Viele Menschen sind mit einem knappen Wohnungsmarkt und steigenden Mieten konfrontiert. Doch auch auf der Angebotsseite, dem Wohnungsbau, sehen sich sozialorientierte Akteure wie die Baugenossenschaften in einer Not: Bauen ist teuer und dauert lange. Denn Baukosten sowie Bauzinsen sind gestiegen und neuerdings mangelt es auch in der Baubranche an Fachpersonal, außerdem an Bauflächen.

Gleichzeitig gilt es, den eigenen Wohnungsbestand energetisch zu modernisieren und in eine klimaneutrale Zukunft zu führen. Auch das altersgerechte Wohnen durch den demografischen Wandel will umgesetzt werden. Und um das Dreieck aus der ökonomischen, ökologischen und sozialen Verantwortung komplett zu machen, sollen die Mieten bezahlbar bleiben.

Kurzum: Der Neubau steckt in einer Krise. Gerne würde zum Beispiel die Baugenossenschaft Familienheim Bodensee mehr bauen, betonen bereits seit Jahren deren Vorsitzende Stefan Andelfinger und Marco Bächle. Doch die Rahmenbedingen seien alles andere als optimal.

Wohnungsbau erlebte schon einige Krisen

Ausgerechnet in solch schwierigen Zeiten feiert die Baugenossenschaft Familienheim Bodensee mit Sitz in Radolfzell Jubiläum. Zum 75-jährigen Bestehen sprach bei der Hauptversammlung der Prüfdirektor vom Verband Baden-Württembergischer Wohnungsunternehmer, Gernot Schober, ein Grußwort an die Mitglieder und skizzierte darin die aktuelle Situation und vergangene Entwicklungen. Dass die Arbeit einer Genossenschaft nicht immer einfach war und ist, zeige die aktuelle Situation in der Wohnungswirtschaft: Sie gleiche einer Quadratur der Kreises, um alle aktuellen Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen, sagte Schober.

Der Prüfdirektor vom vbw-Verband, Gernot Schober, richtete Grußworte an die Mitglieder der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee mit ...
Der Prüfdirektor vom vbw-Verband, Gernot Schober, richtete Grußworte an die Mitglieder der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee mit Sitz in Radolfzell. Darin erklärte er, welche Entwicklungen zur heutigen Situation bei Wohnungsbau geführt haben und welche Lösungen es gibt. | Bild: Georg Lange

Die Baubranche habe schon öfters vor herausfordernde Zeiten gestanden, holte er in Erinnerung: Beispielsweise bauten nach dem Krieg die Wohnungsunternehmen trotz extremen Material- und Geldmangel Wohnungen und sicherten so die Wohnraumversorgung im Land. Die Ölkrisen in den 1970er-Jahren bescherten Mietern plötzlich hohe Mietnebenkosten. Die erste Wärmeschutz-Verordnung zwang die Wohnungsunternehmen zu Maßnahmen, um Energie im eigenen Bestand und im Neubau zu sparen.

Fataler Irrtum um die Jahrtausendwende

Mit der Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit Anfang der 1990er-Jahre waren die Wohnungsunternehmer frei, neue Geschäftsfelder anzukurbeln. Wie bei der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee verzichteten viele Genossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen auf die Steuererleichterungen zugunsten einer Erweiterung der Betätigungsfelder. Ein Schritt, der mehr Knowhow und mehr finanzielle Mittel in die Unternehmen brachte, sagte Schober – allerdings auch Herausforderungen.

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Der Mauerfall veränderte die Lage auf den Wohnungsmärkten dramatisch. In kürzester Zeit zogen viele Menschen von Ost nach West, weil sie hier Arbeit fanden. Aber der Wohnungsbedarf stieg weiter: Zu Beginn dieses Jahrhunderts hieß es, so Schober, dann fälschlicher Weise „Deutschland ist fertig gebaut – wir werden weniger und älter“. Der Wohnungsbau sei so praktisch zum Erliegen gekommen. Die Politik fuhr die Förderung herunter, belegte das Bauen aber mit immer mehr Vorschriften und Vorgaben.

Schober zitiert hier das Institut der Deutschen Wirtschaft: Es schätzt, dass sich die Bauvorschriften zwischen 1990 und 2020 fast verdreifacht habe. Inzwischen gebe es 20.000 Einzelregelungen.

Vorschriften erschweren den Neubau

Diese Neuregelungen kommen aus dem Klimaschutz, dem Sparen von Energie, der Barrierefreiheit, der Inklusion, der Lüftung, dem Brand- und Schallschutz sowie aus der Erdbebensicherheit, der Trinkwasserhygiene und Digitalisierung, der Nachhaltigkeit und dem Recycling – obgleich sich die Situation durch die Finanzkrise 2008 und Flüchtlingskrise 2015 deutlich geändert habe. Menschen aus der Europäischen Union, aus Syrien, der Ukraine und aus anderen Staaten kamen zusätzlich nach Deutschland – teilweise vorübergehend, teilweise um zu bleiben. Mit der Folge, dass der Wohnungsbedarf weiter wuchs und kaum gedeckt werden konnte.

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Als Vertreter vom Verband der Baden-Württembergischen Wohnungsunternehmen fordert Gernot Schober daher von Land und Bund bessere Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau und für den Wohnungsbestand. „Wir fordern mehr Förderung, eine deutliche Reduzierung der Standards und der Vorschriften, die das Bauen unnötig verzögern und auch verteuern“, sagte Schober.

Er fordert die Konzentration auf die Dekarbonisierung der Energie-Erzeugung anstelle auf die Energieeffizienz. Nur so könne man viel Klimaschutz erreichen. Inzwischen habe es vom Bundesverband auf europäischer Ebene Gespräche gegeben. Gernot Schobers Fazit lautet: „Wir hoffen auf deutliche Erleichterungen.“

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Welche Lösungen gibt es?

Von der Bundesregierung fordere der Bundesverband, dass das Bauen ins überragende öffentliche Interesse gestellt werde. Das würde heißen, dass der Wohnungsbau – wie die Windenergie – als vorrangiges Ziel in Abwägungsfragen anerkannt wird. Zudem fordert er, dass Zinsförderung und serielle Bauweisen vorangetrieben werden.

Schober zeigt sich überzeugt: „Neue Technologien, serielles Bauen und modulare Konzepte können wirklich helfen, Zeit und Kosten zu sparen. Und wenn gleichzeitig gezielte Zinsstützungen erfolgen, dann könnten Mieten im Bereich von 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter vielleicht möglich bleiben oder auch möglich werden.“