Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Winfried Kretschmann erreicht dieser Tage Post aus Konstanz. In einem Brief bringen einige Stadträte ihr Unverständnis über den Lockdown im Kulturbetrieb zum Ausdruck. „Vom Stadttheater und der Philharmonie über Museen bis zu den sozio-kulturellen Zentren und dem kommunalen Kino haben alle sich über den Sommer ins Zeug gelegt, um mit guten Hygienekonzepten den Spielbetrieb wieder aufzunehmen“, heißt es in dem Schreiben.
Der Lockdown bedroht nach Ansicht der Verfasser nicht nur die Existenz insbesondere von kleinen Einrichtungen und vieler Solokünstler, zugleich befürchten sie schwerwiegende Folgen für das Miteinander in der Gesellschaft.
In der jetzigen Phase der Pandemie stufen sie die Kultur als systemrelevant ein, was durch Videoclips und Podcasts nicht zu ersetzen sei. Das Ziel der Corona-Eindämmung sehen die Stadträte nicht gefährdet. „Unter den kontrollierten Bedingungen, die in den kulturellen Einrichtungen umgesetzt sind, ist eine Verbreitung des Virus weitaus unwahrscheinlicher als zum Beispiel bei privaten Kontakten zuhause“, so heißt es dazu in dem Schreiben.
Hilfeschrei einer Intendantin
Die Initiative geht von acht der zwölf Vertreter des Kulturausschusses aus, wobei letztlich Gisela Kusche von der FGL und Zahide Sarikas (SPD) das Heft in die Hand nahmen. Die beiden hatten sich schon zuvor um ein Netzwerk bemüht, um so die Interessen von Kulturschaffenden besser zur Geltung zu bringen. Als besonders beeindruckend wurde dabei das Engagement der Intendantin der Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz, Insa Pijanka, empfunden. Für Zahide Sarikas handelte es sich um einen Hilfeschrei.

„Mir leuchtet die Logik des Lockdowns nicht ein“, sagt die SPD-Stadträtin, „denn in Konstanz haben die Kulturschaffenden ihre Hausaufgaben gemacht.“ Nicht zu vermitteln sei, dass zum Beispiel „im Lago die Hölle los ist“, aber der Kulturbetrieb – ebenso wie die Gastronomie – komplett heruntergefahren werde. Das Argument der Bedeutung der Wirtschaft will sie nicht gelten lassen, denn auch der Kulturbetrieb sei ein wirtschaftlich wichtiger Faktor.
An eine unmittelbare Wirkung des Schreibens glaubt sie unterdessen genauso wenig wie Gisela Kusche. „Es geht um ein Signal“, so die FGL-Stadträtin, von der sie sich eine psychologische Wirkung verspricht. Gisela Kusche stört sich zum Beispiel allein daran, dass beim Lockdown die Kultur in einem Atemzug mit Bordellen und Vergnügungsstätten genannt wird.
Der Initiative fehlt es allerdings an Schubkraft, denn viele Räte wollen nicht unterschreiben. Die CDU als zweitgrößte Fraktion beispielsweise kann das „Bedürfnis der Kulturschaffenden und der Bevölkerung nach Planungssicherheit sehr gut nachvollziehen“, wie es in einer Presseerklärung heißt. Dennoch werde man der Bitte um Unterschriften nicht nachkommen. Priorität habe der Schutz der Gesundheit, danach folge die Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Erfordernisse.
Obwohl sich der CDU-Fraktionsvorsitzender Roger Tscheulin bei den Corona-Schutzvorkehrungen selbst als Hardliner bezeichnet, kann er doch die Wankelmütigkeit von Ratskollegen verstehen. Besonders deutlich wird dies im Fall von Horst Everke von der FDP.

Als er am Mittwochmorgen von dem Brief erfuhr, lehnte er eine Unterschrift spontan ab, gegen Mittag vollzog er einen Sinneswandel, nur um wenig später seine Unterschrift wieder zurückzuziehen. „Das kommt mir am Ende doch vor wie ein Brief an den Weihnachtsmann: Man wünscht sich was, die Stoßrichtung aber ist falsch.“