Monika Brumm, die Leiterin des Amts für Migration und Integration beim Landratsamt (LRA), und Bürgermeister Wolfgang Zoll sagen, sie könnten verstehen, wenn Leute Sorgen und Ängste hätten. Es sei wichtig, die Bürger zu informieren, anzuhören und ernst zu nehmen. Doch beide meinen auch, die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass die Bedenken weniger würden, wenn eine Gemeinschaftsunterkunft (GU) in Betrieb sei.

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  • Was ist geplant? Die GU soll im Gewerbegebiet Tellerhof auf das Grundstück neben dem Feuerwehrgerätehaus. Gedacht ist sie für maximal 100 Flüchtlinge, die erst kurz in Deutschland sind. Der Landkreis plant einen Komplex aus sechs zweigeschossigen Containergebäuden. Fünf davon sind für Wohnnutzung gedacht, eines für Mitarbeiter des Landratsamts. Brumm erklärt, wie bei jeder GU werde es eine Heimleitung, Sozialarbeiter und einen Hausmeister geben, die sowohl für Bewohner wie auch für Nachbarn Ansprechpartner seien. Außerdem fahre eine Sicherheitsfirma Streife. Der Pachtvertrag läuft über zehn Jahre.
  • Wie ist die Lage? Reichenau hat aktuell 238 Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung (AU) untergebracht, also Menschen, die zuvor längere Zeit in einer GU waren. Damit hat die Gemeinde das vom Landratsamt berechnete Soll erfüllt. Aber da immer mehr Flüchtlinge kämen, die der Kreis aufnehmen müsse, werde auch das Aufnahme-Soll der Kommunen steigen, so Brumm. Allerdings werden die Flüchtlinge, die dann in der GU sind, der Gemeinde angerechnet.
    Sprich: Die Gemeinde muss dann bis zu 100 Leute weniger selbst und auf eigene Kosten unterbringen. Brumm erklärt, dem Landkreis seien vom Land im August 204 Flüchtlinge zugewiesen worden, davon 106 aus der Ukraine; im September habe man 232 Menschen aufgenommen, davon 57 Ukrainer. Für Oktober seien 171 Personen angekündigt, und mit rund 60 weiteren Ukrainern sei zu rechnen. Der größte Anteil komme ansonsten aus Syrien und Afghanistan.
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  • Wie ist es andernorts? Der Landkreis hat aktuell 18 GUs unterschiedlicher Größe, erklärt Brumm. In diesen GUs seien 1668 Menschen untergebracht. Auch in kleineren Gemeinden wie Gaienhofen, wo es in einem ehemaligen Internatsgebäude 67 Plätze gebe, in Allensbach in einem Mietshaus mit bis zu 56 Plätzen, in Gottmadingen in einer alten Schule seien es 200 Plätze sowie in Leichtbauhallen in Rielasingen-Worblingen 175 Plätze und in Eigeltingen 90 Plätze. „Bisher ist es an den Standorten gut gelungen“, meint Brumm.
  • Was sagt der Bürgermeister? „Für eine Gemeinde mit 5300 Einwohnern ist es grenzwertig“, so Bürgermeister Zoll. „Es ist eine Belastung, das darf man nicht kleinreden, aber es ist auch eine Chance.“ Vor allem entlaste es die Gemeinde für einige Zeit bei der AU. Die Container-Unterkunft mit bis zu 20 Plätzen, die im Sandseele entstanden ist, habe die Gemeinde allein rund 1 Million Euro gekostet. Weil es dort bereits diese AU gebe, komme eine GU im Sandseele nicht in Frage, zumal dort auch noch die Obdachlosenunterkunft ist, erklärt Zoll. Er wisse außer dem Tellerhof für die GU kein Gemeindegrundstück, dass groß genug wäre und nah genug an der Erschließung mit Strom, Wasser und so weiter – auch nicht in Göldern.
    Die GU im Tellerhof sei temporär für zehn Jahre gedacht, es gebe in der Gemeinde auch andere Pläne für das Grundstück. Es gebe aber auch die Option, dass die Gemeinde nach den zehn Jahren Teile der GU-Anlage weiter nutze, zum Beispiel für AU. Generell betont der Bürgermeister: „Die Kommunen sind am Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Die kommunalen Spitzenverbände laufen Sturm in Berlin.“ Das Grundrecht auf Asyl sei wichtig und richtig, aber hier würden Probleme auf Kreise und Kommunen abgewälzt. „Es gibt einen Zielkonflikt, den der Bund noch nicht befriedigend gelöst hat. Das System muss so gestaltet werden, dass es lebbar ist.“
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  • Was sagen Gemeinderäte? Dem Bauantrag für die GU hat der Rat jüngst zugestimmt, aber alle Parteien sagen, sie taten dies mit einem unguten Gefühl und nur, weil sie keine andere Lösung wüssten. Ralf Blum (CDU) sagt: „Die Not haben wir schon lang an der Backe. Ich hoffe, die Bürger sind damit einverstanden.“ Matthias Graf (CDU) meint: „Ich finde die Lösung gut, aus finanziellen Gründen und, weil wir unsere Aufgaben erfüllen.“ Aber er sagt auch: „Es ist einfach unzumutbar, was hier passiert.“ Auch die Gemeinde solle sich deshalb an Bund und Land wenden.
    Das meint auch Gabriel Henkes (Freie Liste Natur). Die Unterbringung müsse menschenwürdig sein und die Gemeinde müsse sich um Kinderbetreuung kümmern. Sandra Graßl-Caluk (SPD) sagt, sie sei für dezentrale Lösungen bei der Unterbringung, aber: „Uns bleibt nichts anderes übrig.“
    Armin Okle (Freie Wähler) meint: „Die Alternative wären Turnhallen. Da wäre die Situation noch schlechter.“ Kerstin Sauer (FW) sagt, die Ängste und Sorgen der Bürger müssten berücksichtigt werden, und es sollte im Vorfeld ein Helferkreis aufgebaut werden. Berndt Wagner (CDU) meint: „Letztlich müssen wir froh sein, dass wir diese Chance bekommen.“
  • Was sagen die Nachbarn? Guido Beck von der Inselgarage hat große Bedenken. „Das sind einfach ein Haufen Leute auf einem Fleck.“ Zumal diese nicht arbeiten dürften, die müssten beschäftigt werden, das sei Ghetto-Bildung. „Alle schimpfen“, meint Beck. „Man ist gegen die Massen, die kommen. Wir sind einfach überlastet. Das ist zu viel.“ Er könne die Argumente der Gemeinde schon nachvollziehen, sagt Beck wie auch andere Anwohner. Aber man dürfe sich die Probleme auch nicht schönreden. Wobei Beck betont, er sei absolut nicht rechts und werde auch keine AfD wählen.
    Johannes Hafner von Joe‘s Nahkauf hält vor allem den Standort für schlecht. „Klar muss man den Leuten helfen. Aber ich finde es nicht gut, dass man es versteckt macht.“ Das sei eine dunkle, schlecht einsehbare Ecke. Zugleich sei der Bereich ein Naherholungsgebiet, wo viele Einheimische und Gäste spazieren gehen. Das werde kaputtgemacht. Vor seinem Laden werde sicher schnell ein Treffpunkt der Flüchtlinge sein, das sei bei Supermärkten immer so.
    Johannes Bliestle ist Geschäftsführer der Gemüse-Genossenschaft und des Garten-Centers. „Es ist sicher kein idealer Standort“, meint er. „Es ist eine massive Unterbringung. Es muss in einem verträglichen Maß sein.“ Es gehe auch um Sicherheit: „Ich will niemand was unterstellen, aber da bleibt eine gewisse Restsorge.“
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  • Wie geht es weiter? Die Gemeinde und das Landratsamt (LRA) planen eine Veranstaltung, bei der Bürger Fragen stellen und Bedenken äußern können. Der Termin sei noch offen, solle aber in diesem Jahr sein, so Wolfgang Zoll. Der Bauantrag liegt nun bei der Baurechtsbehörde des LRA. Da das LRA Bauherr ist, ist mit einer Zustimmung zu rechnen. Monika Brumm vom Amt für Migration erklärt, dass parallel die Ausführungsplanung laufen könne und die Ausschreibung vorbereitet werde. Sie geht von einer Fertigstellung bis Ende 2024 aus. Die Baukosten schätzt Brumm auf 3,5 Millionen Euro. Die Gemeinde muss nur die Erschließung und eventuell den Abtransport von Aushub bezahlen.