Es war eine Tat, deren Brutalität auch langjährige Ermittler schockierte: Luis G. wird am helllichten Tag in der Max-Stromeyer-Straße in ein Auto gedrängt. In einer Wohnung in Konstanz-Fürstenberg wird er dann stundenlang gequält, weil er angebliche Drogenschulden nicht bezahlt hat.
Die Peiniger filmen die Szenen, und nur mit einigem Glück kann sich der 19-Jährige aus ihrer Gewalt befreien. Was er durchlebt hat, lässt sich wohl am ehesten mit dem Wort Folter beschreiben – körperliche und seelische Qualen, bei denen man lieber gar nicht wissen will, welche Filme da Vorbild gewesen sein mögen.
Drei bis sechs Jahre Haft: Ein zu mildes Urteil?
Für die Staatsanwaltschaft kommen gleich mehrere Verbrechen zusammen. Als im November am Landgericht Konstanz der Prozess um die Tat an Ostern eröffnet wird, liest sich die Anklageschrift wie das halbe Strafgesetzbuch. Doch als die Große Strafkammer des Landgerichts ihr Urteil fällt, sieht sie nicht alle Punkte als erfüllt oder erwiesen. Dennoch müssen vier junge Männer, die Hauptangeklagten in diesem Verfahren, für drei bis sechs Jahre ins Gefängnis. Für die meisten ist es nicht das erste Mal, dass sie hinter Gitter müssen.
Wie lange sie allerdings in Haft bleiben müssen, das muss nun neu bewertet werden. Wie Mirja Poenig, Pressesprecherin des Landgerichts, dem SÜDKURIER auf Anfrage sagte, hat die Staatsanwaltschaft gegen die Urteile eingelegt, die die vier Hauptangeklagten betreffen.
Der Anwalt der Nebenklage – er vertritt die Interessen des Opfers – hat ebenfalls dieses Rechtsmittel eingelegt und dabei auch die beiden ebenfalls angeklagten jungen Frau eingeschlossen. Auch von der anderen Seite gibt es Klärungsbedarf: Die Vertreter des zu sechs Jahren Haft und damit am weitreichendsten verurteilten Theo R. haben das Urteil auch angefochten.
Damit ist der Schuldspruch noch nicht rechtskräftig, für die vier jungen Männer gilt weiterhin die Unschuldsvermutung, wenngleich sie in Teilen geständig waren. Offen bleibt damit auch das Strafmaß für einen brutalen Übergriff auf einen Hotelier und einen weiteren Mann in Radolfzell. Zwei der Angeklagten wird auch vorgeworfen, die beiden Männer misshandelt zu haben – bis hin zu Tritten gegen den Kopf, als das Opfer bereits auf dem Boden lag.
Staatsanwaltschaft forderte viel höhrere Haftstrafen
Wie unterschiedlich die angeklagten Delikte in der Gesamtheit bewertet werden, zeigte sich schon beim Urteil des Landgerichts Anfang Dezember. Beispiel Theo R.: Für ihn hatte die Staatsanwältin elf Jahre gefordert, der Anwalt des Folter-Opfers sogar eine an die Haft anschließende Sicherungsverwahrung. Das Gericht bleib weit dahinter zurück und urteilte mit sechs Jahren deutlich näher an den Vorstellungen von Theo R.s Verteidigung.
Waldemar B. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, die Staatsanwaltschaft hatte sieben Jahre und neun Monate gefordert. Bei Pascal S. schloss sich das Landgericht mit fünf Jahren dem Verteidiger an, die Anklage hatte wegen der besonderen Grausamkeit neun Jahre Haft gefordert. Auch bei Anis M. blieb das Gericht mit vier Jahren Freiheitsstrafe weiter hinter den von der Staatsanwältin geforderten achteinhalb Jahren zurück.
Haben die Angeklagten als Drogenbande gehandelt?
Im weiteren Verfahren werden nun unter anderem zwei Fragen im Vordergrund stehen: Wie brutal war die Entführung von Luis G., seine körperlichen Misshandlungen und seine seelischen Demütigungen und wurde das hinreichend gewürdigt? Und: Hat die 4. Strafkammer des Landgerichts den Anklagevorwurf, die vier jungen Männer hätten sich zu einer Bande zusammengeschlossen, um gemeinsam Drogen zu verkaufen, hinreichend in ihre Entscheidung aufgenommen?
Wie schnell der nun zuständige Bundesgerichtshof in diesen und weiteren Fragen zu einer Entscheidung kommt, ist ungewiss. Tempo ist schon deshalb geboten, weil die vier Tatverdächtigen weiterhin in Untersuchungshaft bleiben. Zu einer regelrechten Verhandlung wird es aller Wahrscheinlichkeit in Karlsruhe nicht kommen, die Entscheidung im Revisionsverfahren ergeht in der Regel schriftlich.
Ein Ergebnis könnte sein, dass die Revision verworfen wird und es bei den Urteilen von Anfang Dezember bleibt. Oder aber das Konstanzer Landgericht muss sich erneut mit den Straftaten beschäftigen.