„Ich hatte mich sehr auf die Geburt gefreut, aber jetzt?" Die Enttäuschung über das Ende der Geburtshilfe am Radolfzeller Krankenhaus ist Jennifer Schleining deutlich anzusehen. Die 29-Jährige aus Wangen ist im vierten Monat schwanger und hätte gerne, so wie vor drei Jahren bei ihrer ersten Tochter Jasmin-Magdalena, auch dieses Kind in Radolfzell bekommen. Die Nachricht über die Schließung hat sie zutiefst verunsichert. Für Jennifer Schleining bedeutet es auch, dass sie ihre vertraute Hebamme nicht mehr mit in den Kreißsaal nehmen kann. Dies war ihr sehr wichtig gewesen. „In Radolfzell war es so familiär, ich habe mich gut aufgehoben gefühlt. Ich bin sehr traurig, dass es die Station nicht mehr geben wird.“

Jetzt wollen sie und ihr Mann Walerij Schleining das Klinikum Konstanz für die Geburt ins Auge fassen. Sorge machen sie sich vor allem, um die Erreichbarkeit. „Der Verkehr nach Konstanz ist immer schlimm, vor allem in den Sommermonaten“, sagt die werdende Mutter, die Ende August ihr zweites Kind erwartet. Für ihre Familie und ihren Mann mit Tochter sei es viel umständlicher sie in Konstanz im Krankenhaus zu besuchen. Dennoch wollen sie unbedingt daran festhalten, denn: Eine Entbindung in Singen können sich beide nicht vorstellen. Es sei so groß und aus ihrem Bekanntenkreis hätten einige Frauen auch negative Erfahrungen in Singen gemacht, sagt sie.

Aufatmen kann hingegen Ramona Zimmermann. Die 29-Jährige aus Orsingen ist im 9. Monat schwanger, das Kind könnte jeden Moment kommen. Da die Belegärzte bis zum 24. März den Betrieb noch gewährleisten, ist sie eine der letzten Frauen, die in Radolfzell ein Kind bekommen können. Doch auch sie hat sich schon Gedanken über mögliche Alternativen gemacht. "Hätte die Geburtshilfe früher geschlossen, wäre ich für die Entbindung nach Überlingen gegangen", sagt sie. Wie auch Jennifer Schleining war eine Entbindung in Singen, trotz der Nähe, keine Alternative. Zwei ihrer Bekannten seien im vergangenen Jahr wegen Platzmangel auf der Entbindungsstation in Singen abgewiesen worden, berichtet Ramona Zimmermann. Diesem Risiko habe sie sich nicht aussetzen wollen. Warum jetzt die Geburtshilfe in Radolfzell schließt, ist für die 29-Jährige unverständlich.

Abgewiesen am Singener Kreißsaal, das kennt auch Sarah Mävers aus Erzählungen ihrer Freundinnen. Die Stockacherin hält ihre Tochter Talitha im Arm. Das Baby ist gerade einmal vier Tage alt und in Radolfzell zur Welt gekommen. Wie auch ihr älterer Bruder Raphael vor vier Jahren. Die negativen Berichte ihrer Freundinnen über das Singener Klinikum über Personalmangel und Unterbesetzung sowie die Größe der Einrichtung haben sie dazu bewogen, in Radolfzell zu entbinden.

Andrea Jagode, Pressesprecherin des Klinikverbundes bestätigt einen Hebammen-Engpass am Singener Klinikum vergangenes Jahr. Aus diesem Grund habe man über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten auch mal Frauen abweisen müssen. "Diesen Engpass haben wir behoben", versichert Jagode.

Von Lippenbekenntnissen und der Angst um das Krankenhaus Radolfzell

Zum angekündigten Ende der Geburtenstationen gibt es ein einhelliges Bedauern aus den Gemeinderatsfraktionen

Bernhard Diehl, CDU: "Es ist schlimm für Radolfzell und sehr schade, dass die Ärzte aufgegeben haben. Ich will keine Schwarzen Peter hin- und herschieben, das hilft nicht mehr. Als nächstes wird die 24-Stunden-Versorgung fallen. Der Gemeinderat hat sein Möglichstes getan, die Leidtragenden sind die Bürger."

Siegfried Lehmann, FreieGrüne Liste: "Die Situation ist deprimierend. Die Stadt hat alle möglichen Zusagen gegeben, aber nicht die nötige Unterstützung vom Gesundheitsverbund bekommen. Hat Radolfzell eine Lösung präsentiert, sind immer neue Steine in den Weg gelegt worden. Zum Schluss hat der Gesundheitsverbund die Karte der Notifizierung als Notbremse gezogen, um die Lösung mit der Bestellung zu verhindern. Der Landrat ist für den Gesundheitsverbund mit dem Versprechen angetreten, die Versorgung in der Fläche zu halten. Der Gesundheitsverbund hat viel Vertrauen verloren. Die Menschen verstehen das nicht, dass eine angesehene und gut laufende Geburtenstation geschlossen wird. Das trägt zur Politikverdrossenheit bei."

Jürgen Keck, FDP: "Leider blieben alle Versuche, die Geburtshilfe in Radolfzell zu unterstützen, erfolglos. Als die exorbitante Steigerung der Haftpflichtversicherungsprämien für Ärzte und Hebammen bekannt wurde, hatte ich einen Antrag an die Landesregierung gestellt. Bei der Behandlung des Antrages wurde mir klar, welche Rolle auch das Sozialministerium spielte. Alle Versuche zum Erhalt der Geburtshilfe wurden negiert, mit Fallstricken versehen und ich wage zu behaupten, das war gewollt. Für mich ist klar, dass trotz aller Lippenbekenntnisse durch die Klinikleitung das Radolfzeller Krankenhaus über kurz oder lang geschlossen werden soll. Wenn 500 Geburten im Jahr und mehr nicht mehr auskömmlich sein sollen, wie soll die Anästhesie und damit die 24 Stunden-Versorgung noch funktionieren?"

Walter Hiller, Freie Wähler: "Ich empfinde tiefstes Bedauern, dass die Ärzte nicht durchgehalten haben. Das war meine Hoffnung. Stadtverwaltung und Gemeinderat haben alles gemacht, was ging. Vielleicht hätten wir das Thema früher anpacken müssen. Es stirbt ein Stück Radolfzell."

Norbert Lumbe, SPD: "Ich empfinde das Ganze als Niederlage. Wir haben gegen viele Widerstände über Monate gemeinsam im Gemeinderat mit dem OB für die Erhaltung der Geburtshilfe gekämpft. Allerdings können die politischen Gremien nichts daran ändern, dass wir in Radolfzell nicht ohne einen dritten Gynäkologen weitermachen können. Direkt vor dem Ziel war diese Hoffnung trügerisch. Das Notifizierungsverfahren hat sich als weniger problematisch erwiesen, als wir angenommen haben. Ich befürchte, dass wenn die Anästhesie nicht mehr bereit stehen muss, der Gesundheitsverbund auch die Notfallversorgung abziehen wird. Dann bricht ein weiterer Stein aus dem Krankenhaus Radolfzell weg."