Die Diskussionen über ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in Radolfzell reißen nicht ab, auch unabhängig vom Krankenhausgebäude. Vor Kurzem fand ein Treffen zwischen der Stadt, den Bürgermeistern der Höri-Gemeinden, den Fraktionsvorsitzenden sowie Ärzten aus der Region statt. Thema war die künftige Gestaltung der medizinischen Versorgung – und der mögliche Bedarf eines MVZ. Es könnte theoretisch als Facharztzentrum, für die Notfallversorgung oder zur Sicherung von Hausarztsitzen dienen. Doch was sagen die Beteiligten dazu?

Kann ein MVZ bei der Notfallversorgung helfen?

Die Stadt schreibt: „Zum Thema MVZ gibt es in der Ärzteschaft unterschiedliche Ansichten.“ So sagt der Radolfzeller Hausarzt Wolfgang Schöller, der auch in Moos Sprechstunden anbietet: „Einen Bedarf der Ärzte oder der Patienten für ein MVZ sehe ich nicht.“ Ein MVZ erfülle nur die selben Aufgaben wie die Ärzte in ihren Praxen. „Es würden dadurch weder mehr Leistungen noch andere Öffnungszeiten angeboten werden“, erklärt er.

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Die Notfallversorgung in Radolfzell und der Höri sei tagsüber durch die vorhandenen Praxen gesichert. Am Abend und am Wochenende seien die Kliniken im Kreis im Notfall rasch erreichbar. Bei akuten, schweren Erkrankungen gebe es Notfallpraxen. Eine Entlastung ist laut Schöller hier eher zu erreichen, wenn diese Angebote nicht mehr bei leichten Erkrankungen aufgesucht werden würden.

Fachärzte sind sich nicht ganz einig

Gerold Schmid sieht das ähnlich. Er leitet das ambulante OP-Zentrum mit vier angestellten Ärzten. „De facto sind wir ja schon wie eine Art MVZ, nur ohne die bürokratischen Hürden“, sagt er. Die Vorteile lägen auf der Hand: Teilzeit, Vertretung, Flexibilität. Ein richtiges MVZ befürwortet aber auch er nicht. So sagt er über das Treffen vor wenigen Wochen: „Selbst Hardliner haben dort eingesehen, dass man ein fachärztliches MVZ nicht braucht.“

„Selbst Hardliner haben dort [bei dem Treffen vor wenigen Wochen] eingesehen, dass man ein fachärztliches MVZ nicht ...
„Selbst Hardliner haben dort [bei dem Treffen vor wenigen Wochen] eingesehen, dass man ein fachärztliches MVZ nicht braucht“, sagt Chirurg Gerold Schmid. | Bild: Gerold Schmid

Denn die Notfallversorgung mit nächtlichen Öffnungszeiten lasse sich in einem MVZ nicht rentabel betreiben. Er selbst decke in seiner jetzigen Praxis 20 bis 30 Notfälle am Tag ab. Das laufe nebenher. Ein reines Facharzt- oder Notfall-MVZ lohne sich deshalb nicht. „Für mich wäre ein Umzug nicht attraktiv“, sagt er.

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Auch der HNO-Arzt John Thiericke, aktuell noch in einer Gemeinschaftspraxis mit Markus Steinwaller im ehemaligen Krankenhausgebäude tätig, stimmt zu, dass ein MVZ keine Notfallversorgung leisten könne. Im Bereich der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde könne ein Facharztzentrum, das auch operiert, dennoch denkbar sein, findet er. Schließlich sei die nächste HNO-Klinik in Villingen-Schwenningen.

Könnte ein MVZ Haus- und Facharztsitze sichern?

Mit Blick auf die Nachfolgersuche älterer Kollegen und die Hausärzte sagt Thiericke zudem: „Langfristig werden solche Gemeinschaftsstrukturen interessant, um Sitze zu halten. Denn auch unter jungen Ärzten und Ärztinnen gibt es einige, die eine Anstellung gegenüber der Selbständigkeit bevorzugen.“ Viele Kollegen fänden deshalb keine Nachfolger mehr für ihre Einzelpraxis. Er wolle ein MVZ daher nicht kategorisch ausschließen.

„Langfristig werden solche Gemeinschaftsstrukturen interessant, um Sitze zu halten. Denn junge Ärzte, vor allem Frauen, bevorzugen ...
„Langfristig werden solche Gemeinschaftsstrukturen interessant, um Sitze zu halten. Denn junge Ärzte, vor allem Frauen, bevorzugen Modelle, in denen Teilzeit und Anstellungen möglich sind, anstatt eigener Praxen“, sagt HNO-Arzt John Thiericke. | Bild: Mario Wössner

Sein Kollege Gerold Schmid stimmt zwar zu, dass es für die Hausärzte in einem MVZ einfacher sein könnte, Nachfolger zu finden. Doch das Problem seien die Betreiber: Die Stadt wolle es aus finanziellen Gründen nicht übernehmen und einen externen Investor finde er nicht gut. Schmid sagt daher: „Die Zeit der Einzelpraxen ist zwar vorbei, das will keiner mehr. Aber es kommen eher Gemeinschaftspraxen in Frage als ein MVZ.“

Auch Hausarzt Wolfgang Schöller sagt: „Es gibt keine Idee, wie eine kommunale Trägerschaft aussehen könnte, da die hohen Investitionen und die laufende Finanzierung und Organisation völlig offen sind.“ Zudem sei selbst bei einer Praxis in einem MVZ nur mit geringen Ablösen beim Renteneintritt zu rechnen. Daher lohnten sich diese Investitionen für langjährige Hausärzte nicht.

Welche Planungen gibt es auf der Höri?

Laut Bürgermeister Andreas Schmid sei die hausärztliche Versorgung in Öhningen schon länger Thema. „Mit zwei Hausarztpraxen sind wir derzeit noch gut versorgt. Allerdings ist absehbar, dass Ärzte in den Ruhestand gehen“, sagt er. Im Zusammenhang mit dem Wohnbauprojekt in der Poststraße denke man daher auch über eine größere Arztpraxis nach. „Dieses Projekt wollen wir 2024 planerisch auf den Weg bringen. Ob die ärztliche Versorgung über ein MVZ oder eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis gesichert wird, ist dann zweitrangig“, so Schmid.

„Das Potenzial für ein Mini-MVZ in Öhningen ist da“, sagt der Öhninger Hausarzt Michael Otto.
„Das Potenzial für ein Mini-MVZ in Öhningen ist da“, sagt der Öhninger Hausarzt Michael Otto. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Man blicke dabei auch nach Radolfzell, da ein MVZ mit mehreren Standorten Vorteile bringen könne. Daher arbeiten beispielsweise Gottmadingen und Gailingen im Hegau zusammen. Eine alleinige Bündelung der hausärztlichen Versorgung in Radolfzell könne jedoch aufgrund der langen Wege nicht das Ziel sein. „Die fachärztliche Versorgung sehe ich aber wie bisher in Singen und Radolfzell“, sagt Schmid.

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Der 62-jährige Michael Otto, der seine Hausarztpraxis in Öhningen betreibt und erste Schwierigkeiten bei der Nachfolgersuche hat, bestätigt: „Das Potenzial für ein Mini-MVZ in Öhningen ist da.“ Er und sein Öhninger Kollege Thomas Allgäuer überlegen daher, ihre Praxen in Zusammenarbeit mit der Gemeinde zusammenzulegen, um eine solche Struktur für potenzielle Nachfolger präsentieren zu können.

Was haben Gaienhofen und Moos vor?

In Gaienhofen liege so etwas hingegen „weit jenseits des faktisch Realisierbaren“, teilt Bürgermeister Jürgen Maas mit. Der Ort habe durch frühzeitige Praxis-Nachfolgeregelung die Versorgung aber schon gesichert. Maas macht sich daher mittelfristig keine Sorgen. Angesichts anstehender Praxisschließungen in der Region „finde ich es aber dennoch grundsätzlich sinnvoll, hier langfristig über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus zu denken“, sagt Maas.

„Ich finde ich es grundsätzlich sinnvoll, hier langfristig über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus zu denken“, sagt ...
„Ich finde ich es grundsätzlich sinnvoll, hier langfristig über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus zu denken“, sagt Jürgen Maas, Bürgermeister von Gaienhofen. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Laut dem Mooser Bürgermeister Patrick Krauss sei die Gemeinde selbst mit der Teilzeit-Praxis von Wolfgang Schöller mit Anbindung an dessen Radolfzeller Praxis derzeit noch gut versorgt. Allerdings gibt es drei freie Hausarztstellen in Gebiet Radolfzell/Höri. Die Höri-Gemeinden und Radolfzell seien daher grundsätzlich in Gesprächen über „verschiedenste Varianten“, um die ärztliche Versorgung zu sichern.

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Die Stadtverwaltung Radolfzell plant in jedem Fall weitere Gespräche mit den Ärzten und den Austausch mit den Höri-Gemeinden. Einer interkommunalen Zusammenarbeit stehe man offen gegenüber. „Die Ärzte, mit denen wir bislang in Kontakt stehen, haben größtenteils signalisiert, sich an einem weiteren Austausch beteiligen zu wollen“, schreibt die Stadt zum weiteren Vorgehen.