Singen ist das industrielle Herz des Landkreises Konstanz. Mehr als 9000 versicherungspflichtige Arbeitsplätze stellt das produzierende Gewerbe in Singen bereit, besagen Zahlen der Stadtverwaltung. Das bedeutet: Für tausende Familien hängt zumindest ein Teil des Lebensunterhalts von Industriearbeitsplätzen ab. Große Betriebe gibt es auch in Gottmadingen, Radolfzell und Stockach, alle Städte und Gemeinden des Landkreises haben Gewerbe- und Industriebetriebe auf ihrem Gebiet.

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Gleichzeitig sind Industrie und Gewerbe entscheidende Faktoren für die Finanzen von Kommunen. Denn die Gewerbesteuer fließt in die Gemeindekassen, unter den kommunalen Steuern hat sie die größten Einnahmen gebracht. Laut dem Statistischen Bundesamt haben Städte und Gemeinden im Jahr 2023 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor – etwa 75 Milliarden Euro an Gewerbesteuer eingenommen. Zum Vergleich: Aus der Grundsteuer, über deren Neuberechnung derzeit lebhaft diskutiert wird, flossen etwa 15,5 Milliarden Euro in die kommunalen Kassen.

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Industrie und Gewerbe tragen also einen entscheidenden Teil zur Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur wie Schwimmbädern, Gehwegen oder Stadtbibliotheken bei. Das bekam im vergangenen Jahr auch die Stadt Singen zu spüren, wo ein Einbruch bei der Gewerbesteuer den städtischen Haushalt kräftig durcheinander brachte.

Die Antworten der Kandidaten

Die Industrie ist also ein wichtiges Thema für Menschen und Finanzen. Wie blicken die sechs Direktkandidaten der bereits im Bundestag vertretenen Parteien im Wahlkreis Konstanz darauf? Und was sagen sie zur Versorgung der Betriebe mit Energie? Der SÜDKURIER hat ihnen die Frage gestellt: Welche Perspektive sehen Sie für die energieintensiven Industriezweige wie in Singen? Die Antworten sind hier in der Reihenfolge des Zweitstimmenanteils der Parteien von 2021 dargestellt.

Lina Seitzl, SPD-Kandidatin
Lina Seitzl, SPD-Kandidatin | Bild: Denise Claus

SPD-Kandidatin Lina Seitzl, die bereits im Bundestag sitzt, schreibt auf die SÜDKURIER-Anfrage: „Wir haben starke Unternehmen in der Region. Nichtsdestotrotz ist die derzeitige Situation herausfordernd. Deshalb müssen jetzt dringend die Netzentgelte runter und es braucht eine Strompreiskompensation für energieintensive Branchen, damit Energie günstiger wird.“

Andreas Jung, CDU-Kandidat
Andreas Jung, CDU-Kandidat | Bild: Jarausch, Gerald

Andreas Jung hält seit 2005 das Direktmandat im Kreis Konstanz für die CDU und will erneut in den Bundestag. Er schreibt: „Wir müssen diese Industrie hier halten. Daran hängen Arbeitsplätze, Zulieferer und Handwerker. Wegen des internationalen Wettbewerbs müssen Steuern und Energiekosten runter. Das neue Wasserstoff-Netz muss unsere Wirtschaftszentren erreichen. Unsere Region darf nicht abgehängt werden.“

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Rosa Buss, Grünen-Kandidatin
Rosa Buss, Grünen-Kandidatin | Bild: Inka Reiter

Grünen-Kandidatin Rosa Buss setzt auf erneuerbare Energien: „Die direkte Nutzung von Solar- und Windenergie bietet enormes Potenzial: lokal, günstig und nachhaltig. Auch Solarthermie und die Rückgewinnung von Abwärme sind effizient. Grüner Wasserstoff wird perspektivisch möglich sein – dafür müssen wir die Infrastruktur ausbauen und Netzanschlüsse schaffen.“

Ann-Veruschka Jurisch, Kandidatin der FDP
Ann-Veruschka Jurisch, Kandidatin der FDP | Bild: Jarausch, Gerald

FDP-Kandidatin Ann-Veruschka Jurisch ist die dritte Abgeordnete aus dem Kreis Konstanz, die die Region bereits im Bundestag vertritt. Sie schreibt: „Es liegt in unserem Interesse, energieintensive Industrien wie die Gießerei Fondium zu halten. Die hohen Energiepreise in Deutschland sind vor allem der verfehlten Energiewende geschuldet. Eine Anbindung an das Wasserstoffnetz Deutschlands oder der Schweiz könnte langfristig eine Erleichterung für den Standort Singen bringen.“

AfD-Kandidat Bernhard Eisenhut
AfD-Kandidat Bernhard Eisenhut | Bild: Jarausch, Gerald

Für die AfD möchte der derzeitige Landtagsabgeordnete Bernhard Eisenhut in den Bundestag: „Bei der Fortführung dieser desaströsen Energiepolitik eine sehr düstere [Perspektive, Anm. der Redaktion]. Es werden weitere Firmen schließen und es werden weitere Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.“ Damit ist Eisenhuts Antwort zum Thema auch schon zu Ende.

Lars Hofmann ist Bundestagskandidat der Partei Die Linke
Lars Hofmann ist Bundestagskandidat der Partei Die Linke | Bild: Jarausch, Gerald

Und für Linken-Kandidat Lars Hofmann stellt sich die Sache so dar: „Ein industrieller Strompreis ist notwendig, ebenso wie eine konsequente Energiewende. Andernfalls werden die Standorte nicht wettbewerbsfähig sein. Als Linke stehen wir für eine Stärkung der Volkswirtschaft ein, um Wohlstand für alle zu schaffen, welcher auch in weitere Investitionen gesteckt wird.“

Was passt zusammen, was nicht?

Die größte Einigkeit unter den Kandidatinnen und Kandidaten besteht folglich darin, dass sie die Energiepreise für die Industrie für zu hoch halten, was Seitzl (SPD), Jung (CDU), Hofmann (Linke) und implizit auch Jurisch (FDP) so benennen. Auf Wasserstoff setzen dabei Andreas Jung (CDU), Rosa Buss (Grüne) und Ann-Veruschka Jurisch (FDP). Dabei gilt allerdings die Einschränkung, dass Grünen-Kandidatin Buss ausdrücklich von grünem Wasserstoff spricht.

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Bei der SÜDKURIER-Wahlarena im Radolfzeller Milchwerk hatte Jung noch argumentiert, man sollte auch für Wasserstoff offen sein, der aus Erdgas erzeugt und durch CO₂-Abscheidung klimaneutral werde. Auf erneuerbare Energien setzen ausdrücklich nur Rosa Boss (Grüne) und Lars Hofmann (Linke).

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Nur AfD-Kandidat Eisenhut sieht nichts Gutes auf die Industrie zukommen. Auch wenn es zuletzt vermehrt Meldungen über Kurzarbeit in Unternehmen gab, deutet sich derzeit allerdings nicht an, dass große Unternehmen komplett aufgeben und schließen müssen. In der Region hat allein der Autozulieferer BCS in Radolfzell seine Tore geschlossen – aufgrund einer Managemententscheidung, die im Mutterkonzern im fernen China getroffen wurde.