Trotz des riesigen Hilfsprogramms der Bundesregierung schlägt der Reichenauer Gewerbeverein Alarm. „Klar, das klingt schön“, meint der Vorsitzende Joachim Sauer. Aber wenn er genauer hinschaue, stelle er fest, dass dies kräftig nachgebessert werden müsste. So solle es zwar finanzielle Soforthilfen für Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern geben, was für die Reichenauer Betroffenen gilt, aber nur für Miete, Leasingraten sowie Kredite für Betriebsräume. So stehe es in einer offiziellen Mitteilung, die er vom Bundestagsabgeordneten Andreas Jung erhalten habe.

„Das ist auf eine Großstadt zugeschnitten“, meint Sauer. Die Hauptschwierigkeit der Reichenauer Betriebe sei es, die Mitarbeiter weiter zu bezahlen, bis das Kurzarbeitergeld greife, sowie Verbindlichkeiten für gelieferte Ware. „Wir würgen alles ab, je länger die Phase des kompletten Stillstands dauert“, meint Sauer. „Das zieht sich quer durch alle Branchen.“

41 Betriebe nehmen an Umfrage teil

Der Gewerbeverein hat eine Umfrage zu den Auswirkungen der Corona-Krise gemacht, an der sich 41 Betriebe beteiligt hätten, so Sauer. „Mehr als die Hälfte des lokalen Gewerbes ist bereits direkt von den Einschränkungen betroffen“, sei ein Ergebnis. Von diesen 22 Betrieben sähen neun ihre Existenz bereits in den nächsten zwei Monaten bedroht, sechs weitere würden maximal vier Monate durchhalten.

„Neun Betriebe mussten aufgrund der verordneten Schließung ihre Arbeit komplett einstellen“, so Sauer weiter. Ferner seien Auswirkungen auf die Produktion bereits deutlich zu spüren. Auch im Baugewerbe, das bislang noch einigermaßen reibungslos laufe, seien Lieferengpässe absehbar und würden schon Aufträge verschoben.

Gastgewerbe besonders betroffen

„Besonders hart trifft es die Gastronomie und Hotels, denn hier ist der Umsatz komplett eingebrochen“, betont Sauer. Im Tourismus seien zudem die Einbußen auch später nicht mehr wett zu machen, weil Tische und Betten ja nur einmal belegt werden können. Tourismus-Chef Karl Wehrle bestätigt: „Es ruht alles. Wir fahren im Tourismus auf Null.“ Neben den Gaststätten haben mittlerweile auch alle Hotels auf der Reichenau geschlossen.

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Immerhin habe die Regierung das Stichdatum geändert, bis wann es keine touristischen Übernachtungen geben dürfe. In der Verordnung vom 17. März war hier der 15. Juni genannt, was Wehrle im SÜDKURIER kritisiert hatte, weil bis dahin kostenlose Stornierungen möglich seien. Nun stehe in der Verordnung vom 22. März der 19. April, der als vorläufiges Datum für Schließungen gilt. „Beim Hilfsprogramm muss man sehen, wie es sich entwickelt und wie die Abwicklung läuft“, meint Wehrle.

Appell an die Bevölkerung

Gerade für Gastronomie und Übernachtungsbetriebe wäre es aber wichtig, wenn möglichst bald erlaubt werde, wieder vorsichtig hochzufahren. „Man kann ja auch Sorge tragen, dass Kontakte minimiert und Abstände eingehalten werden“, meint Wehrle. Dass einige Gaststätten nun einen Abhol- oder Lieferservice anbieten, solle die Bevölkerung nutzen, um die Betriebe zu unterstützen, appelliert Wehrle.

Ramazan Yilmaz vom kleinen Löwen ist einer von mehreren Reichenauer Gastronomen, die jetzt einen Abhol- und Lieferservice für Essen ...
Ramazan Yilmaz vom kleinen Löwen ist einer von mehreren Reichenauer Gastronomen, die jetzt einen Abhol- und Lieferservice für Essen anbieten. Das werde aber wenig genutzt, berichtet er. | Bild: Zoch, Thomas

Darüber wäre zum Beispiel Ramazan Yilmaz vom Kleinen Löwen sehr froh: Sein Abhol- und Lieferangebot werde leider bisher nur wenig genutzt, nur ein paar Essen mittags und abends. „Ich hatte viel mehr gedacht“, so Yilmaz. Doch er wisse von Bekannten aus Konstanz, dass es dort genauso sei. Er habe seinen Festangestellten in Kurzarbeit und seine Aushilfen nach Hause geschickt, erklärt er. Nur beim Kochen helfe ihm stundenweise eine Aushilfe.

Händler fürchten die Online-Konkurrenz

„Beim Einzelhandel besonders betroffen sind die Bereiche Kleidung, da hier Kollektionen bereits gekauft sind, die finanziert werden müssen“, erklärt Joachim Sauer vom Gewerbeverein. Als Beispiel nennt er Inges Badelädele. Er befürchtet, dass nun viele Kunden den Onlinehandel nutzen und damit dem örtlichen Handel doppelt schaden, weil sie anschließend nicht dort einkaufen würden. Sauer appelliert, lieber das Geld zu sparen bis nach der Corona-Krise.

Der Einzelhandel wie hier Inges Badelädele ist besonders betroffen, weil auf der Reichenau die Touristen viel einkaufen.
Der Einzelhandel wie hier Inges Badelädele ist besonders betroffen, weil auf der Reichenau die Touristen viel einkaufen. | Bild: Zoch, Thomas

Doch auch der Lebensmittelhandel auf der Reichenau spüre die Krise bereits, weil die Touristen fehlen. „Die Bäcker sagen, wir haben für diese Jahreszeit zu wenig Umsatz“, berichtet Sauer – zumal die Bäcker auch Hotels beliefern würden. Als Beispiel im sonstigen Gewerbe nennt Sauer den Betrieb Planofil, der Bootsplanen vertreibt. „Dort läuft so gut wie nichts.“

Und er selbst sei mit seinem Aktiv-Verlag massiv betroffen. Für die nächste Ausgabe seiner Zeitschrift „Video aktiv“ seien alle Anzeigen storniert, diese werde werbefrei. Zudem seien seine Hauptabsatzstellen Läden in Bahnhöfen und Flughäfen, wo nun die Reisenden fehlen, so Sauer: „Das ist der Super-Gau.“

Erste Auswirkungen auf Handwerker

In den Baugewerken gebe es derzeit noch vergleichsweise wenig Auswirkungen, sagt Sauer. Aber es zeichne sich ab, dass Materiallieferungen aus Italien und Spanien ausbleiben würden. Auch wenn die Gewerke hiervon unterschiedlich betroffen seien, könne sich dies auf Baustellen auf andere Betriebe auswirken. „Wenn ein Gewerk hakt, haken früher oder später auch die anderen Gewerke“, meint Sauer.

Zimmermann Thorsten Schneider bestätigt das. Er habe zwar aktuell genug Holz, aber es sei schon schwieriger, welches zu bekommen. Die Lieferanten würden dies einschränken, weil sie zu viel zu tun hätten. Manche Zimmerei würde auf Vorrat kaufe, aus Angst, dass es bald nichts mehr gebe. Zudem würden zum Teil Fahrer oder Lagermitarbeiter fehlen. Und ferner sei da die Unsicherheit, was auf Baustellen noch erlaubt sei, wie viele Leute dort gleichzeitig arbeiten dürften.

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Als er jüngst im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses zusammen mit zwei Elektrikern beschäftigt gewesen sei, habe ein Mieter moniert, man müsse das Arbeiten einstellen, weil nicht gewährleistet sei, dass maximal zwei Leute tätig sind, erzählt Schneider.

Er habe bei der Handwerkskammer nachgefragt, aber keine konkrete Antwort bekommen – sondern den Verweis auf die aktuell gültigen Verordnungen. Und Schneider berichtet auch von einem – zumindest – aufgeschobenen Auftrag in einem Gastronomiebetrieb, das werde es wohl noch ein paar Mal geben, schätzt er. „Die warten erst Mal ab, wie es weitergeht.“