Was braucht‘s, um sich knapp 40 Jahre lang als Einzelhändler in Konstanz zu halten? Welche Rolle spielen die Schweizer Kunden für den Geschäftserfolg? Wie hat das Internet das Kaufverhalten verändert? Und wie hat sich das Coronavirus ausgewirkt? Einer, der Antworten auf diese Fragen kennt, ist Christian Schmid. Der 62-jährige steht in seinem im Vintage-Stil eingerichteten Moto-Shop-Konstanz, einem Fachgeschäft für Motorrad-Bekleidung in der Hans-Thoma-Straße in Petershausen.

Der Blick fällt auf eine große Regalwand mit Motorradhelmen. Die günstigsten Exemplare aus Polycarbonat kosten unter 100 Euro, bei den Spitzenprodukten aus Carbon und Kevlar liegt der Preis jenseits der 700 Euro. „Du musst alle Preissegmente abdecken und dich auf Messen über Neuheiten schlaumachen“, sagt der Dettinger, der in diesen Tagen seinen Laden an einen Nachfolger übergeben hat.

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Als Christian Schmid 1984 den Gewerbeschein beantragte, da machte er zunächst sein Zimmer in einer Wohngemeinschaft im Paradies zum Verkaufsraum. Bis dahin arbeitete der gelernte chemisch-technische Assistent an der Konstanzer Uni, später in der Schweiz und verdiente gutes Geld. Weshalb dann das Risiko, sich selbstständig zu machen? Nun, da war natürlich die Begeisterung für Motorräder und alles, was damit zu tun hat.

„Mit nur zwei, drei Kollegen den ganzen Tag in einem Labor stehen, das war nichts für mich, ich brauche Leben um mich herum“, sagt der Freund italienischer Motorräder. Der Smalltalk mit dem Kunden über dessen jüngste Motorradtour quer durch Schweden – das macht hat viel mehr Spaß als Reagenzgläser zu schütteln oder ins Mikroskop zu gucken.

Die Anfänge waren bescheiden

Ein Jahr später ergab sich für Christian Schmid die Gelegenheit, die Räume des Bekleidungsgeschäftes „Laden Kunterbunt“ zu übernehmen. Ein Bekannter eröffnete praktischerweise in direkter Nachbarschaft eine Motorradwerkstatt. Und woher kam das für einen Einzelhändler wichtige kaufmännische Wissen? „Von Freunden und Bekannten, die ich gelöchert habe“, erzählt Christian Schmid.

Wie bei so vielen Händlern, waren die Anfänge bescheiden. Zunächst verkaufte Schmid vor allem Kommissionsware auf Provision. Dann kamen die 90er-Jahre und mit ihnen der Motorrad-Boom. Schmid orderte direkt und entscheid sich auch gegen bestimmte Produkte: „Ich wollte immer nur Sachen verkaufen, hinter denen ich voll und ganz stehe.“ Denn es gebe Unternehmen, bei denen die Händler entweder das ganze Sortiment übernehmen müssten oder gar nicht. Doch Schmid wollte sich seine Entscheidungsfreiheit als freier, nicht markengebundener Händler nie nehmen lassen.

Christian Schmid hat es nie bedauert, freier und damit nicht markengebundener Fachhändler zu sein.
Christian Schmid hat es nie bedauert, freier und damit nicht markengebundener Fachhändler zu sein. | Bild: Niederberger, Holger

In den 2000er-Jahren dann die große Herausforderung: An der Laube machte eine Polo-Filiale auf. Die Kette zählt zu den führenden Anbietern von Motorradbekleidung und -zubehör, und der Store in Konstanz hatte ein Vielfaches der Fläche vom Moto-Shop. Damals habe er sich schon um seine Zukunft Gedanken gemacht, gibt Christian Schmid zu.

Doch schnell habe er gemerkt, dass immer wieder Kunden zu ihm kamen, die offenbar bei Polo zuvor nicht fündig geworden waren. Damit diese gleich wussten, dass es in Konstanz ein weiteres Geschäft für Motorradbekleidung gibt, ließ er eine direkt bei Polo stehende Litfaßsäule mit Werbung für seinen Laden bekleben. Polo hat den Standort Konstanz nach rund zehn Jahren wieder aufgegeben.

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Was Schmidt als Einzelhändler nach eigenen Worten immer wichtig war: das sich Einlassen auf neue Trends und Technologien. Längst sind High-Tech-Fasern neben Leder als Material für Motorradfahrerbekleidung getreten. Was haben die für Vor- und vielleicht auch Nachteile? Und welche Protektoren sind besser? Hartschalen oder solche, die erst unter Druck hart werden? „Da musst Du am Ball bleiben und dich schulen lassen“, unterstreicht der 62-Jährige. Eine gute Beratung des Kunden sei sowieso das Allerwichtigste als Einzelhändler.

Wenn Kunden Beratung stehlen

Doch genau da liegt das Problem. Vermehrt, so Schmids Beobachtung, betraten zuletzt solche Kunden den Laden, die sich genau über ein Produkt informieren ließen und beispielsweise bei Lederkombis verschiedene Größen anprobierten, bis die passende gefunden war – um sich mit einem Dankeschön zu verabschieden und das Produkt dann im Internet zu kaufen. Für Christian Schmid ist das Beratungsdiebstahl.

Ein klares Wort sagt er auch über Schweizer Kunden. Über die wird in sozialen Medien häufig geschimpft, sie spielten sich auf, seien arrogant. „Ich hatte hier überwiegend höfliche und freundliche Kunden“, sagt er.

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FFE – freundlich, fleißig, ehrlich, mit diesen drei Eigenschaften sei er immer gut gefahren, zieht Christian Schmid Bilanz. Und es habe sich bewährt, Kunden nie hochnäsig oder besserwisserisch zu begegnen. Denn Motorradfahrer merkten sehr schnell, ob da einer nur angelesenes Halbwissen von sich gibt oder aus eigener Erfahrung spricht und urteilt. Die Kunden wiederum erinnern sich gerne an Weihnachtsausfahrten im Dezember, Snow-Bike-Wochenenden in Vorarlberg und die Renntrainings, die er mit zwei Bekannten seit 1992 in Frankreich organisiert.

Was bringt die Zukunft? Der Neu-Ruheständler lächelt und sagt: „Jetzt bin ich dran mit Urlaub machen und Motorrad fahren.“