Karfreitag, 21.30 Uhr an der Singener Aral-Tankstelle: „Na, haben sie dich mal wieder gefilzt? Wenn man sich auch rote Felgen kauft.“ Der Angesprochene mit der cool nach hinten aufgesetzten Flatcap (Schildmütze) ist knapp über 20. Er ist mit einem schweren Mercedes zum Tanken vorgefahren und zückt die Kreditkarte. Der noch jüngere Beifahrer fischt nach Anweisung zwei Softgetränke aus dem Kühlschrank. Hier ist klar, wer der Boss ist. Die Bemerkung zu den Felgen geht runter wie Öl, auch wenn sich der Fahrer das kaum anmerken lässt. Die Polizisten lassen ihn nach der Kontrolle der Papiere weiterfahren. Lässig spaziert er zur Kasse und bezahlt die Tankfüllung und die Getränke.

Auf der Jagd nach Bewunderung
Sind das die Momente, für die es sich lohnt, so viel Aufwand zu betreiben? Die Jagd nach Bewunderung, die riskanten Drifts im Kreisverkehr, die spontanen Autorennen, der Kick im Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei, sind für manche junge Liebhaber starker Motoren zum Lebensinhalt geworden. Wer nicht selber schraubt, braucht viel Geld für sein Hobby; oft den gesamten Monatslohn. Das Ergebnis soll sich sehen lassen.
Als Singen das Zentrum der Tuning-Szene war
Rückblick: Die Singener Südstadt hatte sich mit ihrer guten Infrastruktur von breiten Straßen, Kreisverkehren und den Schnellrestaurants zwischen 2015 und 2019 zu einem Laufsteg für Autoposer entwickelt. Aus ganz Baden-Württemberg und der benachbarten Schweiz trafen sich Freitag für Freitag mehrere Hundert Tuningfreunde in Singen. Sehr zum Ärger der Anlieger, die in den Sommermonaten an lauen Freitagabenden nicht mehr zur Ruhe kamen. Denn die Autos mit den vielen PS sind nicht nur schnell, sondern auch laut. Die Beschwerden im Rathaus häuften sich. Polizei und Ordnungsamt sahen zu den Belästigungen auch die Gefahren für die Zuschauer, die sich rund um die Kreisverkehre mit Campingstühlen die besten Zuschauerplätze für die rasanten Fahrmanöver sicherten.

Harte Schritte gegen Raser und Poser
Stadt und Polizei reagieren: Weil die Zusammenkünfte nicht nur als Ärgernis, sondern vor allem als Gefahr eingestuft werden, sah sich die Stadt gezwungen, zu handeln. Es wurden Geschwindigkeitsbegrenzungen für die fraglichen Straßen erlassen. Damit hat auch die Polizei bei ihren verschärften Kontrollen mehr Handlungsspielräume. Für das Osterwochenende hat das Ordnungsamt eine Allgemeinverfügung verhängt, die das Treffen von Autoposern verbietet. Weil auch sehr viele Schweizer Fahrer nach Singen kamen, arbeitete die Polizei mit der Schaffhauser Kantonspolizei zusammen. Der Effekt war schon im vergangenen Jahr deutlich spürbar.

Diesmal keine Schweizer mit Luxuskarossen
Car-Freitag 2021: Verglichen mit den Bildern der Vergangenheit wirkte die Tuningszene in diesem Jahr fast wie ausgestorben. In den Straßen waren am Freitagabend wesentlich weniger protzige Autos zu sehen. Vor allem die Schweizer mit ihren Lamborghinis und Maseratis fehlten. Das liegt auch an der Corona-Verordnung, die den Schweizern den Grenzübertritt aus touristischen Zwecken verbietet. Und doch waren etliche unterwegs. Auffällig sind auch die vielen Polizeistreifen, die den ganzen Abend bis spät in die Nacht Patrouille fahren. Anders als 2020 hat sich die Polizei diesmal gegen die Einrichtung eines Lagezentrums entschieden. „Die Klientel weiß, dass wir da sind“, heißt es aus der Konstanzer Polizeidirektion. Deshalb habe man sich diesmal für den Eventualeinsatz entschieden. Das heißt, dass die Streifenwagen parallel zu den Tunern die ganze Nacht durch die Stadt kurven.

Hohes Polizeiaufgebot am Car-Freitag
Rund 30 Polizeibeamte kontrollieren: Polizeihauptkommissar Langer ist an diesem Abend der Einsatzleiter. Gerade hat er mit anderen Kollegen den Obi-Parkplatz geräumt. Die stellvertretende Betriebsleiterin der Diskothek Erdbeermund, Nicky Zufahl, hatte die Polizisten gerufen, weil der Platz mit Autos zugestellt war. „Wir haben einen Platzverweis ausgesprochen. Die Räumung lief reibungslos“, sagt Langer, der im Notfall auch noch auf Unterstützung der Bundespolizei zählen könnte. Und auch die Schweizer Kollegen sind vorbereitet.

Viel zu schnell und mit manipulierten Autos unterwegs
Zum Notfall kommt es nicht: Die Nacht verläuft (verglichen mit früheren Jahren) verhältnismäßig ruhig. Obwohl: Am Ende werden es vier Verstöße gegen die Corona-Verordnung (Ansammlungsverbot) sein. Sechs Fahrer werden sich wegen erheblicher Geschwindigkeitsverstöße verantworten müssen. Und acht Fahrzeuge wurden offenbar so stark manipuliert, dass für sie die Betriebserlaubnis entzogen wurde. Langer hatte zunächst alle Plätze rund um den Obi-Kreisel sperren lassen und dann auf die mobile Überwachung und Geschwindigkeitskontrollen gesetzt.

Die Szene verlagert sich auf Baar und Schwarzwald
Für Singen geht das Konzept auf: Oberbürgermeister Bernd Häusler zeigt sich am Tag danach erfreut über den Erfolg der gemeinsamen Abwehr von Autoposern. „Es hat sich gelohnt, dass wir konsequent gegen die Szene vorgegangen sind“, sagt er. „Nicht nur für die Anlieger, sondern auch im Sinne der Sicherheit in der ganzen Stadt.“ Wie es aussieht, hat sich die Szene verlagert. Dem Polizeibericht ist zu entnehmen, dass im Raum Villingen-Schwenningen, Bad Dürrheim und Donaueschingen am vergangenen Freitag in Spitzenzeiten 300 bis 400 Fahrzeuge gesichtet wurden, die eindeutig der Tuning- und Poserszene zuzuordnen seien.
Paragraf 315d hilft bei den Beamten bei der Strafverfolgung
2017 wurde das Strafgesetzbuch um den Paragrafen 315d erweitert. Zwar waren illegale Straßenrennen bis dahin auch schon verboten. Sie stellten allerdings nur eine Ordnungswidrigkeit dar. Der neue Paragraf ahndet die Veranstaltung oder Teilnahme von illlegalen Rennen mit hohen Geldstrafen bis hin zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren. Damit werden diese unerlaubten Autorennen aus der Grauzone des Kavaliersdeliktes geholt und als Straftat eingestuft. Der neue Paragraf unterstütze auch die Polizei bei ihren Kontrollen im Zusammenhang mit der Tuning-Szene, ist aus dem Konstanzer Polizeipräsidium zu erfahren. Auch die Randverordnungen seien hilfreich. Zum Beispiel sei das unnütze Hin- und Herfahren eine Ordnungswidrigkeit, die bei Wiederholung mit einem Bußgeld von bis zu 500 Euro geahndet werden könne, so der Polizeisprecher.