650 Euro warm für eine Vier-Zimmer-Wohnung. Das ist ein Preis, von dem viele angesichts der aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt nur träumen können. Einige Mieter an der Schaffhauser Straße, Ecke Hauptstraße in Singen zahlen bislang solche Mieten – seit Jahren unverändert. Doch Ende November ist Schluss, denn dann sollen die Häuser abgerissen werden. Anschließend soll ein Neubauprojekt unter dem Namen Schlossquartier entstehen – mit Gewerbeflächen und 72 Wohnungen. „Für uns ist das eine Katastrophe“, sagt eine der Bewohnerinnen.

Für die Eigentümergemeinschaft aus den Nachkommen der Grafenfamilie Vetter von der Lilie sowie der Projektentwicklungsgesellschaft Prisma mit Sitz unter anderem in Friedrichshafen ist auch das eine Facette des vielzitierten Satzes „Eigentum verpflichtet“. Das bedeute nämlich auch, Flächen weiter zu entwickeln, sagt Prisma-Geschäftsführer Stefan Nachbaur dem SÜDKURIER auf Anfrage.

An diesem Haus fahren täglich hunderte, wenn nicht tausende Menschen in ihren Autos vorbei. Bald soll es abgerissen werden.
An diesem Haus fahren täglich hunderte, wenn nicht tausende Menschen in ihren Autos vorbei. Bald soll es abgerissen werden. | Bild: Arndt, Isabelle

Abriss ist länger Thema: 12 von 21 Mietern sind schon ausgezogen

Es ist eine Veränderung mit Ankündigung. Seit 2017 bereiten die Eigentümer ihre Mieter darauf vor, dass die drei Häuser abgerissen werden sollen. Im Herbst 2017 habe es eine erste Information, einige Monate später im Jahr 2018 eine Mieterversammlung gegeben. Zwölf von 21 Mietparteien sind zwischenzeitlich ausgezogen oder tun es bald. Wer geblieben ist, tut sich schwer mit einer neuen Bleibe: „Ich bin waschechte Singenerin und weiß nicht, wo ich jetzt hin soll. Jeder weiß, dass der Wohnungsmarkt schwierig ist“, sagt die Bewohnerin, deren Identität der Redaktion bekannt ist. Sie befürchtet Nachteile im Rechtsstreit mit den Vermietern, wenn sie ihren Namen öffentlich machen würde.

Viele Mieter sind bereits ausgezogen, ihre Briefkästen zugeklebt.
Viele Mieter sind bereits ausgezogen, ihre Briefkästen zugeklebt. | Bild: Arndt, Isabelle

Die Frau lebt von der Rente ihres verstorbenen Mannes und eigenen Bezügen, das reiche gerade so zum Leben. Seit Wochen studiere sie die Wohnungsanzeigen, aber ohne Erfolg. Ihrer Nachbarin geht es ähnlich, sie wohnt seit 22 Jahren hier. „Ich kann und will mir nicht vorstellen, irgendwo im Nirgendwo zu wohnen“, sagt die einstige Einzelhandelskauffrau. Selbst wenn sie eine Wohnung finden würden, fürchten sie hohe Kosten für Kaution, Umzug und eine Entrümpelung der aktuellen Wohnung.

Sanieren wäre möglich – aber teuer, sagen die Eigentümer

Ihr Wunsch: Die Eigentümer sollen sanieren, dann könnte sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben und hätte weiterhin kurze Wege zu ihren Ärzten oder zum Einkaufen. „Dann würde es noch einige Jahre halten. Aber die sagen, das ist zu teuer.“ Im Kündigungsschreiben erklären die Eigentümer, dass eine Sanierung rund 7,97 Millionen Euro kosten würde – ein Neubau hingegen nur 5,69 Millionen Euro. Die Mieten sollen dann von 4,62 Euro steigen auf 10,75 Euro pro Quadratmeter.

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Bausubstanz ist so schlecht, dass man etwas machen muss

Hohe Sanierungskosten schildert auch Stefan Nachbaur: „Man hat lange untersucht, ob es Sinn macht, diese Gebäude zu erhalten. Aber sie sind in ziemlich dürftigem Zustand.“ Seit dem Bau vor rund 50 Jahren habe man mehr oder weniger nichts gemacht, daher würden die Wohnungen nicht mehr den Standards gerecht. Auch deshalb sei die Miete dort so günstig. Es gebe viele Themen wie Leitungsbrüche, eine streikende Heiztechnik und einen allgemein schlechten bauphysikalischen Standard. „Man heizt da sprichwörtlich zum Fenster raus“, sagt Nachbaur. Die Bausubstanz sei inzwischen so schlecht, dass man etwas tun müsse – komplett entkernen und erneuern oder neu bauen.

Bild 3: Alles neu an Friedenslinde-Kreuzung: Drei Häuser und ihre Mieter sollen Neubauprojekt weichen
Bild: Arndt, Isabelle

Geplant sind 70 Wohnungen – und Gewerbe, ein Restaurant

Die Pläne für ein neues Schlossquartier seien in den vergangenen Jahren weit fortgeschritten: „Künftig sollen circa 70 neue Wohnungen entstehen“, sagt Stefan Nachbaur, je nach Größe könne sich die Anzahl noch leicht ändern. Wohnen soll dann mit Gewerbeflächen kombiniert werden: Wie Oberbürgermeister Bernd Häusler erklärt, ist unter anderem ein Restaurant mit Ausrichtung auf den Schlossgarten geplant. „Wir haben hier eine tolle Grünfläche mitten in Singen, die bisher kaum genutzt wird“, sagt er. Auch Synergien mit dem Hegaumuseum würden entstehen. Der Projektentwickler spricht von einem Dornröschenschlaf, aus dem das Gelände geweckt werden soll.

Fertigstellung 2024? Zeitplan ist noch nicht konkret

Aktuell gehe es darum, ein Raumprogramm zu entwickeln, erläutert Stefan Nachbaur. Dafür brauche es viele Gespräche und Abstimmungen, auch weil das Hegaumuseum und die Remise unter Denkmalschutz stehen. Der Prisma-Geschäftsführer rechnet mit einer zweijährigen Bauphase, sodass der Neubau im Frühjahr/Sommer 2024 fertig sein könnte. Einen konkreten Zeitplan gebe es aber noch nicht.

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Künftig nur noch teure Eigentumswohnungen? Nein, sagen die Eigentümer

Und was ist mit den Mietern? „Es geht nicht von heute auf morgen, dass die Mieter etwas Neues finden, das ist klar. Deshalb haben wir schon vor drei Jahren informiert“, sagt der Projektentwickler. Vereinzelt hätten sich Mieter gemeldet und Widerspruch angemeldet. Nachbaur äußert Verständnis: Natürlich sei es schmerzlich, dass die Mieten in den vergangenen Jahren gestiegen sind – „aber den Markt machen nicht wir“. Man helfe, wo man kann: Die Eigentümer haben zugesagt, beispielsweise bei den Umzugskosten zu unterstützen. Und wenn jemand nach dem Neubau zurück ziehen möchte, sei das nicht ausgeschlossen. Denn es sollen keine teuren Eigentumswohnungen entstehen: „Es ist kein Bauträgerobjekt, um schnell Geld zu machen“, betont Stefan Nachbaur.

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Das sagt die Stadt zu den Plänen

Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler äußert sich auf SÜDKURIER-Anfrage zu dem Schlossquartier-Projekt.

  • Gibt es eine Genehmigung für Abriss und Neubauten? „Nein, beides existiert noch nicht.“ Ein Abbruch müsse nur kurz vorher angezeigt werden. Die Stadtverwaltung sei aber früh einbezogen worden. „Ohne eine aktive Beteiligung des Fachbereichs Bauen wäre die Genehmigung und Umsetzung der Entwürfe auch gar nicht möglich, weil dafür Beschlüsse des Gemeinderats für einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan erforderlich werden.“
  • Wie sieht der Zeitrahmen aus? „Frühestens für April ist ein konkreter Aufstellungsbeschluss vorgesehen, der dann den Beginn des öffentlichen Verfahrens darstellen soll.“ Mit einer Baugenehmigung rechnet Häusler frühestens Ende des Jahres.
  • Was hält die Stadtverwaltung von den Plänen? „Mit dem Schlossquartier soll innerstädtisch auf bereits größtenteils versiegelten Flächen eine Nachverdichtung erfolgen. Für den Entwurf wurde ein namhaftes Architekturbüro aus Bregenz beauftragt, welches bereits international mehrfach für seine Bauten ausgezeichnet wurde.“
  • Wie kann die Stadt die Mieter unterstützen? Dafür sei die Stadt nicht zuständig, werde aber sofern möglich gerne behilflich sein. Die Stadt gehe davon aus, dass alle Mieter rechtzeitig eine neue Wohnung finden werden.