Die Stadt Konstanz hat eine Online-Befragung zur Prioritätenliste im neuen Handlungsprogramm Fußverkehr gestartet, um aus einer Liste mit 260 Einzelmaßnahmen diejenigen mit hoher Dringlichkeit herauszufiltern. Das Ziel der Umfrage, die noch bis zum 2. April läuft, sei, dass die Bürger „bei der Erstellung der Prioritätenliste der im Konzept entwickelten Handlungsempfehlungen“ mitwirken, erklärt Walter Rügert, Pressesprecher der Stadt Konstanz, auf SÜDKURIER-Nachfrage.
Unter den Konstanzern hat sich bereits ein gewisser Unmut und auch Unverständnis geregt. Sogar Gemeinderätin Christel Thorbecke (FGL) sagte am Dienstag, 28. März, im Technischen und Umweltausschuss, sie sehe die Umfrage als „sehr problematisch“ an. Die Handhabung sei kompliziert, die Maßnahmen schwierig zu identifizieren und eine Einschätzung falle ebenfalls schwer.
Interaktive Karte sorgt für Verwirrung
Auf einer interaktiven Karte sind alle Gehwege markiert, die verbreitert werden sollen. Klickt man auf eine Markierung, öffnet sich ein Feld, auf dem unter anderem die Ist- und die Sollbreite aufgeführt wird. Der Nutzer kann dann die Priorität wählen, sprich: Soll die Gehwegverbreiterung oder der Zebrastreifen schnell realisiert werden? Oder eilt es nicht so?

Aber ist das Ergebnis dieser Erhebung überhaupt repräsentativ, zumal es sich ja um tiefgreifende Änderungen handeln kann? „Diese Aussage können wir erst treffen, sobald uns die Ergebnisse der Umfrage mit der TeilnehmerInnen-Zahl vorliegen“, antwortet Walter Rügert. „Bereits in der ersten Woche der Umfrage wurden etwa 1600 Rückmeldungen abgegeben, daher erwarten wir, dass die Umfrage repräsentativ wird.“ Das Problem: Auf die Umfrage kann jeder Internet-Nutzer weltweit zugreifen und auch mehrfach an ihr teilnehmen.
Sind diese Unfallschwerpunkte wirklich Unfallschwerpunkte?
Ein weiterer Punkt wirft Fragen auf. Zwei Knotenpunkte werden in der Legende der interaktiven Karte als „Unfallschwerpunkt“ ausgewiesen: die Kreuzungsbereiche Gartenstraße/Schottenstraße und Wallgutstraße/Zasiusstraße. Hier sind als mögliche Maßnahmen Zebrastreifen vorgesehen.
Aktuelle Zahlen kann das Polizeipräsidium Konstanz hierzu noch nicht veröffentlichen, so Pressesprecherin Katrin Rosenthal auf SÜDKURIER-Nachfrage. „Bislang wurde die allgemeine Unfallstatistik des Präsidiums erstellt, die nun zunächst an die Stadt geht.“ Allerdings, so Rosenthal, habe keine der genannten Örtlichkeiten in den Vorjahren die Voraussetzungen für eine Unfallhäufungsstelle erfüllt.

Warum sollen Gehwege breiter werden?
Grundsätzlich wird der Umfrage zugrunde gelegt, dass Gehwege 2,50 Meter und teilweise sogar noch breiter werden sollen. Weshalb? Das seien Empfehlungen zum barrierefreien Gehwegausbau, lautet die Antwort des Pressesprechers, der auf die Präsentation des Handlungsprogramms Fußverkehrs verweist.
Hierin hat das extern beauftragte Büro Kaulen niedergeschrieben, diese 2,50 Meter seien „grundsätzlich anzustreben“, 2,70 Meter im Umkreis von 300 Metern von schutzbedürftigen Einrichtungen und drei Meter im Umkreis von 300 Meter von Infrastruktureinrichtungen wie Bahnhöfen, Einkaufszentren, Geschäftsnutzung. Wie das Büro auf diese Zahlen kam, blieb zunächst offen.
Ein Beispiel: Schottenstraße (Fahrradstraße)
Von Lutherplatz bis Einmündung Wallgutstraße zum Beispiel, so ist in der Online-Karte ersichtlich, sollen die Gehwege beidseitig von jeweils 1,40 auf 2,70 Meter ausgebaut werden. Wie kann die zusätzlich benötigte Fläche von jeweils 1,30 Meter auf beiden Seiten geschaffen werden? Darauf gibt die interaktive Karte keine Antwort. Doch längst dämmert es einigen Bürgern: Dies kann de facto aber wohl nur gelingen, wenn die Parkplätze zwischen Gehweg und Straße entfallen.
Allerdings ist der Parkdruck im Paradies schon jetzt enorm. Laut Rügert gebe es zwischen Laube und Europastraße etwa 2540 öffentliche Parkplätze. Ganztags stünden den Bewohnern etwa 1220 Stellplätze exklusiv zur Verfügung. Nachts erhöhe sich diese Zahl auf etwa 1640. Die restlichen Parkplätze teilen sich die Bewohner größtenteils mit den Besuchern. Lediglich auf etwa 100 Stellplätzen dürfen die Bewohner tagsüber nicht parken. Diese Zahlen stammen aus der Parkraumuntersuchung Paradies 2015, weist Rügert hin.
2540 Parkplätze im Paradies – aber 3479 Parkausweise für Anwohner
Doch es gibt viel mehr Autos als Parkplätze. „Zum aktuellen Zeitpunkt sind insgesamt 5223 Bewohnerparkkarten ausgegeben“, so Rügert auf Nachfrage. „3479 davon für die sich im Paradies befindlichen Bewohnerparkgebiete I-IV.“ Und die Sorge der Anwohner? Wie viele Autostellplätze könnten den Gehwegverbreiterungen zum Opfer fallen? „Die Prioritätenliste besteht aus Handlungsempfehlungen und keinen konkreten Maßnahmen“, antwortet Walter Rügert. „Bei der Erstellung der Maßnahmen für das Jahresprogramm 2023/24 wird berücksichtigt, dass erstens möglichst wenige Stellplätze entfallen, und wenn es der Fall ist, diese möglichst im gleichen Umfang kompensiert werden.“
Wo sollen Anwohner dann parken?
Wo und wann werden also die versprochenen alternativen Anwohnerparkplätze geschaffen? Darauf antwortet Walter Rügert: „Flächen für alternative Bewohnerstellplätze im dicht bebauten Paradies zu finden, ist anspruchsvoll.“ Eine Lösung scheint die Stadt dafür noch nicht gefunden zu haben, denn wie der Sprecher weiter ausführt: „Es wird zum Beispiel die städtebauliche Entwicklung am Döbele genutzt, um über den Bedarf der neuen Bebauung hinaus in einem Mobilitätshaus auch ein Stellplatzangebot für Bewohner der umliegenden Quartiere zu schaffen.“
Soll heißen: Für entfallene Stellplätze im Paradies, der Altstadt sowie im Bereich Stadelhofen soll im Mobilitätshaus am Döbele, dessen Eröffnung für 2027 geplant ist, Ersatz geschaffen werden. Hier sind allerdings nur noch 500 Stellplätze geplant. Wie viele davon für Anwohner reserviert sind, ist derzeit nicht bekannt. Rügert ist jedoch überzeugt: „Dadurch entstehen Spielräume, um Stellplätze im öffentlichen Raum für Verbesserungen unter anderem für den Fußverkehr zu reduzieren.“