Frau Keller, seit dem 1. September 2021 sind Sie Pflegedirektorin des Hegau-Bodensee-Klinikum (HBK). Wie haben Sie die personelle Situation vorgefunden?

Als ich herkam, war die Situation sehr kritisch. Wir hatten etwa 50 unbesetzte Stellen im Pflegebereich, wodurch wir einige Betten nicht belegen konnten. Natürlich haben wir in diesem Ländereck Schwierigkeiten, Pflegepersonal zu akquirieren und zu halten. Die nahegelegene Schweiz lockt nicht nur mit höheren Gehältern, sondern stellt zudem auch ungeimpfte Pflegekräfte ein.

Konkret weiß ich von zwei Kräften, die in der Schweiz als Ungeimpfte mit offenen Armen empfangen wurden. Ehrlicherweise muss ich auch sagen, dass das HBK im Bereich Pflege keinen so guten Ruf hatte. Es gab Stimmen von Mitarbeitern, die sich nicht wertgeschätzt und mitarbeiterfreundlich behandelt fühlten. Auch diese Tatsache führte letztendlich zum Personalmangel.

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Die Arbeit in der Pflege bedarf ohnehin einer hohen Belastbarkeit.

Das stimmt. Bereits Ende der 1980er Jahre gab es die Prognose, dass es deutschlandweit langfristig etwa 50.000 unbesetzte Stellen in der Pflege geben würde. Die Politik hatte lange Zeit einfach nicht reagiert, bis es dann endlich im Jahr 2019 ein Pflegepersonal-Stärkungsgesetz auf den Weg brachte, mit dem ein fester Personalschlüssel festgelegt wurde. So sind im Tagesdienst pro Pflegekraft zehn Patienten zu betreuen, im Nachtdienst maximal 20. Es gab Zeiten, bei denen auf eine Kraft 36 Patienten fielen. Das Personal wurde damit regelrecht überlastet. Das war unhaltbar. Insofern hat das Gesetz vieles verändert.

Und in Corona-Zeiten wurde der Beruf nicht attraktiver.

Richtig. In der Pflege heißt es, 365 Tage und Nächte pro Jahr zum Dienst eingeteilt zu werden, egal ob Sonn- oder Feiertag, Frühdienst oder Nachtschicht. Und während es bis in die 1990er Jahre von sich aus ausreichend Bewerbungen für eine Ausbildungsstelle in der Pflege gab, müssen wir heute auch um Auszubildende werben.

Was bedarf es heutzutage konkret, um Personal zu bekommen?

Für mich ist es vor allem wichtig, an die heutige Generation angepasste, innovative Angebote zu bieten. Das heißt wir müssen Stellen schaffen, die eine Perspektive bieten, eine interne Entwicklungsmöglichkeit, ein attraktives Karrieremodelle. Und da es vorwiegend Frauen sind, die im Pflegebereich arbeiten, braucht es die Möglichkeit, Familie und Beruf aufeinander abzustimmen.

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Das heißt konkret?

Eine Kinderbetreuung vor Ort implementieren und an die Schichtdienste angepasste Betreuungszeiten anbieten. Die Pflegekräfte brauchen die Kinder nicht erst in einen weiterentfernten Kindergarten oder in die Kita bringen, sondern können sie arbeitsplatznah betreuen lassen. Nicht zuletzt gilt es für Bewerberinnen und Bewerber von außerhalb, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Mit einer schönen Landschaft und dem nahegelegenen Bodensee zu locken, reicht nicht, damit sind wir nicht konkurrenzfähig. Wir sind da in der Planung. Es gibt viele Ideen, die aber noch nicht spruchreif sind.

Sie gehen neue Wege und haben das Projekt „Dienstplan nach Wunsch“ ins Leben gerufen. Das klingt für Beschäftigte verlockend.

Mit einem sogenannten Flexpool wollen wir gezielt Mütter ansprechen und ihnen die Möglichkeit geben, frühzeitig wieder aus der Elternzeit in den Krankenhausbetrieb einzusteigen. Dazu haben wir sechs neue Dienstzeiten eingerichtet, zu denen die Kinder in der Kita, Schule oder zu Hause vom Partner versorgt werden können.

Das sind verkürzte Früh- und Spätdienste, beispielsweise von 18 Uhr bis 1 Uhr nachts, wenn der Papa – soweit er normale Arbeitszeiten hat – zu Hause ist. In dieser Zeit könnten wir auf den Stationen die Pausenzeiten abdecken und den Nachtdienst unterstützen oder den Frühdienst verstärken. Oder in der Zeit von 7 Uhr bis mittags um 12 Uhr könnten die Frauen arbeiten, während die Kinder in der Kita oder in der Schule sind.

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Welche Voraussetzungen müssen Bewerberinnen und Bewerber für das Flexpool mitbringen?

Zunächst einmal Motivation und Flexibilität. Sie benötigen eine abgeschlossene Berufsausbildung im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Hebamme, Operationstechnische / Anästhesietechnische Assistenz oder Altenpflege. Auch medizinische Fachangestellte sind willkommen. Zudem werden wir versuchen, das Personal dort einzusetzen, wo die fachlichen Schwerpunkte wie Chirurgie, Intensivpflege oder Innere Medizin sind. Dies wird nicht immer möglich sein, also benötigt es die Bereitschaft, sich auch in anderen Bereichen einzuarbeiten. Uns ist bewusst, dass es längere Einarbeitungszeiten bedeutet, aber dann können wir aus einem Pool schöpfen, mit dem wir langfristig den Personalstand sichern werden.

Ab wann soll es mit dem neuen Projekt losgehen?

Um den Flexpool zu starten, haben wir zunächst all diejenigen angeschrieben, die sich in Elternzeit befinden, denn die möchten wir explizit zurückholen. Zudem gibt es donnerstags eine offene Bewerberrunde mit der Möglichkeit, ohne Bewerbungsunterlagen unverbindlich vorbei zu schauen, um sich im persönlichen Gespräch vorzustellen oder einfach nur zu informieren.

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Inwieweit können sie denn überhaupt auf die Bedürfnisse der Bewerberinnen und Bewerber eingehen?

In Gesprächen klären wir individuell ab, zu welchen Zeiten ein Arbeiten überhaupt möglich ist, wie es mit dem Familienleben vereinbar ist. Eine Care-Managerin ist für den Flexpool verantwortlich und wird die Dienstpläne nach den Wünschen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erstellen, das Einsatzgebiet ist jedoch flexibel. Diese Flexibilität honorieren wir mit einem Gehaltsaufschlag von zehn Prozent zum Tariflohn.

Oft haben ältere Bewerber Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden.

Für dieses Modell spielt das Alter keine Rolle. Wir freuen uns auch über Bewerber im Alter 50 Plus, Anfang 60.

Sie bringen schon aus ihrer Zeit in der Oberschwabenklink Ravensburg einige Erfahrungen mit dem Modell mit.

Richtig und daher weiß ich, dass es auch funktioniert. Es bedarf allerdings eines langen Atems und dauert gut ein halbes Jahr, bis es läuft und vor allem auch bei den Stationen und einzelnen Abteilungen akzeptiert wird. Wenn das Projekt Flexpool dann läuft, kann man es beispielsweise auch auf Hebammen ausbauen. Wichtig ist, dass wir uns immer wieder bewusst machen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unser höchstes Potential, ohne sie können wir ein Krankenhausbetrieb nicht aufrechterhalten.

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