Klimaschutz und klimafreundliche Mobilität stehen derzeit hoch im Kurs. Auch deswegen hat das Land Baden-Württemberg die Initiative ergriffen, stillgelegte Bahnstrecken wiederzubeleben, um mehr Menschen in öffentliche Verkehrsmittel zu locken. Doch ergibt das im Einzelfall Sinn? Darüber gibt es in Rielasingen-Worblingen Diskussionen. Stein des Anstoßes ist die Etzwiler Bahn, die Singen mit Etzwilen im Kanton Thurgau verbindet. Regulären Personenverkehr gibt es hier schon seit 1969 nicht mehr. Doch die Gleise liegen noch, die Strecke wurde nie entwidmet und der Zustand ist gut genug für Museumsbetrieb.
Was war geschehen? Das Land hat die Etzwiler Bahn auf seine Liste mit Bahnstrecken gesetzt, die Potential zur Wiederbelebung haben. Die Gutachter des Karlsruher Büros PTV haben für die Landes-Analyse 2670 Einstiege am Tag errechnet. Der Abschnitt von Singen zum Bahnhof Rielasingen kommt dabei in die Klasse mit mehr als 2000 Zustiegen am Tag. Auf der Schweizer Seite sieht die Sache ungünstiger aus. Der Abschnitt von Rielasingen nach Etzwilen kommt nach den Berechnungen auf weniger als 500 Zustiege pro Tag. Die Gemeinderäte von Singen und Rielasingen-Worblingen haben im Dezember den Auftrag für eine Machbarkeitsstudie vergeben. Deren Ergebnis soll noch im Sommer vorliegen, sagt Rielasingen-Worblingens Bürgermeister Ralf Baumert. Gegen eine mögliche Wiederbelebung wehrt sich die Bürgerinitiative (BI) RiWo-Bahn. Baumert signalisiert hingegen Unterstützung für die Wiederbelebung, auch die Mehrheit des Gemeinderats stehe dahinter, sagt er.
Bürgerinitiative hat viele Argumente dagegen
Das Engagement der BI habe sich ursprünglich daraus gespeist, dass Anwohner der Strecke nicht damit einverstanden waren, in ihrer Nachbarschaft eine Bahnlinie mit Stunden- oder gar Halbstundentakt zu haben, sagt Klaus Siebler unumwunden. Er gehört selbst zu den Anwohnern und ist in der BI aktiv. Er führt eine Reihe von Argumenten an, die aus Sicht der Gruppe gegen die Wiederbelebung sprechen. Zunächst habe PTV bei seiner Potentialanalyse rein statistische Werte wie die Zahl der Schulen an der Strecke zugrunde gelegt, ohne zu überprüfen, wie viele Schüler tatsächlich mitfahren könnten.
Von Worblingen und Arlen müsste man mit dem Bus zum Rielasinger Bahnhof fahren, was die Akzeptanz nicht erhöhen dürfte. Auch das Busnetz sieht die BI in Gefahr. Fragen danach, ob die Stiftung, der der größte Teil der Strecke gehört, überhaupt mit der Nutzung einverstanden wäre, seien im Gemeinderat nicht klar mit Ja beantwortet worden, sagt Siebler. Und in der Schweiz habe man kein Interesse. Warum sollte man in der Machbarkeitsstudie Fälle untersuchen, für die die Schweizer Teilstrecke gebraucht würde? Auch der Betrieb im Kreisverkehr an der Georg-Fischer-Straße in Singen sei unklar.
Yvonne Brunnenkant, die mit ihrem Ehemann Ingo eine treibende Kraft der BI ist, sagt, dass etwa 60 Haushalte inzwischen dabei seien. Sie hätte sich eine ergebnisoffene Diskussion darüber gewünscht, mit welchem Verkehrsmittel man die Verkehrswende in Rielasingen-Worblingen am besten schaffen kann: „Wir sind enttäuscht, dass es keine Debatte über das geeignete Verkehrsmittel gibt“, sagt sie. Denn die Machbarkeitsstudie beleuchte nur die Bahn. In der BI seien zudem inzwischen nicht nur Anlieger der Gleise aktiv, sondern auch Menschen, die sich an den teuren Studien stören, sich Sorgen um den Schülerverkehr machen oder die ersehnte Straßenumfahrung in Gefahr sehen. Dass viele Menschen Autoverkehr aus dem Ort haben wollen, versteht auch Mario Steigerwald, der ebenfalls in der BI aktiv und Anlieger der Strecke ist. Man könnte aber in viele Richtungen denken. Ob die Bahn da die richtige sei?
Der Bürgermeister betont die Chancen
Bürgermeister Ralf Baumert sieht die Sache anders. Er führt Klimaschutz und Verkehrsbelastung an. Denn die Umfahrung sei zwar wieder im Generalverkehrsplan des Landes, aber ohne Priorisierung – Realisierungsdatum vollkommen offen. Und die Hauptstraße in der Ortsmitte sei mit 14.000 Fahrzeugen am Tag stark belastet. „Rielasingen braucht eine Entlastung“, sagt der Bürgermeister. Die mögliche Wiederbelebung der Bahnstrecke lasse sich rascher realisieren als die Straße, ist seine Einschätzung. Und: Wenn es auf der Strecke wieder einen regulären Personenverkehr geben sollte, gäbe es eine weitere Möglichkeit, mobil zu sein. Die Museumsbahn-Stiftung sei jedenfalls einverstanden. Ratternde Dieselungetüme sollen dort nicht fahren, sagt Baumert, das passe nicht in die Zeit. Die Streckenlänge sei auch für Akkubetrieb möglich, denn eine Oberleitung könne man nicht durchgängig installieren.

Baumert hat auch schon eine Idee, welcher Zug bis Rielasingen fahren könnte: Die Regionalbahn von Schaffhausen habe in Singen Aufenthalt und könnte in dieser Zeit in den Nachbarort fahren. Für den Schülerverkehr und wegen der Verbindung nach Worblingen sei auch die Anbindung der Busse Thema der Machbarkeitsstudie. Die Untersuchung von Varianten mit Schweizer Strecken sei nach seinen Informationen eine Vorgabe des Landes gewesen, sagt Baumert. Außerdem stellt er klar, dass deutsche Zuschüsse und Investitionen auf deutschem Hoheitsgebiet bleiben. Wenn die Machbarkeitsstudie eine Route über die Schweiz als beste Möglichkeit ergebe, müsse das Stuttgarter Verkehrsministerium mit der Schweiz verhandeln. Was wirtschaftlich darstellbar sei, müsse man in einem zweiten Schritt überprüfen.
Und die Durchfahrt des Kreisverkehrs an der Georg-Fischer-Straße? Dazu sagt Singens OB Bernd Häusler, dass auch diese Teil der Machbarkeitsstudie sei. Einer Übertragung der Bundesstraße 34 stehe dies nicht im Weg, das habe man schriftlich vom Regierungspräsidium bekommen – allerdings vor einigen Jahren.