Radolfzell – Udo Biller rollt vorsichtig auf dem Marktplatz im Schatten eines Baumes beim Münsterbrunnen die ein Meter fünzig breite und drei Meter lange Leinwand aus. Dazu kommen noch zwei Einzelstücke, die links und rechts auf den Rand der Leinwand gelegt werden. Links schwebt ein Mann auf einem Teppich, rechts ist einem Stier ein Kopf aufgesetzt. Die beiden Gezeichneten waren in Radolfzell Personen der Zeitgeschichte – Markus Komp war bis zum Abflug 2012 Kurdirektor auf der Mettnau und Jörg Schmidt diente bis zu seiner Ernennung als Ministerialdirektor im Kultusministerium des Landes 2013 in Radolfzell als Oberbürgermeister.

Udo Biller hat die Lenk'sche Skulptur "Kampf um Europa" als Gemälde mit lokalen Bezügen überarbeitet

Komp und Schmidt nehmen auf dem Prospekt – also der Kulissenmalerei für den Narrenspiegel 2013 – eine Hauptrolle für die Szene "Miss Europa in der Seemeile" ein. Dieses Gemälde über die Skulptur "Kampf um Europa" des Bildhauers Peter Lenk ist im Gegensatz zum Original mit hohen Herren der Stadt Radolfzell besetzt. Diese Arbeit stellt nun der Bühnenmaler der Narrizella-Garde statt im Milchwerk nun ein zweites Mal auf dem Marktplatz aus, um Teil der musikalischen Inszenierung "Bilder einer Stadt" der Stadtkapelle Radolfzell am Freitag, 29. Juni, zu werden. Dieses Gemälde und fünf andere aus seiner Werkstatt als Kulissenmaler hat Udo Biller zusammen mit Thomas Kauter, Gardist und Trompeter in der Stadtkapelle, für das Ereignis ausgesucht.

Sechs Gemälde und 60 Musiker der Stadtkapelle

Kauter, kreativer Kopf in der Garde und begeisterter Musiker, fand es schade, dass die Bühnenbilder von Udo Biller nur beim Narrenspiegel zu sehen sind: "Er fängt die Stadt einfach in faszinierenden Perspektiven und Stimmungen ein." Das sei die Grundidee für das Konzert gewesen: Die Stadt mit diesen anderen Bildern darzustellen und mit einer entsprechenden Musik der Stadtkapelle zu untermalen. Nur eine Beschränkung hatten Kauter und Biller bei der Auswahl zu überwinden – nicht alle Szenen, die jemals das Licht der Narrenspiegelbühne gesehen haben, sind verfügbar: "Ich habe viele Prospekte wieder übermalt, wir müssen Leinwand sparen, die ist teuer", sagt Udo Biller.

Wo die zwei Fächer Musik und Malerei aufeinandertreffen, dort ist eine erhöhte Aufmerksamkeit gewiss. Kuno Rauch, Dirigent der Stadtkapelle Radolfzell, weist vorab darauf hin, so ernst sei die ganze Sache nicht zu nehmen. Zwar wandelt die Stadtkapelle mit der Aufführung "Bilder einer Stadt" auf Modest Mussorgskys Pfaden, doch so viel Musik gebe es gar nicht für Radolfzell, schränkt Rauch ein. Zwei Stücke spielt die Stadtkapelle aus Mussorgskys Werk "Bilder einer Ausstellung", die der Komponist im Jahr 1874 als eine Hommage auf die Gemälde und Zeichnungen seines im Jahr zuvor gestorbenen Freundes Viktor Hartmann geschrieben hatte. Danach schlägt die Stadtkapelle die Noten anderer Komponisten wie Albert W. Ketélby oder Alan Menken auf (siehe Erklärstück unten).

Wenn es dunkel wird, leuchten die Strahler die Bilder an

Zu den Musikstücken ist während des Konzerts die Enthüllung der sechs Gemälde von Udo Biller geplant. Eines nach dem anderen. Sie sollen rund um den Marktplatz aufgestellt und nach der Enthüllung mit Scheinwerfern angeleuchtet werden. Schon aus diesem Grund kann das Konzert erst um 21 Uhr beginnen. "Das wirkt erst, wenn es dunkel ist. Ich hoffe, wir bekommen auf dem Marktplatz einen Effekt wie in einem Konzertsaal hin", sagt Thomas Kauter. Ganz sicher kann er sich nicht sein, denn: "Wir können es vorher nicht probieren."

Veranstalter hoffen auf gutes Wetter an diesem Juni-Abend

Der Marktplatz wird mit 500 Plätzen bestuhlt, Stehplätze gibt es so viele, wie da sind. "Etwa 300", glaubt Kauter. Das Konzert kostet keinen Eintritt, "Spenden werden angenommen" (Rauch). Es bewirten der Münsterbauverein und der Förderverein der Musikschule. Damit die Besucher einen besseren Bezug zu Gemälden und der Musik finden, hat die Stadtkapelle Lothar Rapp als Moderator verpflichtet.

Kann eigentlich kaum etwas schief gehen. Doch, eine Kleinigkeit, bemerkt Kauter: "Das Wichtigste ist, dass wir gutes Wetter brauchen." Bei Regen oder zu starkem Wind fällt der orchestrierte Spaziergang durch die Stadt Radolfzell aus. Worauf aber alle hoffen: ein Sternenhimmel für zwei Stunden Kunstgenuss auf dem Marktplatz.

Die musikalische Verbeugung vor den Malern

Von Mussorgskys Werk zur Radolfzeller Deutung beim Abendkonzert auf dem Marktplatz

  • Musikalisches Programm: Für ihr Sommerkonzert "Klassik auf dem Marktplatz" haben die rund 60 Musiker der Stadtkapelle diese Stücke für ihre "Bilder einer Stadt" ausgesucht: "Promenade" und "Das große Tor von Kiew" aus Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky, "Auf einem Persischen Markt" von Albert W. Keélby, "Die Bremer Stadtmusikanten" von Hayato Hirose, "New York Ouvertüre" von Kees Vlak, "Der Glöckner von Notre Dame" von Alan Menken, "Copacabana" von Barry Manilow – am Schluss wird gepfiffen bei der "Berliner Luft" von Paul Lincke. Musikalische Leitung: Kuno Rauch. Bilder: Udo Biller. Gestaltung: Thomas Kauter. Mitveranstalter: Kulturbüro der Stadt Radolfzell. Bewirtung: Förderverein Musikschule Radolfzell und Münsterbauverein. Beginn des Konzerts am Freitag, 29. Juni, ist um 21 Uhr. Der Eintritt ist frei.
  • Bilder einer Ausstellung: Der Klavierzyklus von Modest Petrowitsch Mussorgsky (1839-1881) ist früh von anderen Komponisten für Orchester und andere Instrumentalbesetzungen bearbeitet worden. Am geläufigsten ist die Bearbeitung von Maurice Ravel. Im Originalwerk beschreibt Mussorgsky zehn Bilder von Viktor Hartmann. Der russische Architekt, Bildhauer und Maler deutscher Abstammung (1834-1874) war in St. Petersburg im Hause eines Onkels aufgewachsen. Nach Hartmanns Tod im Alter von nur 39 Jahren wurden 1874 in der Akademie der Künste in St. Petersburg über 400 Bilder für eine Gedächtnisausstellung zusammengetragen. Hartmanns Gemälde sollen Mussorgsky zur Komposition "Bilder einer Ausstellung" angeregt haben. (Quelle: Wikipedia)
  • Der Radolfzeller Maler: Seit 1953 kümmert sich Udo Biller (79) um die Kulissen beim Narrenspiegel der Narrizella Ratoldi. Zuerst half er als Lehrling seinem Vater Karl Biller, nach dessen Tod übernahm Udo Biller die ganze Arbeit. Das A und O für ein Prospekt – so nennen die Theatermacher das fertige Bühnenbild – sind für den Malermeister zwei Dinge: "Die Perspektive muss stimmen und es geht um den Wiedererkennungswert." Die Bühnenbilder sind im Laufe der Jahre auch größer geworden. Grund dafür war der Umzug des Narrenspiegels 1993 von der kleineren Bühne im Scheffelhof auf die größere Bühne im Milchwerk. Seine Malerwerkstatt hat Udo Biller im "Griene Winkel" vor der alten Stadtmauer. (bec)