400 Meter, so lang ist die Nabelschnur von Fondium zum Kesselhaus des Singener Maggi-Werkes. 400 Meter Rohrleitungen, in denen 280 Grad heißes Thermo-Öl vom Eisengießer zum Nahrungsmittelhersteller transportiert wird. Dort werden mit Hilfe eines Wärmetauschers 80 Grad in lebensmittelechten Dampf umgewandelt, den die Maggi für ihre Garprozesse einsetzt. Schon 2009 wurde diese Kooperation zwischen Georg Fischer (dem Vorgänger von Fondium) und dem Singener Maggi-Werk nicht nur gefeiert, sondern auch vom Bundesumweltministerium mit 20 Prozent der Investitionssumme gefördert. Damals ging man davon aus, dass sich der Einsatz für die nachbarschaftliche Abwärmenutzung in Höhe von insgesamt fünf Millionen Euro schnell amortisieren würde.
Schon in normalen Zeiten konnten beide Firmen Unmengen von Gas und Kohlenstoffdioxid einsparen. Jetzt, in der Energiekrise, erscheint diese Kooperation wie ein Segen. Trotzdem erfüllt der in Folge des Ukrainekrieges verhängte russische Gaslieferstopp auch die beiden Singener Großunternehmen mit Sorge. Man bereitet sich auf einen strengen Winter vor.

Der Geschäftsführer von Fondium in Singen und Mettmann, Matthias Blumentrath antwortet auf die SÜDKURIER-Anfrage zur Bewältigung der Energiekrise schriftlich: „Als Eisengießer ist unsere Hauptenergiequelle Koks (für unsere Kupolöfen), gefolgt von Strom (für die Filteranlagen, Anlagen etc.). Gas verwenden wir für die Heizung und Vorheizprozesse.“ Deshalb werde angesichts eines sich verzehnfachten Gaspreises an beiden Standorten intensiv geprüft, wo Gas eingespart werden kann.
Kunden müssen mit höheren Kosten rechnen
„Zum Beispiel beschaffen wir warme Arbeitskleidung, damit wir die Heiztemperatur senken können“, erklärt Blumentrath weiter. „Wir stellen auch Brenner auf eine bivalente Betriebsweise um. Das bedeutet Wechselbetrieb von Erdöl und Gas statt nur Gas. Dies erfordert Investitionen, spart aber voraussichtlich 20 Prozent unseres Gasverbrauchs. Die gestiegenen Kosten für Energie müssen wir an unsere Kunden weitergeben. Wir hoffen hier auf einen partnerschaftlichen Umgang.“

Partnerschaftlich geht es auch in der Krise weiter zwischen Fondium und Maggi, denn hier bleiben die Leitungen heiß. „Solange die Auftragslage bei Fondium gut ist, profitieren auch wir davon“, sagt Maggi-Werksleiter Pascal Moser. „Die Wärme für unseren Dampf bekommen wir zu 60 Prozent über das Transfermedium Thermo-Öl. Für die restlichen 40 Prozent benötigen wir Gas.“
Wie bereitet sich Maggi also auf den schlimmsten Fall vor? Pascal Moser geht mit der Reporterin aufs Werksgelände in Richtung Kesselhaus. Über den Köpfen verlaufen die Rohrleitungen, in denen das Thermo-Öl zum Wärmetauscher fließt. Unweit des Kesselhauses haben Arbeiter neben drei riesigen Tanks ein Zelt aufgeschlagen. „Das sind alte Öltanks und Rohrleitungen, die wir für den Notfall wieder ertüchtigen“, erklärt der Maggi-Chef. Sollte es kein Gas mehr geben, so werde man auf Heizöl umsteigen.
Alte Öltanks werden wieder ertüchtigt
Die alte Anlage wurde über Jahre nicht mehr gebraucht. Jetzt werden die drei Tanks und die Leitungen abgedichtet und neu ausgekleidet, um Leckagen zu vermeiden. Moser ist froh, dass die Tanks noch auf dem Gelände stehen. „Heute ist es sogar schwer, Öltanks zu bekommen“, erklärt er. Das Öl werde dann zentral vom Mutterkonzern Nestlé eingekauft.
Sollte es zum schlimmsten Fall kommen, so werden nach ersten Vorausberechnungen ohne das Thermo-Öl zusätzlich rund 100 Kubikmeter Heizöl pro Woche benötigt. Das entspricht 100.000 Litern. Dass der Ernstfall eintreten könnte, schließt Pascal Moser nicht aus. Als Nahrungsmittelhersteller werde Maggi vermutlich nicht zu den priorisierten Branchen wie zum Beispiel die Pharma- oder Glasindustrie gehören.
Apropos Glas: Viele Kern-Produkte von Maggi wie die Würze oder Ravioli werden in Glasflaschen oder Dosen abgefüllt. „Das sind die beiden kritischen Verpackungsmaterialien, auf die wir angewiesen sind.“
Nachfrage nach Dosenprodukten steigt
Im Maggi-Werk arbeitet man derzeit auf Hochtouren, weil alle Bestände hochgefahren werden. Damit will das Unternehmen auf die wachsende Nachfrage vorbereitet sein. Wegen der hohen Inflation werde wieder mehr gekocht und weniger ausgegangen. Die Nachfrage nach Dosenprodukten, Soßen, Suppen aus Singen oder der Fünf-Minuten-Terrine aus Lüdinghausen sei gestiegen. „Die Lage ist volatil“, sagt Pascal Moser. „Deshalb legen wir Lager an.“ Die Energiekosten seien 2022 schon um 20 Prozent gestiegen, was die Produktion um einiges verteuere. 2023 wird mit einer Verdoppelung der Energiekosten gerechnet.
Schon vor der Energiekrise hatte der Konzern beschlossen, den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Überall im Werk wurden Messgeräte installiert, um Energieverluste zu identifizieren. „Wir wollen noch effizienter mit dem Dampf umgehen und dabei ganz vom Gas wegkommen“, erklärt der Werksleiter. Die Studien zur Dampferzeugung mit Wärmepumpen laufen schon.
Erst weniger CO², dann gar keins mehr?
Bis 2050 soll das Werk klimaneutral arbeiten. Doch in der aktuellen Krise muss sofort gehandelt werden. Einige Projekte auf dem Weg zur Klimaneutralität seien durch die Energiekrise auf der Prioritätenliste nach oben gerutscht. „Was vor fünf Jahren vermutlich noch als sekundär betrachtet wurde, hat jetzt an Bedeutung gewonnen“, sagt Pascal Moser.
Wie es dem Singener Aluminium-Verarbeiter Constellium in der Krise geht, ist leider nicht zu erfahren. Bekanntlich ist der Energiebedarf in dieser Branche besonders hoch. Die Unternehmenssprecherin Melanie Franzen bittet jedoch um Verständnis dafür, dass sie „zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben“ könne.