Herr Narbeshuber, der Umgang mit der Pandemie passt zum Thema des Wirtschaftsforums, bei dem es „Vom Ich zum Wir“ gehen sollte. Denn bei der Handhabung der Pandemie handelt es sich nicht zuletzt um die Frage, wie man schwächere Menschen vor einer Infektion schützen kann.

Das stimmt. Wenn jeder nur an sich selber denkt, dann landen wir über kurz oder lang alle miteinander im Schlamassel. Und damit bin ich auch schon beim Kern der Sache. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das auf Beziehungen angewiesen ist, und wir sollten das Bewusstsein dafür wieder schärfen. Das funktioniert aber nur, wenn wir unser Selbstverständnis verändern.

Ist das Zeitalter der Ich-linge vorbei?

Das wäre schön, lässt sich aber noch nicht klar mit „Ja“ beantworten. Was vielen heute deutlich ist: Mit der Fixierung auf Einzelinteressen produzieren wir im großen Stil Ergebnisse, die kaum jemand will. Um das zu ändern, hilft wahrscheinlich die Frage, welche Mechanismen dahinter stecken. Und die Erkenntnis, dass wir diesen Mechanismen nicht zwangsläufig ausgeliefert sind.

Das könnte Sie auch interessieren

Aber warum sollte man es als Unternehmen ändern, wenn es funktioniert?

Die Frage ist, nach welchen Wertmaßstäben da etwas funktioniert. Quartalszahlen lassen sich damit eine Weile steigern. Aber schon allein den sehr schlichten Anspruch bisheriger Generationen „Den Kindern soll es einmal besser gehen“ kriegen wir wohl nicht mehr eingelöst.

Wobei die Frage bleibt, wer daran etwas ändern kann. Gehört es nicht eher zu den Aufgaben der Politik, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass kooperative Modelle eine Chance haben?

Wie meinen Sie das?

Nehmen Sie zum Beispiel Menschen mit einer Behinderung. Die Gesetzgebung hat dafür gesorgt, dass Betriebe ab einer gewissen Größe für sie eine Anzahl an Arbeitsplätzen bereithalten müssen.

Ja klar, die Politik spielt sicher eine Rolle. Aber die entscheidende Frage lautet aus meiner Sicht: Ist es wirklich so, dass Menschen immer egoistisch sind, solange man sie nicht gesetzlich zwingt, auch an andere zu denken? Ich glaube nein. Vieles spricht dafür, dass wir es lernen können, ein glücklicheres Leben zu leben und dass ein glückliches Leben enorm viel mit Altruismus zu tun hat.

Sie verfolgen also eher einen psychologischen anstelle eines politischen Ansatzes?

Ja.

In Singen gibt es einige Betriebe, die das konzeptionell mit ihrer Personalpolitik unterstützen. Da wird zum Beispiel nicht nur auf Abschlussnoten und Zeugnisse geachtet, sondern auch auf das gesellschaftliche Engagement oder die Mitgliedschaft in Vereinen...

...ein sehr schönes Beispiel. Die heutzutage komplexen Aufgabenstellungen erfordern Teams und da spielen die sogenannten weichen Faktoren eine wichtige Rolle: Sozialkompetenz dient dem Unternehmenserfolg.

Aber ist das dann nicht nur eine raffiniertere Methode des Egoismus? Und überhaupt das Verhältnis von Team- und Einzelspieler: Ist es in der Praxis nicht vielfach so, dass sich hinter der Sehnsucht nach dem Team nur die Unfähigkeit zu eigenen Entscheidungen, Feigheit oder die Scheu vor Verantwortung verbirgt? Braucht es nicht gerade einer Zeit umwälzender Veränderungen solche Leute wie den Tesla-Chef Elon Musk, der für seine Sache brennt und immer mit dem Kopf durch die Wand will?

Die Frage ist für mich: Welche Grundhaltung verbirgt sich hinter dem, was ich tue? Bin ich als Teamplayer unterwegs, weil ich keine Meinung habe, mich schwer tue, eigene Entscheidungen zu treffen, und ungern Verantwortung übernehme? Das gibt es sicher. Ganz etwas anderes – und ungleich erfolgreicher – sind Teams, in denen sich starke, eigenständige Persönlichkeiten aus freien Stücken für Teamplay entscheiden. Die sich nicht scheuen verschiedene Perspektiven einzubringen und gleichzeitig fähig sind, gute gemeinsame Lösungen zu finden und mitzutragen. Das ist aber eine Frage der inneren Haltung. Wer Teamplay und Interesse am anderen nur als Methode einsetzt, um sein eigenes Ziel zu erreichen, schadet damit letztlich sich und anderen. Die meisten Menschen verfügen über ein sehr feines Sensorium und merken intuitiv, dass da jemand ohne ehrliches Interesse und rein taktisch den Teamplayer gibt. Genauso, wenn uns jemand etwas Nettes sagt, weil er es als Technik im Kommunikationstraining gelernt hat, es aber nicht von Herzen kommt. Bei den Menschen geht dann sofort innerlich der Mittelfinger in die Höhe.

Was empfehlen Sie so einem Egomanen denn für den Weg vom „Ich zum Wir“?

Warum landen wir überhaupt in einem übersteigerten Ich-Bezug? Neurobiologisch betrachtet hat das bei den allermeisten von uns mit zuviel Stress zu tun. Viel Stress bedeutet viel Angst und viel Angst bedeutet, dass unser Gehirn in einen kurzfristigen Überlebensmodus wechselt, in dem kein Platz mehr für unser natürliches Gefühl von Verbundenheit bleibt. Aus diesem Stress heraus bauen wir immer mehr Systeme, die noch mehr Stress verursachen und den Druck immer weiter erhöhen. Und in denen das Miteinander immer weiter verloren geht. So halten wir uns in einer Abwärtsspirale gefangen. Innehalten und Entschleunigen haben deshalb ganz viel damit zu tun, dass wir wieder zu Sinnen und in unsere Kraft kommen können. Nur wer sich verantwortungsvoll um sich selbst kümmern kann, kann sich letztlich auch gut anderen zuwenden. Wir werden immer mehr zu einer Gesellschaft, die permanent aus dem letzten Loch pfeift. Damit schaden wir uns selbst und haben folglich für andere auch keine Energie mehr übrig.

Das könnte Sie auch interessieren

Und gibt es denn gar keine methodischen Möglichkeiten, wie man die Egomanen von ihrem Trip runterbringen kann?

Doch, natürlich – indem man mental immer wieder aus dem Hamsterrad aussteigt. Bei uns selbst und in unserer Mitte ankommen und uns wach und aufmerksam unserem Gegenüber zuwenden – das sind alles Kompetenzen, die wir trainieren können. Das kann jeder Einzelne trainieren, aber auch Teams können das. Und klare Regeln können dabei helfen. Nehmen Sie zum Beispiel Team-Besprechungen. Es ist doch traurig, dass man es sagen muss: Aber wenn in Meetings durchs permanente Starren auf Smartphones kein vernünftiges Gespräch mehr möglich ist, dann braucht es ein klares Handy-Verbot.

Zurück zur ersten Frage – da ging es um Corona. Mal abgesehen von den unmittelbaren gesundheitlichen Gefahren, könnte man angesichts Ihrer Thesen zu dem Schluss kommen, dass das Virus zur Entschleunigung der Gesellschaft auf Speed beiträgt...

So ist es. Und das ist übrigens bei Trauerfällen ähnlich. Es sind diese Momente, in denen uns der Schmerz zum Innehalten zwingt. Auch das ist neurobiologisch höchst bedeutsam, denn dadurch rennen wir nicht mehr atemlos durch die Welt, sondern werden offen für Neues und unser Gegenüber. Ich plädiere deshalb auch für eine Neubewertung von gelegentlichem Faulsein. Denken Sie nur an Archimedes und sein Heureka. Wäre er nicht müßig in der Badewanne gelegen, hätte er ein das nach ihm physikalische Prinzip nie entdeckt.

Herr Narbeshuber, besten Dank für das Gespräch.