Die Frau ist ein typischer Fall. Sie will sich nicht zeigen und lässt sich von einer Mitarbeiterin des Frauenhauses Konstanz vertreten, die ebenfalls anonym bleibt. Die Gefahr und die Angst, vom Ehemann gefunden und erneut geschlagen, getreten, vergewaltigt zu werden, sind einfach zu groß. Heute ist der Welttag gegen Gewalt an Frauen. Er soll für das Thema sensibilisieren. Lösen kann er die Probleme aber nicht.

Bild 1: Welttag gegen Gewalt an Frauen: Auch in Konstanz ist häusliche Gewalt an der Tagesordnung. Kinder gehören ebenfalls zu den Opfern
Bild: Maurizio Gambarini

Auch der Standort der Frauenhäuser ist geheim. In Konstanz wie anderswo. Unsere Betroffene hat zwei Kinder und erlebt in den eigenen vier Wänden ein jahrelanges Martyrium. Die Kinder sind traumatisiert, erleiden bei jeder Art von Gewalt gegen ihre Mutter seelische Schmerzen. Die Frau wird ein drittes Mal schwanger, der Mann möchte die Abtreibung. Sie jedoch ist bereit, das Kind auszutragen.

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Die Schläge und Schreie nehmen trotz der Schwangerschaft kein Ende. Irgendwann beschließt sie, das gemeinsame Haus mit den Kindern zu verlassen. Sie plant den Rückzug akribisch, Stück für Stück lässt sie unauffällig wichtige Dokumente mitgehen und deponiert sie im Kindergarten.

Flucht vor dem Peiniger

Sie nimmt Kontakt auf mit dem Frauenhaus, hier wird ihr ein Platz zugesichert. Eines Tages ist der Moment da – die hochschwangere Mutter schnappt sich die Kinder und flieht. Ihr Peiniger bemerkt nach Feierabend das Fehlen seiner Familie und macht sich wutentbrannt auf die Suche. Vergeblich – seine Frau und die Kinder sind irgendwo in Deutschland untergetaucht.

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Bild 2: Welttag gegen Gewalt an Frauen: Auch in Konstanz ist häusliche Gewalt an der Tagesordnung. Kinder gehören ebenfalls zu den Opfern
Bild: Maurizio Gambarini

„Die Betroffenen haben derzeit zwei Probleme: Einerseits ist es die Gewalt durch den Partner, andererseits die Pandemie“, sagt eine Mitarbeiterin des Frauenhauses. „Das zieht sich durch alle Schichten.“

Zwar würden wohlhabende Frauen seltener um Hilfe bitten, „doch das hat etwas damit zu tun, dass sie sich mehr schämen. Sie hören dann oft von Freundinnen: ‚Du hast doch ein so tolles Leben und einen so tollen, angesehenen Mann‘.“ Was nicht sein kann, darf nicht sein.

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Während des ersten Lockdowns dauerte es eine gewisse Zeit, ehe die Nachfrage in den Frauenhäusern anstieg. „Durch Homeoffice, Homeschooling oder Kurzarbeit hatte der Mann noch mehr Kontrolle über seine Frau und seine Kinder“, sagt die Mitarbeiterin des Frauenhauses Konstanz. „Denn wenn die Täter ständig daheim sind, haben die Opfer kaum mehr unbeobachtete Momente.“

Diese Tendenz beobachtet die Expertin nun erneut. „Auch jetzt gehen wir davon aus, dass viele Frauen erst einmal zuhause aushalten. Wenn sich die pandemische Lage verbessert, ergreifen sie die Flucht.“

Nach Ende des Lockdowns im Frühjahr schnellten Nachfrage nach Beratung und Notrufe nach oben – auch in Konstanz. „Wir können davon ausgehen, dass es dieses Mal ganz ähnlich sein wird.“ Laut der Chancengleichheitsstelle der Stadt hat das Hilfetelefon 20 Prozent mehr Anfragen erhalten als sonst.

Gewaltbereitschaft hat nichts mit der Pandemie zu tun

Nach dem jüngsten Bericht des Bundeskriminalamtes zu Partnerschaftsgewalt sind die Zahlen bereits 2019 angestiegen. „Wenn ich meine Frau und meine Kinder schlagen oder sexuell missbrauchen will, dann tue ich das – egal, ob Corona ist oder nicht“, so eine Frauenhaus-Mitarbeiterin.

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Schulen und Kindergärten blieben vom aktuellen Lockdown bisher weitgehend verschont. Gut für die Kinder, vor allem für die kleineren, die sich kaum wehren können. Laut der Konstanzer Psychologin Maggie Schauer habe sich während der Schulschließungen im Frühjahr nämlich gezeigt, dass ein Teil von ihnen im Elternhaus nicht sicher war.

Maggie Schauer.
Maggie Schauer. | Bild: Inka Reiter, Universität Konstanz

„Soziale Dichte, Überforderung und Zukunftsunsicherheit macht Stress und kann zu Aggressionen führen“, sagt Maggie Schauer. Und: „Gelegenheit macht sexuelle Übergriffe„, denn auch die Bedeutung fehlender sozialer Kontrolle hinter privaten Haustüren werde häufig unterschätzt. Auch deshalb sei es wichtig, komplette Schließungen von Schulen und Kitas zu verhindern: damit Kinder gesehen werden, ihre Freunde und pädagogische Unterstützung behalten.

Bild 4: Welttag gegen Gewalt an Frauen: Auch in Konstanz ist häusliche Gewalt an der Tagesordnung. Kinder gehören ebenfalls zu den Opfern
Bild: dpa

Nach Angaben der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson stieg während des Corona-Lockdowns die Nachfrage nach Kinderpornografie um 30 Prozent. „Traumaforscher und Sozialarbeiter warnten, ohne Gehör zu finden“, so Maggie Schauer. „Und leider hat es sich dann bewahrheitet. Die psychosozialen Folgen sind dramatisch. Einerseits entfesseln die Maßnahmen des Lockdowns Gefahren, beleuchten aber auch ein Dunkelfeld, das existiert, aber häufig unerkannt bleibt!“

Ziel: Stärkung des Selbstbewusstseins von Kindern

Bei der Stadt Konstanz arbeiten die Experten intensiv an dem Thema, wie die Presstelle schreibt: „In unseren Kitas sind Stärkung des Selbstbewusstseins und Vermittlung natürlicher Grenzen Bestandteil frühkindlicher Pädagogik. Soziale Trainingskurse in den Schulklassen eins bis sechs beinhalten diese Themen.“

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Lehrer könnten sich bei Auffälligkeiten an die Psychologische Beratungsstelle oder die Vertrauensstelle wenden und die Eindrücke anonymisiert schildern. In den Jahresberichten der Vertrauensstelle tauchen im Schnitt 20 Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs in Konstanz auf, wobei sich etwa die Hälfte erhärten oder bestätigen.

Täter aus dem erweiterten familiären Umfeld

Drei- bis fünfmal wird laut der Pressestelle das Jugendamt hinzugezogen. „Diese geringe Fallzahl beruht auf der engen Auslegung Missbrauch im Sinne tatsächlich nachgewiesener sexueller Misshandlung. Die Täter kommen auch in Konstanz überwiegend aus dem engen und erweiterten familiären Umfeld.“

Bild 5: Welttag gegen Gewalt an Frauen: Auch in Konstanz ist häusliche Gewalt an der Tagesordnung. Kinder gehören ebenfalls zu den Opfern
Bild: Britta Pedersen

Eine Mitarbeiterin des Frauenhauses bringt die ganze Tragik auf den Punkt: „Normalerweise soll das Zuhause ein sicherer Hafen sein und Schutz bieten. Wenn dort ein gewalttätiger Mann oder Vater wartet, existiert dieser Ort nicht mehr.“