Die Bahn zieht sich schon seit Jugendtagen durch das Leben von Werner Wocher – ebenso wie die Grenze, über die sie verläuft. Er ist ein waschechtes Kind der Region. In seiner Jugendzeit traf sich der gebürtige Singener regelmäßig mit Freunden am ehemaligen Maggisteig. Dort schauten sie stundenlang dem bunten Treiben der ein- und ausfahrenden Dampflokomotiven zu. „Auf dem Gleis 5A ist das Etzwiler Bähnle gefahren, dieser Grenzgänger war immer etwas Besonderes“, erinnert Wocher sich. Diese Bahn fuhr von Etzwilen über Hemishofen, Ramsen und Rielasingen nach Singen. Inzwischen wurde die Bahnlinie stillgelegt. Aber das soll sich ändern: Der ehrenamtliche Verein zur Erhaltung der Bahnlinie Etzwilen-Singen (VES) kämpft um die Reaktivierung der Bahnstrecke. Der pensionierte Architekt Werner Wocher, der mittlerweile in Schaffhausen lebt, ist Teil des Vorstands.
Ihm zufolge war der Grund für die Stilllegung der Bahnlinie das damals schlagartig erhöhte Automobilaufkommen – sie rentierte sich also schlichtweg nicht mehr. „Es ist schade, wenn so eine historische Bahnlinie verkommt“, findet Wocher. Der VES mit Sitz in Ramsen wurde 2001 gegründet, um den drohenden Abbau der Bahnlinie zu verhindern. Seit 2006 gibt es die Etzwiler Museumsbahn, die viermal jährlich Sonderfahrten mit einem alten Dampfzug anbietet. Doch das eigentliche Ziel des Vereins ist, die Bahnlinie wieder für den öffentlichen Zugverkehr zu reaktivieren.
Zu Beginn dieses Jahres habe sich die Etzwiler-Singener Bahnstrecke einer Machbarkeitsstudie unterzogen. Es wurde also geprüft, ob sich eine Reaktivierung rentieren würde. Werner Wocher ist zuversichtlich: „Die Struktur ist noch komplett erhalten, eigentlich müssen wir die Strecke nur ein wenig zeitgemäß anpassen.“
Die Grenze wird zum Motto
Das Motto der Etzwiler Bahn lautet „grenzenlos“, da sie nach Angaben Wochers die einzige grenzüberschreitende Museumsbahn ist. Der VES arbeitet eng mit dem Singener Verein Eisenbahnfreunde Hegau zusammen. Beat Joos, der eine Vorstandsfunktion in beiden Vereinen innehat, erklärt: „Da diese Bahnlinie über die Grenze führt, brauchten wir auch Kontakte auf der deutschen Seite.“
Werner Wocher und Beat Joos kennen sich von Joos‘ Zeit als Grenzwächter in Gailingen: „Wir haben oft miteinander zu tun gehabt, wenn ich auf der Fahrt nach Schaffhausen deutsches Bier verzollt habe“, erzählt Wocher. Als er dann vor sieben Jahren in Ramsen einen Modellnachbau der Singener-Etzwiler Bahnstrecke ausstellte, sei Beat Joos, der Mitbegründer der Museumsbahn ist, auf ihn aufmerksam geworden. So kam Wocher mit dem VES in Kontakt, trat diesem noch im selben Jahr bei und wurde ein halbes Jahr später direkt zum Co-Präsidenten gewählt.
Seitdem kümmert er sich um die vereinseigene Zeitung VES-Express, den Pressedienst und hat 2020 sogar das Buch „Unsere Museumsbahn mit Zukunft“ publiziert, das in die Staatsbibliotheken Bern und Leipzig aufgenommen wurde. Des weiteren organisiert er Vorstandssitzungen und wirkt aktiv bei der Planung der Dampfzugfahrten mit. „Ich habe so viele verschiedene Tätigkeiten, langweilig wird mir also nicht“, sagt Wocher grinsend.
So wurde sein Interesse für die Eisenbahn geweckt
Dass der 83-Jährige ein solches Interesse an Zügen hat, kommt nicht von ungefähr: „Mich hat der Eisenbahnvirus schon als Zweijähriger erwischt“, berichtet er stolz. Denn er hatte eine Großtante in Göppingen – der Heimat der Märklin-Modelleisenbahnen. Diese seien von klein auf sein liebstes Spielzeug gewesen. Die kleinen Bahnhofsgebäude seien ihm allerdings zu langweilig gewesen, weshalb er die Infrastruktur der Modelllandschaft durch weitere selbstgebaute Gebäude ergänzte. Das habe ihn wohl auch auf seinen Beruf geführt. Denn später machte er eine Ausbildung zum Bauzeichner und Maurer. Anschließend studierte er in Konstanz Bauingenieurswesen, Fachrichtung Hochbau.
Mit 24 Jahren zog er dann nach Schaffhausen, wo er auch heute noch lebt. „Als junger Architekt wollte ich meinen Berufshorizont erweitern und sah dort eine Möglichkeit dazu“, so Wocher. Außerdem habe ihn die Liebe auf die andere Seite der Grenze gezogen. Denn seine Frau habe dort ein Jobangebot angenommen.
Das bedeutet die Grenze für ihn
Werner Wocher ist es wichtig, grenzüberschreitende Kontakte zu pflegen. Allein schon aufgrund seines Heimatdreiecks: Singen, Schaffhausen, Etzwilen. Somit ist die Grenze in seinem Alltag präsent. Zu Zeiten der Corona-Pandemie sei ihm dies noch einmal mehr bewusst geworden: „Da merkt man mal, was die Grenze bedeutet, wenn sie wirklich zu ist. Man kann einfach nicht mehr zusammenkommen.“ Dass die Grenze zwei Nationen voneinander trenne, sei ihm unverständlich, da es doch eigentlich alles dieselben Menschen seien. Überzeugt sagt er: „Ich bin eigentlich Europäer.“