Auf dem Konstanzer Hauptfriedhof zeigt sich Ende Oktober der Herbst in seiner vollen Pracht. Das Laub fällt von den Bäumen und färbt die Wege und Grabfelder in den unterschiedlichsten Rot- und Brauntönen. Ständig lösen sich weitere Blätter und segeln zu Boden.

„Für mich ist es natürlich ein Ort der Trauer, die Bestattung steht im Vordergrund. Wir haben hier aber auch einen Ort der Begegnung, soziale Kontakte sind hier sehr wichtig“, erklärt Andreas Baumann, Leiter des Friedhofbetriebs der Stadt Konstanz. Auch mit Blick auf Allerheiligen bekommt die Begräbnisstätte wieder mehr Aufmerksamkeit und wird erst recht zu einem Ort der Begegnung.

Andreas Baumann, Leiter der Technischen Betriebe auf dem Konstanzer Friedhof: „Wir haben hier aber auch einen Ort der Begegnung, soziale ...
Andreas Baumann, Leiter der Technischen Betriebe auf dem Konstanzer Friedhof: „Wir haben hier aber auch einen Ort der Begegnung, soziale Kontakte sind hier sehr wichtig.“ | Bild: Esteban Waid

Natur, Begegnungsraum, Trauerstätte. Der Friedhof ist vieles – auch ein Hüter der Geschichte. Ob persönliche Schicksale, historische Ereignisse, Stadtgeschichte. Zahlreiche Grabmäler sind aus diesem Grund denkmalgeschützt. Weil sie entweder handwerklich besonders gearbeitet sind, künstlerisch bedeutend oder weil die Personen, die dort begraben liegen, historische Relevanz haben. Auch in Konstanz lassen sich spannende Geschichten finden, die unter anderem Bildhauer Alexander Gebauer kennt.

„Man darf nicht vergessen, dass es sie auch gab“, sagt Bildhauer und Künstler Alexander Gebauer über die Bedeutung jüdischer Familien ...
„Man darf nicht vergessen, dass es sie auch gab“, sagt Bildhauer und Künstler Alexander Gebauer über die Bedeutung jüdischer Familien für die Stadt Konstanz. | Bild: Esteban Waid

„Früher stand am Kreuzlinger Zoll ein riesiger gusseiserner Hirsch und jeder, der über den Zoll musste, sah ihn, das hat sich eingeprägt“, erzählt Gebauer bei einem Rundgang über den Friedhof. Diese Hirsch-Figur habe im Garten des jüdischen Konstanzers Salomon Picard gestanden, erklärt der Bildhauer, der schon seit Kindertagen in Konstanz lebt. Die Familie Picard hat sich aber nicht nur durch diesen Hirsch in das Gedächtnis der Stadt und seiner Bürger eingeprägt. Davon zeugt auch das Grabmal der Familie.

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Einer der ersten gefallenen Konstanzer im Ersten Weltkrieg war Jude

Zwischen zwei Gebüschen, versteckt und von Moos bewachsen, befindet sich das Picard-Grab. Ganz oben, über dem seines Vaters Salomon, steht der Name „Dr. Jur. Max Picard“ auf dem ungefähr zwei Meter großen Stein. Unter seinem Namen steht das Todesjahr 1914, links daneben das Eiserne Kreuz. Max Picard gehörte zu den ersten Konstanzern, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland ihr Leben ließen. Er war einer von drei Söhnen Salomon Picards, die sich freiwillig an die Front gemeldet hatten.

Die Inschrift auf dem Grab von Max Picard: Zwischen Geburts- und Todesjahr ist ein Eisernes Kreuz zu sehen. Es zeugt davon, dass Picard ...
Die Inschrift auf dem Grab von Max Picard: Zwischen Geburts- und Todesjahr ist ein Eisernes Kreuz zu sehen. Es zeugt davon, dass Picard im Ersten Weltkrieg gefallen ist. | Bild: Timm Lechler

Das Schicksal der Familie Picard bewegte damals viele Menschen in der Stadt. „Max Picard wurde unter der Anteilnahme der ganzen Konstanzer Bevölkerung mit Musik und einem großen Marsch von der Stadt über die Schneckenburgstraße hier auf den jüdischen Friedhof begleitet“, erzählt Alexander Gebauer. Diese Geschichte berühre ihn bis heute.

Es zeige, wie bedeutend jüdische Familien damals für die Stadt Konstanz waren. Und auch, dass deutsche Juden wie viele andere bereit waren, für ihr Vaterland in den Krieg zu ziehen. Nur zwei Jahrzehnte später wurden Juden von dem Land verfolgt und systematisch ermordet, für das ihre Vorfahren ihr Leben gelassen hatten.

Die Grabreihen auf dem jüdischen Teil des Konstanzer Friedhofs.
Die Grabreihen auf dem jüdischen Teil des Konstanzer Friedhofs. | Bild: Timm Lechler

Die bedeutende Familie Stromeyer

Nur wenige Meter weiter, außerhalb des jüdischen Friedhofs, befindet sich ein weiteres Grabmal, das ebenfalls einen Teil der Konstanzer Geschichte widerspiegelt. Drei Tafeln mit den Namen der Verstorbenen, gesäumt von einer Anordnung mehrerer hoher Säulen. Es ist das Grab der Familie Stromeyer, Angehörige der Konstanzer Wirtschaftselite.

Das Grabmal der Familie Stromeyer ist durch Säulen gesäumt.
Das Grabmal der Familie Stromeyer ist durch Säulen gesäumt. | Bild: Esteban Waid

Die Stromeyers gründeten die gleichnamige Textil- und Planenfabrik, wie Frank Mienhardt, Denkmalschützer der Stadt, erklärt. Hier hat Max Stromeyer, Konstanzer Oberbürgermeister im späten 19. Jahrhundert, seine ewige Ruhe gefunden. Ebenso Ludwig Stromeyer, der die Textilfirma gegründet hatte.

„Das ist das Interessante: Es ist wie ein Familienbuch und damit auch ein stadtgeschichtliches Buch, das wir hier aufgeschlagen finden“, sagt Mienhardt, während er auf das Monument blickt. Aus welchem Jahr das Grabmal genau stammt, wurde nie datiert. Es wird aber vermutet, dass das Familiengrab seit dem frühen 20. Jahrhundert existiert.

Frank Mienhardt, städtischer Denkmalschützer: „Es gibt nicht nur die Grabmäler, die eine ausgesprochene Bildhaftigkeit haben. Es sind ...
Frank Mienhardt, städtischer Denkmalschützer: „Es gibt nicht nur die Grabmäler, die eine ausgesprochene Bildhaftigkeit haben. Es sind manchmal auch ganz einfache Grabsteine, die wir auch auf der Liste haben.“ | Bild: Hanser, Oliver

Verschiedene Formen von Gräbern

Geht man den Weg vom Stromeyer-Grab weiter in Richtung Osten lassen sich verschiedene Grabformen entdecken. So findet man etwa schnell zwei Gruften. Hier liegen die Verstorbenen zwar unter der Erde, die Gräber sind aber theoretisch über eine Leiter oder ähnliches zugänglich. Sie zeugen vom Wohlstand der hier begrabenen Familien.

Aber auch weniger Spektakuläres steht auf der Liste des Denkmalschutzes. „Es gibt nicht nur die Grabmäler, die eine ausgesprochene Bildhaftigkeit haben. Es sind manchmal auch ganz einfache Grabsteine, die wir auch auf der Liste haben“, erklärt Denkmalschützer Mienhardt.

Nicht alle Grabmäler sind auffällig gestaltet. Auch schlichte Formen stehen auf der Liste des Denkmalschutzes.
Nicht alle Grabmäler sind auffällig gestaltet. Auch schlichte Formen stehen auf der Liste des Denkmalschutzes. | Bild: Timm Lechler

Auch das Material der Gräber erzählt eine Geschichte, denn nicht alle bestehen ausschließlich aus Stein. Beispielsweise das Grab der Familie Baader. Auf einem großen Granitblock, auf dem die Namen der Familie stehen, thront ein Trauerengel, der eine Rose in Richtung Grab fallen lässt.

„Das ist fast schon ein Symbol für einen Friedhof“, sagt Mienhardt und erklärt, dass auch dieses Grab zu den bedeutendsten Beständen auf dem Friedhof zählt. Erst kürzlich wurde die Plastik, die innen hohl und außen von Metall ummantelt ist, aufwendig restauriert.

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Friedhof zeigt auch den gesellschaftlichen Wandel

Ein anderer Teil der Geschichte, die der Friedhof erzählt, ist die eines Wandels. „Wesentlich sind auch die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich auf einem Friedhof ablesen lassen“, sagt Gebauer. So würden sich immer weniger Menschen traditionell beerdigen lassen wollen.

Ein Wandel der Lebensrealität lasse sich auch an den Gräbern selbst ablesen, die immer schlichter werden. „Entscheidend ist, dass der Friedhof als Ort des Totengedenkens aktuell bleibt“, meint Mienhardt. Deshalb versucht auch die Konstanzer Ruhestätte moderner zu werden. Neue Formen werden erdacht.

Schiefe Säulen schieben sich über das starre Raster des Friedhofs. Der Stelen-Garten ist eine neue Form, wie Gräber aussehen können und ...
Schiefe Säulen schieben sich über das starre Raster des Friedhofs. Der Stelen-Garten ist eine neue Form, wie Gräber aussehen können und die auf viel Anklang stößt. | Bild: Esteban Waid

Im westlichen Teil des Geländes ragen zwischen den normalen, aber weniger werdenden Gräbern kleine schiefe Säulen in den Himmel. Auf ihnen stehen die Namen, der darunter beerdigten. Der sogenannte Stelen-Garten, der von Bildhauer Gebauer konzipiert wurde, bahnt sich einen Weg quer über das klassische Raster des normalen Friedhofs.

Der Konstanzer Friedhof ist ein Ort des Abschieds und der Begegnung, ein Ort der Geschichte und Hüter der Geschichten. Hier trauern die Konstanzer gemeinsam und hier ruhen ihre Vorfahren – ob gefallener Soldat oder stadtbekannter Fabrikant.