Die fast frei schwebenden Dachfenster auf dem ausgebrannten Hotel Viktoria am Radolfzeller Bahnhof haben Gesellschaft bekommen. Zwischen den verkohlten Dachbalken wächst ein Baum heraus und macht in seiner Eleganz dem Kirchturm Konkurrenz. Hat was, sagen die einen, hat gar nix, sagt Siegfried Lehmann, Fraktionsvorsitzender der Freien Grünen Liste (FGL) im Gemeinderat. Er will dem grünen Wachstum an dieser Stelle nicht länger tatenlos zusehen.
Sind die Passanten noch sicher?
In der öffentlichen Fraktionssitzung der FGL hat der Stadtrat seinem Ärger über den Zustand des im Juli 2016 ausgebrannten Gebäudes Luft gemacht: „Ist das Ganze noch sicher?“, stellte Lehmann die entscheidende Frage, um sie dann gleich selbst zu beantworten: „Ich halte das für nicht verantwortbar, wenn da etwas herunterfällt.“ Lehmann will jetzt beim Eigentümer die Daumenschrauben anziehen. Der Gemeinderat soll zuerst einen Bebauungsplan aufstellen, indem die Ausmaße eines künftigen Baukörpers klar festgelegt sind. Der Bebauungsplan soll mit einer Veränderungssperre belegt werden, damit ein Bauherr sich sofort an die neuen Regeln dieses Plans halten muss.
Damit nicht genug. Lehmann wünscht sich ein schnelleres Handeln der Stadtverwaltung: „Es gibt einen Leitfaden für verwahrloste Immobilien, da drin stehen alle Instrumente, die es braucht, um einen Abbruch anordnen zu können.“ Denn das gehe gar nicht: „Radolfzell schimpft sich Tourismusstadt und leistet sich so einen Schandfleck.“ In diesem Punkt stimmt die FGL sogar mit der FDP-Fraktion überein. Die ist im Frühjahr mit einem Plakat der Brandruine sogar in den Gemeinderatswahlkampf gezogen. Darauf stand: „Damit das nicht unser Wahrzeichen bleibt! Das Bauprojekt Viktoria voranbringen.“
Eigentümer und Verwaltung haben unterschiedliche Vorstellungen
Das Bauprojekt voranbringen, das würde Bernhard Bihler als Geschäftsführer der Gesellschaft Hall Immobilienbesitz und Beteiligungsverwaltungsgesellschaft auch. „Bereits im April 2016 nach dem Kauf und der Übernahme des Gebäudes sind wir direkt in die Planung eingestiegen“, erläutert Bihler auf Nachfrage. Von seiner Gesellschaft seien mehrere Projektvorschläge mit Planungen bei der Stadt vorgestellt worden. Doch sie fanden im Rathaus keinen Gefallen. Die Meinungen zwischen den von Bihler beauftragten Architekten und den beteiligten Fachleuten bei der Stadt sowie dem Denkmalamt und dem Gestaltungsbeirat seien zu unterschiedlich ausgefallen.
Zwei Bauvoranfragen sind gestellt
Ein erster Zwischenschritt im Verfahren verbucht Bernhard Bihler als Erfolg: „Zwischenzeitlich konnten wir eine Planung präsentieren, die als möglich eingestuft wird.“ Doch immer noch seien grundlegende Fragen des Baurechts und des Nachbarschaftsrechts offen. Eine entsprechende Bauvoranfrage sei bereits im Jahr 2018 gestellt worden. Aber nach Einsprüchen durch einen Nachbarn hätte diese Bauvoranfrage nicht zu einer Klärung geführt. „Deshalb wurde von uns in diesem Jahr nochmals eine zweite Bauvoranfrage zur Klärung der Grundlagen gestellt, die im Augenblick noch in Bearbeitung ist“, schreibt Bihler zum Stand des Verfahrens.
Investor muss Gutachten bringen
Auch zur Sicherheit der Ruine nimmt Bihler Stellung. Es seien nach dem Brand Sicherungsmaßnahmen durchgeführt worden. Aufgrund einer Anfrage der Stadt zur Standsicherheit sei „unsererseits aus Sicherheitsgründen ein Teilabbruch des Gebäudes“ beantragt worden. Bihler rechnet nicht damit, dass die Stadt selbst mit einer Ersatzvornahme den Abriss anordnet: „Das ist meines Erachtens nicht möglich.“
In der Stadtverwaltung wird das Thema Ersatzvornahme – also Abriss durch die Stadt selbst, die Kosten werden dem Eigentümer in Rechnung gestellt – etwas anders beurteilt. Auf Anfrage teilt die Pressestelle mit: „Derzeit wird geprüft, inwieweit dieses rechtliche Instrumentarium angewandt werden kann.“ Die Grundlage dafür sei ein vom Investor in Auftrag gegebenes Gutachten. Die Stadtverwaltung gehe derzeit von der Standsicherheit des Gebäudes aus.
„Wir hoffen auf Umsetzung“
Den Vorwurf des „Schandflecks„ mag Bernhard Bihler so nicht stehen lassen: „Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, welches an einer schnellen Umsetzung des Objektes stark interessiert ist.“ Die bisherigen Planungs- und Projektkosten lägen weit über dem geplanten Budget. Doch: „Wir hoffen auf eine baldige Umsetzungsmöglichkeit.“