Eigentlich hätte diese Verhandlung nicht stattfinden müssen. Der 25-jährige Angeklagte, ein geduldeter Asylbewerber aus Afghanistan, hatte sein Urteil bereits schriftlich mit der Post erhalten. Für die Verbreitung von kinderpornographischem Material wurde er in einem vereinfachten Strafverfahren zu einer Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Gegen diesen Strafbescheid hatte der Angeklagte Einspruch erhoben. So kam es zu der Verhandlung vor dem Radolfzeller Amtsgericht, die jedoch ohne Ergebnis endete.

Sein Anwalt will eine Strafe abwenden, um jeden Preis

Der Anwalt des jungen Mannes zog jedes ihm zur Verfügung stehende Mittel, um eine Verurteilung abzuwenden. Denn für den Asylbewerber stand weit mehr auf dem Spiel als nur eine Bewährungs- und Geldstrafe: Nach einer Verurteilung würde er vermutlich in sein Herkunftsland abgeschoben werden.

Ob er sich seiner straffälligen Taten bewusst war, das wurde aus der Verhandlung nicht ersichtlich. Auf die Fragen des Staatsanwaltes und Richterin Ulrike Steiner redete sich der 25-Jährige um Kopf und Kragen, wurde gegen Ende der Sitzung fast unmöglich.

Das Gespräch wurde mittels eines Dolmeteschers geführt, der in Paschtunisch übersetzte. Die Antworten des jungen Mannes waren trotz der Übersetzung nicht wirklich aufschlussreich.

Er soll zwei Mal Videos weitergeleitet haben, die Weiterleitung allein ist schon eine Straftat

Der 25-Jährige soll an einem Juni-Tag im Jahr 2018 ein Video mit einschlägigem kinderpornographischem Inhalt mit seinem Handy über den Facebook-Messenger weitergeleitet haben. Zehn Tage später soll er erneut einen ähnlichen Film über diesen Messenger-Dienst erhalten und weitergeleitet haben.

Bei einer Hausdurchsuchung etwa ein Jahr später habe die Polizei auf dem Handy des Angeklagten einen weiteren Film mit kinderpornographischem Inhalt sichergestellt. So lautete die Anklage der Staatsanwaltschaft. Da diese den Sachverhalt als eindeutig wertete, wurde das Verfahren schriftlich geführt. Erst durch den Einspruch kam es zur Verhandlung.

Ein Bekannter schickt Videos

Er habe die beiden Video von einem Bekannten zugeschickt bekommen, den er jedoch kaum kannte, beteuerte der junge Mann, der diesen Monat eine Ausbildung als Elektriker angefangen hatte. Er habe dann den ersten Film an einen guten Freund weitergeleitet, um ihn zu fragen, was er damit machen solle, so seine Aussage. Dieser habe ihm dringend geraten, die Datei zu löschen, da diese illegal sei. Dies habe er dann auch getan.

Angeklagter behauptet, nicht gewusst zu haben, was er damit machen solle

Immer wieder beteuerte er, er habe mit Kinderpornographie nichts am Hut und so etwas gäbe es in Afghanistan, wo er aufgewachsen sei, gar nicht. Der Film habe ihn entsetzt, doch er habe auch nicht gewusst, wie man eine Datei löscht.

Das Handy schien für den 25-Jährigen, der laut eigenen Angaben nur vier Jahre die Schule in Afghanistan besucht hatte und danach als ältester Sohn mit seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft arbeitete, ein großes Mysterium zu sein. Er habe es nicht einmal geschafft, sich einen eigenen Facebook-Account anzulegen, auch da habe ihm ein Freund helfen müssen, sagte er.

Plötzliche Gedächtnislücken

Warum er dann, zehn Tage nachdem er das erste Video erhalten und weitergeleitet hatte, den zweiten Film ebenfalls an jenen guten Freund sendete, darauf hatte er dann keine Erklärung mehr. Ab diesem Zeitpunkt setzte auch sämtliches Erinnerungsvermögen des Angeklagten aus. Er gab an, nicht klar denken zu können und entschuldigte sich mehrfach für sein Verhalten.

Er wisse nicht mehr, welchen Film er wann weitergeleitet hatte. Richterin Steinert klärte anhand der Ermittlungsakten auf: beide. Er habe nicht gewusst, dass Kinderpornographie strafbar sei, deswegen habe er seinen Freund um Hilfe gebeten.

Für den Staatsanwalt war dies zumindest subjektiv ein Schuldeingeständnis. Die Filme erhalten und weitergeleitet zu haben, das bestritt der 25-Jährige nämlich nicht. Doch Unwissenheit schütze vor Strafe nicht, so der Staatsanwalt.

Ein Gutachter als letzte Chance

Sein Anwalt zog dann die letzte Karte, die ihm in dieser Situation noch blieb: Er forderte ein Gutachten zur Schuldfähigkeit des Angeklagten ein. Seiner Argumentation nach, könne der junge Mann, der angeblich Analphabet sei, der Verhandlung intellektuell nicht folgen. Ob er in diesem geistigen Zustand voll schuldfähig sei, solle nun ein Gutachter bewerten.

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Die vorsitzende Richterin Ulrike Steiner ließ den Angeklagten mittels Dolmetscher über die Konsequenzen eines solchen Gutachtens aufklären: Das Gutachten würde nicht nur die Schulfähigkeit klären, sondern auch die Gefährlichkeit, die eventuell von ihm als Täter ausgehe.

Und ein solches Gutachten könne einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik nach sich ziehen. Der 25-Jährige, der mit seiner Freundin aktuell in Freiburg wohnt, aber noch in Radolfzell gemeldet ist, fing daraufhin an zu weinen.

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Staatsanwalt und Richterin rieten dem Verteidiger, doch die Strafe aus dem schriftlichen Verfahren zu akzeptieren. Im Lauf des Verfahrens würde diese nur noch höher ausfallen, so die Einschätzung der beiden. Doch der Rechtsverteidiger blieb dabei zu versuchen, jegliche Strafe von seinem Mandanten fernzuhalten, damit dieser nicht abgeschoben werden könne.

Seine Duldung sei nur bis November gültig, dann müsse die Ausländerbehörde aufs Neue entscheiden. Durch seinen Ausbildungsplatz hatte er eigentlich gute Karten in Deutschland bleiben zu dürfen. Das Verfahren muss zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.