanz der Zunft sowie das Schnetztor malten, zieren die Wände. Und noch ein besonderes Relikt ist hier oben ausgestellt: das erste Häs des Polizeiblätz von Anfang der 1950er-Jahre.

Für die Blätzlebuebe ist ihre Zunftstube von unschätzbarem Wert. Welche historische Bedeutung das jahrhundertelang vernachlässigte Gemäuer hat, erkannte das Land Baden-Württemberg 1978, als es das Schnetztor in den Rang eines Baudenkmals von nationaler Bedeutung erhob. „Somit steht es auf derselben Ebene wie Schloss Neuschwanstein“, sagt Roland Scherer.

Heute sieht der Hauptraum so aus. Er bietet rund 36 Sitzplätze und hat eine Theke. Links an der Wand hängt ein altes Uhrwerk als ...
Heute sieht der Hauptraum so aus. Er bietet rund 36 Sitzplätze und hat eine Theke. Links an der Wand hängt ein altes Uhrwerk als Dauerleihgabe des Rosgartenmuseums. Die Uhr hing ursprünglich im 1872 abgebrochenen Schlacht- oder Augustinertor am Ende der Rosgartenstraße. | Bild: Kirsten Astor

Seit vier Jahren weiß die Zunft, dass der Turm ab 1326 erbaut wurde und die Türmerwohnung um 1560 ergänzt wurde. „Es gab eine dendrochronologische Untersuchung“, so Scherer. Anhand der Jahresringe von verbauten Stämmen konnte dies herausgefunden werden. Ursprünglich wurde das Schnetztor U-förmig errichtet, zur Stadt hin war es offen. Die Fachwerkfassade wurde nachträglich ergänzt.

Das Schnetztor war damals Teil der großen Ringmauer, die seit dem Mittelalter die Stadt umschloss. Die Befestigungsanlage bestand aus 30 Türmen oder Toren sowie 1,30 Meter dicken Mauern. Heute sind davon neben dem Schnetztor nur noch der Pulverturm und der Rheintorturm erhalten. „Alle befinden sich in närrischer Hand“, sagt Roland Scherer und lacht.

Das Schnetztor war einst Teil einer massiven Wehranlage rund um Konstanz mit ursprünglich 30 Toren oder Türmen sowie einer dicken ...
Das Schnetztor war einst Teil einer massiven Wehranlage rund um Konstanz mit ursprünglich 30 Toren oder Türmen sowie einer dicken Stadtmauer. Heute sind nur noch drei Türme erhalten. | Bild: Kirsten Astor

Auch über 50 Jahre nach Beginn der Sanierung halten die Blätzlebuebe das Schnetztor instand. Und Werner Bauer wird auch weiterhin auf den Turm aufpassen. „Das mache ich jetzt seit 32 Jahren“, sagt der 71-Jährige. Ehrensache.

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