Radolfzell ist deutlich mehr gewachsen, als geplant war. Diese gefühlte Wahrheit ist immer wieder Thema, wenn es in den politischen Gremien um die benötigte Anzahl an Kitaplätzen oder Klassenzimmern für Grundschulen geht. Der Eindruck, die Kinderzahlen würden perspektivisch schrumpfen, bestätigte sich in Radolfzell zumindest nie – trotz statistischer Berechnung. Nun wird das durch die aktuelle Bevölkerungsvorausrechnung faktisch untermauert. Der freie Statistiker Tilman Häusser fertigte für die Stadt eine erneute Vorausrechnung an, in der er auch aufarbeitet, dass seine letzten Berechnungen alle übertroffen wurden.
So prophezeite eine Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes im Jahr 2016 ein Wachstum in der Stadt auf 32.509 Einwohner bis zum Jahr 2028. Bis 2028 ist es noch ein bisschen hin, doch wurde diese erwartete Einwohnerzahl längst erreicht. Ende 2024 lebten laut Zensus bereits 32.813 Menschen mit Hauptwohnsitz in Radolfzell. Zwischen 2017 und 2024 stieg die Einwohnerzahl der Stadt Radolfzell um 1620 Personen, also um 5,2 Prozent an.
Stadt hat mehr gebaut als anfangs geplant
Als Gründe dafür nennt Häusser zum einen die überplanmäßige Bautätigkeit der Stadt zwischen 2009 und 2023. In einer seiner ersten Berechnungen von 2009, die bis zum Jahr 2025 reichen sollte, rechnete Häusser mit maximal 1277 neuen Wohneinheiten, die gebaut werden sollten. Real wurden allerdings 1891 Wohneinheiten gebaut, was aus seiner Sicht ein Grund für den starken Bevölkerungszuwachs war.
Zuwanderung durch Kriege und Fachkräftemangel
Als zweiten Grund nennt Häusser die Zuwanderung aus dem Ausland ab dem Jahr 2022, vor allem durch Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine. Lebten 2017 nur 35 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Stadt, waren es Ende 2024 schon 398 Personen. Bereinigt man die Zahlen, so wäre Radolfzell ohne den Zuzug aus dem Ausland sogar geschrumpft. Zwischen 2010 und 2024 gibt es bei den Personen mit deutschem Pass ein Minus von 588 Personen, bei Menschen mit Migrationshintergrund gibt es in diesem Zeitraum allerdings ein Plus von 3582 Personen.
Doch seien nicht nur Kriege und politische Konflikte ein Grund für Zuwanderung aus dem europäischen Ausland. Auch der Fachkräftemangel in vielen Branchen sei eine Ursache für all die Neubürgerinnen und -bürger in der Stadt. Laut Statistik gehen rund 70 Prozent des Einwohnerzuwachses auf nicht-deutsche Menschen zurück.
Zuzug von Familien aus Konstanz und der näheren Region
Doch trotz allem sind auch etliche deutsche Familien nach Radolfzell gekommen. Laut Häusser sind diese vor allem aus Konstanz und der näheren Region in die Ortsteile nach Böhringen, Güttingen, Markelfingen, Liggeringen und in die Radolfzeller Nordstadt gezogen.
Wegen der Neubaugebiete sind laut der statistischen Berechnung Markelfingen, Böhringen und die Nordstadt deutlich gewachsen. Dort sollen mindestens 100 Menschen mehr leben als zuvor, in viele der Neubaugebiete sind hauptsächlich junge Familien mit Kindern eingezogen. Dies war die Konsequenz der Bauplatzvergabe der Stadt Radolfzell, die Familien mit kleinen Kindern bevorzugt hatte.
So überrascht es auch nicht, dass vor allem die Altersgruppen der 35- bis unter 45-Jährigen und der unter Zehnjährigen zusammen mit den höheren Altersgruppe von 65 Jahren und älter zugenommen haben. Deutlich geschrumpft ist die Altersgruppe von 45 bis 65 Jahren, wobei hier viele in die nächsthöhere Altersgruppe gewachsen sind, so der freie Statistiker.
Böhringen und die Nordstadt werden deutlich wachsen
Der Blick in die Zukunft fällt laut Tilmann Häusser wage aus. Er berechnet anhand verschiedener Szenarien einen entweder sehr deutlichen Bevölkerungsanstieg bis zum Jahr 2040 von 7,4 Prozent, also in Zahlen 2433 Personen. Oder nur einen sehr geringen Anstieg von 1,9 Prozent, einem Plus von gerade einmal 639 Personen bis 2040.
Im ersten Szenario mit dem starken Anstieg ist vor allem die Bautätigkeit in Böhringen und in der Kernstadt verantwortlich dafür. In Böhringen wird der letzte Bauabschnitt des Neubaugebiets Hübschäcker nochmals für neuen Wohnraum sorgen, in der Kernstadt steht die Entwicklung des Bahnhofsareals sowie der finale Ausbau der Nordstadterweiterung auf dem Plan.
So sind es auch exakt diese Ortsteile, die bis 2040 mit dem größten Bevölkerungszuwachs rechnen müssen. Laut der Vorausrechnung soll die Nordstadt im Szenario mit dem höchsten Anstieg um fast zehn Prozent wachsen, im Szenario mit dem geringsten Wachstum noch immer um plus 4,8 Prozent. Für Böhringen sind es sogar satte 18,4 Prozent im höchsten Szenario und 9,4 Prozent, wenn man vom geringsten Anstieg ausgeht.
Vergleicht man andere Ortsteile, sehen die Zahlen deutlich anders aus. Markelfingen würde entweder nur noch 2,5 Prozent (1. Szenario) wachsen oder sogar um zwei Prozent schrumpfen (2. Szenario). Möggingen schrumpft in beiden Rechnungen, im Schnitt aus beiden aber um fünf Prozent.