Thomas Mitzkus, Leiter der katholischen Seelsorgeeinheit Petershausen, hat das Ergebnis für 2020 gerade vor einigen Tagen auf den Tisch bekommen. 156 Austritte bei 8744 Gemeindemitgliedern. „Mir erscheint die Zahl eher hoch, es sind wohl deutlich mehr geworden“, kommentiert der Seelsorger.

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Aber Genaueres könne er nicht sagen, da er der Gemeinde erst seit einem Jahr vorstehe und ihm der Vergleich fehle. Über die Gründe, warum die Menschen austreten, erfahre er so gut wie nichts. „Keiner dieser Austretenden hat mit mir noch ein Gespräch geführt.“

Thomas Mitzkus: „Ich würde einfach gerne hören, was sie bewegt“

Also bleiben ihm nur Mutmaßungen. Der Weg in Konstanz über das Standesamt sei ja auch sehr einfach. Er findet das schade, denn „ich würde einfach gerne hören, was sie bewegt“. Immerhin bekomme jeder Ausgetretene von seiner Pfarrei einen offiziellen Brief der Diözese zugestellt, dessen Inhalt er aber auch noch einmal aktualisieren wolle.

Pfarrer Thomas Mitzkus sieht die Menschen lieber in die Kirche eintreten, statt dass sie ihr den Rücken kehren. Aber auch mit den ...
Pfarrer Thomas Mitzkus sieht die Menschen lieber in die Kirche eintreten, statt dass sie ihr den Rücken kehren. Aber auch mit den Ausgetretenen würde er gern sprechen, um mehr über die Gründe zu erfahren. | Bild: Michael Buchmüller

Die Art, wie in Köln mit dem Gutachten und der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle umgegangen wird, mache ihn eher sprachlos, auch wenn es aus der Ferne schwierig sei, sich ein differenziertes Bild zu erstellen. Aber wenn sich in der Öffentlichkeit das Bild verfestige, dass die Katholische Kirche mehr Interesse an „Mauschelei“ als an transparenter Aufklärung habe, dann sei dieser Eindruck natürlich fatal. Und ja, er könne verstehen, dass jemand wegen dieser Vorgänge zur Austrittsentscheidung kommt. „Aber haben die Menschen auch wirklich alles bedacht, was sie damit auf- und hergeben?“

Das Konstanzer Standesamt vermeldet für 2020 für beide Kirchen die Zahl von 748 Austritten. Eine Strategie, ihnen vorzubeugen, hat Mitzkus nicht. „Ich glaube, jetzt eine Kampagne zu starten, würde lächerlich wirken. Ich kann nur konkret die Menschen vor Ort einladen, Gemeinde zu erfahren. Sie sollen sich ein eigenes Bild machen: Ist das glaubwürdig, was ich hier erlebe?“ Mehr könne man nicht tun, diese Ohnmacht müsse man aushalten.

Pfarrerin: Auch Protestanten ärgern sich über den Papst

Pfarrerin Sabine Wendlandt von der evangelischen Heilig-Geist-Kirche auf der Reichenau möchte sich nicht über ihre katholischen Glaubensgeschwister erheben – und die Angelegenheit auch nicht kommentieren. Ihre kleine Gemeinde hat 800 Mitglieder. Im Jahr 2020 gab es 14 Austritte. „Ich halte es mit Jesus. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“, sagt Wendlandt. Man könne nicht sicher sein, ob es „so etwas“ nicht auch bei der evangelischen Kirche gebe.

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Bemerkenswert sei aber schon, dass Austrittswelle bei den Katholiken immer auch bei ihnen spürbar seien. „Ich habe schon erlebt, dass einer bei uns ausgetreten ist wegen des Papstes!“ Ihre Argumentation, dass man ja deshalb evangelisch sei, um keinen Papst haben zu müssen, fruchtete nicht.

Sicher helfe auch die Corona-Pandemie nicht gerade dabei, Kirchenmitglieder zu halten. „Die Bindung hat gelitten. Wir können ja kaum noch in die Öffentlichkeit hineinwirken.“ Man habe im ersten Lockdown alle Gemeindemitglieder über 18 Jahre persönlich angeschrieben und ihnen das weiterhin bestehende Gesprächsangebot nahe gelegt. Aber ob das viel bewirkt? „Wir erreichen doch nur einen sehr beschränkten Personenkreis“, lautet ihre nüchterne Analyse.

Dekan Trennert-Helwig: „Das ist Kaffeesatzleserei“

Bei den Altstadtpfarreien, so Dekan Mathias Trennert-Helwig, ist die Zahl der Austritte seit 2018 ungefähr gleich, jeweils etwas über hundert Personen im Jahr – und das mit leicht rückläufiger Tendenz. 2020 waren es 106 Austritte bei 6268 Kirchenmitgliedern, was einem Prozentsatz von 1,7 entspricht. Einen Sprung gab es nach 2017, da seien es nur 64 gewesen.

Und die Gründe dafür? „Das ist Kaffeesatzleserei“, wehrt der katholische Dekan ab. Er könne sich vorstellen, dass die Bevölkerungsstruktur dafür verantwortlich sei: In der Innenstadt wohnen viele Studenten, die vielleicht mit ihren ersten Nebenjobs die Kirchensteuerabzüge sehen würden und dann entscheiden, das nicht zahlen zu wollen.

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Zu den Vorfällen in Köln meint der Leiter der Altstadtpfarreien, das wohl geltendes Kirchenrecht zu wenig angewandt worden sei: „Verantwortliche in Vergangenheit und Gegenwart müssen benannt und bei der Glaubenskongregation in Rom angezeigt werden“. Delikte wie ein Übergriff oder das Ausnützen einer Abhängigkeitsbeziehung seien strafrechtlich wie kirchenrechtlich schwierig zu bewerten, aber auch für Trennert-Helwig steht fest: „Man hat das Leid der Opfer oft nicht gesehen!“

Das sagen Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind

Jonas Müller ist einer der aus der Kirche Ausgetretenen. Der 32-jährige Münchner, der bei VW arbeitet, besucht öfter seine Schwester Julia in Konstanz. „Große Betriebe und die Katholische Kirche haben eines gemeinsam: Sie bilden Paralleluniversen mit eigenen Gesetzen aus.“ Und sie würden sich nur ändern, wenn der Chef in eine andere Richtung weise – oder man ihnen den Geldhahn abdrehe, so Müller.

Er sei zehn Jahre Ministrant gewesen. Aber schon beim Glaubensbekenntnis habe er den Abschnitt: „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“ seit Langem nicht mehr aus Überzeugung mitbeten können. Da seine Frau aus Köln komme, wo eben jener Woelki wirke, sei im Dezember 2020 Schluss für ihn gewesen. Er hatte „die Schnauze endgültig voll“ von der Institution, trat aus und drehte zumindest seinen Geldhahn für die Kirche zu.

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Im November letzten Jahres kehrte auch Susanne Kiebler, Dozentin für Kunst, der Kirche den Rücken zu. „Ich unterrichte natürlich auch Kunstgeschichte und weiß um die Bedeutung des Christentums für unsere Kultur.“ Die Idee dieser großen Weltreligion finde sie immer noch sehr gut. Aber wie die konkreten Vertreter damit umgehen, das ärgere sie einfach. Und zwar immer mehr.

Ein Beispiel von vielen sei Maria 2.0, eine Bewegung, die den Einfluss von Frauen in der Kirche stärken will, aber letztlich nichts erreichen konnte. Viele Frauen habe das frustriert. Es zeige, wie unflexibel die Katholische Kirche sei. Kiebler schüttelt – hier passt das Wort – ungläubig den Kopf: „Da macht Pfarrer Andreas Rudiger, der über Jahre ein engagierter Seelsorger hier in Konstanz war, seine Liebe öffentlich – und weg ist er!“ Und das, wo doch die Kirche eigentlich dafür prädestiniert sei, Menschenfreundlichkeit vorzuleben.

Ein aus der Kirche Ausgetretener hat sich dieser Tage übrigens doch noch bei Pfarrer Mitzkus gemeldet. Sie konnten ein persönliches Gespräch über die Beweggründe führen – und der Seelsorger hat hören können, was diesen einen Menschen bewegt.

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