Hochmotorisierte Autos, die von selbst mit bis zu 300 Stundenkilometern über die Rennstrecke bewegen? Was für viele nach Zukunftsmusik klingt, ist der Alltag von Rainer Trauth – wenn er nicht gerade am Computer sitzt, um dieses Szenario zu programmieren. Denn der 26 Jahre alte Doktorand aus Singen arbeitet am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität München (TUM). Sein Thema: autonomes Fahren. „Für ein Auto braucht man in Zukunft hoffentlich keinen Fahrer mehr, außer man möchte es“, sagt Trauth.
21 Universitäten aus neun Ländern treten gegeneinander an
Beim autonomen Fahren gehe es nicht um Bremsen oder andere Ausstattungsmerkmale. „Autonomes Fahren ist ein reines Software-Thema“, sagt Trauth. Mit einem knapp 40-köpfigen Team war er im Oktober in Indianapolis in den USA, um den 300.000 Zeilen langen Code endlich auf die Straße zu bringen. 21 Universitäts-Teams aus neun Ländern traten gegeneinander an – und die Münchner gewannen nicht nur das Zeitrennen, sondern auch das Preisgeld von einer Million US-Dollar. „Da ist gar nichts Serie, da ist alles Forschung und kann jederzeit schief gehen“, erklärt Trauth.
Wenn Rainer Trauth sich mit einem Laien über sein Fachgebiet unterhält, gerät er manchmal kurz ins Stocken. Viele der Begriffe sind englisch, wie erklärt man das am besten? Außerdem können Laien sich nur schwer vorstellen, was er da genau in München austüftelt. Wollen die etwa die Rennfahrer ersetzen?
Formel 1 ist die perfekte Test-Umgebung
Nein, erklärt Trauth mit einem Lachen. „Ziel ist nicht, die Formel 1 zu ersetzen.“ Die sei mit Menschen am Steuer auch spannender. Aber Rennwagen seien ideal zum Testen: „Bei Rennen gibt es viele Situationen, die sehr anspruchsvoll sind. Bei der Formel 1 ist man ständig am Limit“, sagt der 26-Jährige.

Schon in der Vergangenheit seien viele Innovationen aus der Formel 1 entstanden und dann im normalen Straßenverkehr genutzt worden. Als Beispiel nennt er die Scheibenbremse. „Wenn man es bei 300 Stundenkilometern kann, wird es auch im Stadtverkehr möglich sein.“
Erst simuliert, dann auf der Strecke
Mitte 2020 sei klar gewesen, dass die TUM beim Wettkampf in Indianapolis antreten wird. Der Reiz: „Man versucht, etwas aus der Theorie aufs echte Fahren zu bringen“, erklärt Trauth. So könne man zeigen, dass das Erforschte auch unter realen Bedingungen funktioniere. Also hat er mit dem TUM-Team monatelang programmiert, ohne tatsächlich ein Auto fahren zu lassen. Seine Aufgabe: Performance-Optimierung. Das Auto soll seine beste Leistung erreichen und die schnellste Runde fahren. Erst im Juni, Juli dieses Jahres erhielten die verbliebenen Teams des Wettkampfes dann das gleiche Auto – in den USA, wo es noch umgebaut werden musste. Ende Juli fand die erste Fahrt statt.
Mit Sondergenehmigung in die USA
Für die einwöchige Testphase ab 13. Oktober flog dann das gesamte Team in die USA. Wegen der Pandemie brauchte es dafür eine Sondergenehmigung. „Wir haben schon befürchtet, dass wir gar nicht rüber kommen“, erinnert sich der Doktorand.

Statt eines Fahrers saß im autonomen Rennfahrzeug ein Computer im Cockpit. Der erfasst dann automatisch und eigenständig die Strecke, wie Trauth erklärt: Während des Rennens müssten die Entwickler zusehen, ob ihr Werk der vergangenen Monate funktioniert und das Auto möglichst schnell aber auch möglichst ohne Schaden ins Ziel kommt. „Wir sagen nur ‚Los‘. Zwischen Start und Ziel drückt dann keiner irgendwelche Knöpfe“, so Trauth. Die Rennstrecke sei vorab zwar bekannt, aber nicht eingespeichert – das Auto solle auf aktuelle Herausforderungen reagieren. Trauth nennt es ein großes, mathematisches Modell, das dynamisch funktioniert.
Erste autonome Zeitrennen der Welt
Deshalb hätte er sich gefreut, wenn die autonomen Rennwagen ein Rennen gefahren wären. Doch das habe die Rennleitung einen Tag vorher abgesagt: Statt gemeinsam sollte jedes Auto einzeln fahren. Der Schnellere gewinnt. Es war das erste autonome Rennen der Welt.
Mit durchschnittlich 218 Stundenkilometern lag das TUM-Team in der Wertung vorne. Dabei seien die Testbedingungen in den USA nicht optimal gewesen: Erst regnete es, dann war das Aerodynamik-Setup falsch eingestellt und das Auto drehte sich zweimal um die eigene Achse. „Zum Glück nicht in die Wand“, sagt Trauth. Auch am Renntag sei Nieselregeln angesagt gewesen. Ein Problem sei unter diesen Umständen beispielsweise gewesen, die Reifen warm zu bekommen. „Wenn es wärmer gewesen wäre, wäre sicher mehr drin gewesen“, vermutet der Doktorand.
Doch wer weiß, vielleicht kommt bald das nächste Rennen: Das Auto hat das Team erstmal in den USA gelassen. Der Gewinn soll übrigens reinvestiert werden: Noch sei die Uni der Hauptsponsor ihrer Forschung. Doch vielleicht interessieren sich bald auch große Autobauer für diese Forschungsergebnisse, die auf die Straße gebracht wurden.