Wir sind bei unserem Rundgang durch Wollmatingen nicht viel weitergekommen, bleiben in einem Quadrat hinter dem Dorfbrunnen. Die Tür zum Engelsteig Nummer 4 öffnet sich und Ute Stölzle lässt uns mit einem gewinnenden Lächeln eintreten.
Das Haus ist 2009 komplett umgebaut worden. Im Fernsehraum sieht man noch, dass dort der Eingang zum Stall war. Der ganze Eingangsbereich wurde geöffnet, indem man eine Zwischendecke herausnahm und das Fachwerk freilegte. Wenn man eintritt, öffnet sich ein großzügiger Blick nach oben. „Mein Lieblingszimmer ist das oben am Eck.“ Das alte Wandgebälk ist nun ein Bücherregal.

Der kleine Garten vor dem Haus wurde mit einem hübschen weißen Gartenzaun eingegrenzt, die Fenster zieren grüne Holzläden. An jeder Ecke spürt man, wie achtsam das Alte ins Neue überführt wurde. Völlig zurecht ist Stölzle, die mit ihrem Mann Gerald Benedikt hier lebt, stolz auf ihr Haus, „zumal die Nachbarschaft das Beste“ sei. Man kennt sich, lädt sich zu Geburtstagen ein. Einzig schade, „dass die Kneipen hier zumachen“. Nicht abends zu früh, sondern endgültig.
Ute Stölzle war Hauptvertreterin einer amerikanischen Firma im humanmedizinischen Bereich für Osteuropa. In den Anfangszeiten wohnte sie schon in einer kleinen Wohnung in eben dem Haus, das ihr nun gehört. „Damals brach gerade der Ostblock zusammen. Quasi jede Woche kam ein neues Land dazu.“ Am Ende betreute sie 27 Länder mit 35 Mitarbeitern, die in Stromeyersdorf ein großes Büro hatten. Und mit ihnen allen feierte sie auch die große Einweihungsparty, als ihr altes Haus in neuem Glanz erstrahlte. Eines der vielen renovierten Schmuckstücke im Dorfkern Wollmatingens.
Historisches zum Quartier von Daniel Groß
Und noch einmal Engelsteig. In der rechten Haushälfte wohnen und arbeiten die Besitzer, der Architekt Thomas Klettner und sein Geschäftspartner Michael Imgrund. Wie sie in die zweigeschossige Scheunenhalle ihr Architekturbüro hineingebaut haben, das wäre einen eigenen Artikel wert. Doch das Augenmerk gilt dem Kleinhaus, wie es Klettner nennt, oder neudeutsch Tiny House, das er für sich dahinter in den Garten gebaut hat. Dort lebt er auf 32 Quadratmetern, das Haus ist an der schmalsten Stelle nur 160 Zentimeter breit! Ein Buch über „Small Architecture“ liegt auf der Treppe, das muss er wohl sehr genau studiert haben.

Erdgeschoss: Auf zwölf Quadratmetern gibt es einen befeuerbaren Herd, Küchenarbeitsplatte, Esstisch und eine Badewanne, die mit einem herunterklappbaren Holzdeckel zu einem Sofa wird. Klettner wohnte anfangs unter dem Dach des Fachwerkhauses vorne. „Aber ich brauche den Bodenkontakt, möchte ebenerdig hinaustreten können.“ Es gehe ihm um mehrdimensionale Räume, da sei die Größe nicht entscheidend. Niemand könne auf mehr als einem Quadratmeter stehen, die Welt sei endlich, so die Philosophie des Architekten.

Schmale Treppe hinauf, ein Sessel vor großen Fensterflächen, ebenso schmaler Gang zu einem Sofa, auf dem Gäste schlafen können, Leiter hinauf zum Schlafplatz mit Oberlicht, wo man nachts direkt in den Sternhimmel schauen kann. Und Klettner hat recht. An keinem Punkt fühlt es sich eng an. Faszinierend! Dazu die Fassade von ihm selbst in Kassettenform bemalt, ein Hobby. „Manchmal darf ich auch bei meinen Bauherren etwas an die Hauswände malen.“ Erst hätten die Nachbarn den Entwurf nicht gut geheißen. Aber als sie das Kleinhaus dann fertig gesehen hätten, fanden es alle sehr schön.
Und weiter geht es. Eigentlich lautet die Adresse Radolfzeller Straße 55. „Aber so findet das niemand.“ Sandra Fuchs würde gerne einen Straßennamen für ihren Zugang beantragen. Das passende Straßenschild hat sie selbst anfertigen lassen; es steht schon in ihrem Wohnzimmer: „Gasse zum Sack“. Neben einer ehemaligen Brauerei hat sie hier im sehr ländlichen Teil von Wollmatingen 2002 eine „völlige Abbruchhütte“, einen alten Hof, gekauft. Efeu wuchs durchs Dach, und wenn es regnete, stand beim letzten Bewohner das Wasser in der Küche.

Das „zweigeteilte Einhaus“ steht unter Denkmalschutz, außen musste es genauso erhalten werden, deshalb steht das alte Holzscheunentor immer noch geöffnet da, auch wenn der Scheuneneingang längst mit großflächigen Glaselementen geschlossen wurde. Sie habe ein Jahr erstmal Heu aus dem Heustock geschafft, alte Gerätschaften zutage gefördert und von Wänden und Decken marode Verschalungen gerissen.

„Unglaublich, was da alles zum Vorschein kam.“ Tierskelette zuhauf und Dreck, tonnenweise. Als sie sich an der Westwand zu schaffen machte, begann diese bedenklich zu wackeln. Ein Statiker musste her. Ein Hauptbalken war durchgefault, ein Betongürtel wurde eingezogen.
Allein im Scheunenteil fand Fuchs drei fünf Meter lange Heuwagen mit Holzrädern. Behalten hat sie nur ein kleines „Friitig-Wägele“, mit dem die Bauern ihr Gemüse zum Markt fuhren. Im Keller legte sie die alten Steinwände frei; im alten Stallteil steht heute noch ein mehr als fünf Meter langer Steintrog, aus dem die Kühe fraßen. Und für die herumfliegenden Fledermäuse hat sie einen ungeheizten Dachboden eingerichtet, einen „Fledermausspitz“.

Überhaupt der Innenausbau: Dort, wo früher der Heuwagen hinein- und vorne zum Scheunentor wieder herausfahren konnte, befindet sich ihr Wohnraum. Ach was, eine Halle ist das! Über die ganze Höhe des Hauses offen, links die Küche, rechts ein Wohnraum mit neuem Kachelofen, einigen historischen Möbeln und einer lebensgroßen Madonna aus Ton. Dann geht es in einem offenen Bereich Stiege um Stiege hinauf zu den oberen Etagen. Überall Balken, alte und neue neben- und übereinander, tragend und nachträglich eingezogen.
Sandra Fuchs kennt jede Ecke dieses Gehöfts, weil sie überall „gebuddelt“ hat. Balken abschmirgeln, ausgraben, abstützen, Bäder einbauen. So gibt es im Keller ein Klo mit Sitzheizung, das von innen beleuchtet ist, und oben eine Badewanne, in die man hinuntersteigt, die Brause ist oben am Balken befestigt, sodass man es einfach regnen lassen kann.
Sie selbst ist auf Baustellen großgeworden, zunächst im Gerstäckerweg, wo der Vater am Haus immer schon an- und umbaute. „Das hörte nie auf!“, sagt sie. Und hört selbst auch nicht auf. Im dazugekauften Grundstück hinter dem Hof baut sie gerade wieder. Auch dort wird es Decken mit Sichtbalken geben. Das Alte im Neuen sichtbar machen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Sandra Fuchs habe darin eine Lebensaufgabe gefunden.