Schon wieder trifft es die Familien. Erst ließ die Politik Kinder und Eltern während der Corona-Pandemie im Regen stehen, als sie monatelang Kitas und Schulen schloss. Dann erstreikten sich Erzieherinnen und Erzieher zwei zusätzliche Urlaubstage, die sie ohne Zweifel verdienen – doch Familien müssen zwei zusätzliche Schließtage verkraften, ohne selbst mehr Urlaub zu haben.
Nun sollen Eltern auch noch deutlich mehr für die Kinderbetreuung bezahlen. Im Schnitt steigt die Gebühr ab 2024 um ein Viertel – dabei wird momentan gefühlt alles teurer. Ausgerechnet in dieser Phase wollte die Stadtverwaltung die Kosten für die Betreuung auf einen Schlag um 35 Prozent erhöhen, ein neues einkommensabhängiges Gebührenmodell mit nur drei Stufen zu Grunde legen und das Ganze im Hau-Ruck-Verfahren durchziehen.
Gutverdiener sollten ursprünglich bis zu 70 Prozent mehr bezahlen als bislang. Das war weder klug noch gerecht. Denn während Bürger entscheiden können, günstigere Produkte einzukaufen oder weniger oft essen zu gehen, um den Geldbeutel zu schonen, ist Kinderbetreuung für viele Familien und Alleinerziehende unverzichtbar.
Doch dieses Mal hielten die Eltern, die sonst wenig Lobby haben und aus Zeitmangel kaum Protest organisieren können, nicht die Füße still. Sie schrieben eine Petition, setzten sich mit komplizierten finanziellen Fragen auseinander, traten in städtischen Sitzungen auf und wurden endlich laut. Dabei ist den Familien bewusst, dass Konstanz im Vergleich zu anderen Kommunen niedrige Kitagebühren hat und diese seit vielen Jahren nicht erhöht wurden.
Konstanzer Eltern fühlten sich von der Verwaltung überrumpelt
Auf den ersten Blick scheint es so, als ob Protest laut würde, weil liebgewonnene Privilegien weggenommen werden sollen. Doch dieser Fall liegt anders. Eltern forderten nicht plump den Erhalt des Status quo oder gar eine kostenlose Kita, sondern sie sehen die Not der Stadt, zu mehr Geld zu kommen. Das Wie aber stieß ihnen sauer auf. Sie fühlten sich von der Verwaltung überrumpelt und fanden deren ersten Entwurf unausgegoren.
Denn wenn schon das derzeitige System (alle Familien zahlen denselben Betrag pro Betreuungsstunde) durch ein einkommensabhängiges Modell ersetzt werden soll, dann bitteschön gerecht. Nur: Was heißt Gerechtigkeit? Bedeutet es, dass jemand, der eine Villa am See abbezahlt, über die Berechnung des verfügbaren Einkommens in dieselbe Gebührenstufe fällt wie eine Familie mit durchschnittlichem Verdienst? Bedeutet es, dass alle Eltern in nur drei Stufen eingeteilt werden und somit aufgrund der großen Spannen innerhalb der Stufen einen sehr unterschiedlichen Anteil ihres Einkommens für die Betreuung ausgeben?
Der Elterninitiative ist es zu verdanken, dass der erste Vorschlag nicht abgenickt wurde, sondern dass nach zähem Ringen ein Kompromiss gefunden wurde, der am Donnerstag, 23. November 2023, im Gemeinderat zur Abstimmung steht. Nun sollen Eltern in vier Einkommensstufen eingeteilt werden und bezahlen 85, 100, 115 oder 135 Prozent des angehobenen Sockelbeitrags. Damit können die meisten Familien leben. Denn Gerechtigkeit kann zwar bedeuten, dass alle gleich behandelt werden.
Gerechtigkeit kann aber auch heißen, dass Besserverdienende die Einkommensschwächeren entlasten, die genauso ihren Teil zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen. Schließlich ist es auch nicht gerecht, dass manche für ihre Anstrengung mehr Geld bekommen als andere, weil in der Wirtschaft mehr zu verdienen ist als zum Beispiel in der Pflege. Die neuen Kitabeiträge können einen gewissen Ausgleich schaffen.
Viele sind bereit zu zahlen – wenn auch die Leistung erbracht wird
Dennoch bleiben hinter dem neuen Gebührenmodell einige Fragezeichen stehen. Die freien Träger von Kitas tragen die Umstellung zunächst nicht mit, da sie ohnehin seit Jahren höhere Elterngebühren verlangen als städtische Einrichtungen. Das Ziel der Verwaltung und von Stadträten ist es aber, dass künftig alle Konstanzer Eltern nach demselben System bezahlen. Dies würde bedeuten, dass die freien Träger ihre Gebühren senken müssten und damit ihre Existenz gefährden. Denn anders als städtische Kitas müssen sie ihr Defizit selbst tragen.
Und es bleibt ein schaler Beigeschmack für Familien, deren Nachwuchs eine städtische Einrichtung besucht. Denn sie sind durchaus bereit, für die Kinderbetreuung angemessen zu bezahlen. Doch dann müssen sie auch Gewissheit haben, dass die Leistung stimmt.
Und da harzt es gewaltig. Erzieher fehlen überall, Kita-Öffnungszeiten müssen reduziert oder Einrichtungen zeitweise geschlossen werden. Auch die Qualität der Betreuung leidet, Personal ist ausgelaugt. Dass sie die Kinder oft eher beaufsichtigen als fördern, tut den Erziehern, die täglich ihr Bestes geben, selbst am meisten weh. Auch bei der Platzvergabe haben Familien nicht immer das Gefühl, dass es gerecht zugeht. Die Verwaltung hat deshalb die Aufgabe, weiter massiv Kitaplätze zu bauen und Erzieher zu suchen, damit die erhöhten Beiträge gerechtfertigt sind.
Ja, es stimmt: Es trifft schon wieder die Familien. Aber die wissen, dass sie nicht die einzige Gruppe sind, die tiefer in den Geldbeutel greifen muss – und dass sie ohne Unterstützung aller Bürger Beiträge in ganz anderer Höhe stemmen müssten. Schließlich fließt seit Jahren über ein Viertel des städtischen Haushalts in die Kinder-, Jugend- und Familienhilfe mit dem Schwerpunkt Kitas. Und der speist sich unter anderem aus Steuern – auch von Bürgern, die keine Kinder haben. Aber auch das ist ein Stück weit gerecht. Genauso wie Bürger ohne Auto den Straßenbau mitfinanzieren und Kulturmuffel, die nie in ein Konzert oder ins Theater gehen, die hoch subventionierten Karten mittragen. Das nennt sich Gemeinwesen.
Wenn wir es schaffen, nicht neidisch auf den Nachbarn zu schielen, sondern uns gegenseitig unter die Arme greifen, ist schon viel gewonnen. Dann haben auch die kleinsten Konstanzer, die heute noch in Krabbelgruppen betreut werden, eine lebenswerte Zukunft in ihrer Heimatstadt.