Fahren in einigen Jahren wieder regelmäßig Personenzüge von Singen über die Etzwiler Bahn in die Schweiz? Zumindest ist die gesamte Strecke, auf der derzeit an ein paar Tagen im Jahr eine Museumsbahn verkehrt, in einer Potentialanalyse des Landes Baden-Württemberg verzeichnet. Das bedeutet: Die vom Land beauftragten Gutachter der Firma PTV trauen der Strecke zu, erfolgreich reaktiviert werden zu können.
Personenbetrieb bis in die Schweiz ist jedenfalls unter anderem Gegenstand der Machbarkeitsstudie, die die Kommunen Singen und Rielasingen-Worblingen beauftragen wollen. Der Auftrag wird aber nur dann erteilt, wenn das Land Baden-Württemberg einen Zuschuss zu der Studie gibt. Laut Rielasingen-Worblingens Bürgermeister Ralf Baumert prüfe das Stuttgarter Ministerium derzeit noch, ob es Zuschussgelder gibt, der Auftrag sei daher noch nicht erteilt worden. Dass ein Zuschuss zur Machbarkeitsstudie derzeit geprüft wird, bestätigt auch die Pressestelle des Verkehrsministeriums. Diese Studie soll klären, wie ein regelmäßiger Personenzugbetrieb auf den Gleisen aussehen könnte. Die drei Szenarien, die untersucht werden sollen, sind: eine Verzweigung der S-Bahn-Linie von Winterthur nach Stein am Rhein mit einem Zugteil nach Singen; ein Betrieb allein von Singen nach Etzwilen; und die Verlängerung der Regionalbahnlinie von Schaffhausen nach Singen bis nach Ramsen an der Schweizer Grenze.

Doch was sagen die beiden schweizerischen Kantone Schaffhausen und Thurgau dazu, über deren Gebiete die Strecke bis Etzwilen verläuft? Dass die Schweizer Seite derzeit kein Geld für Untersuchungen zur oder Umsetzung der Reaktivierung geben will, ist den Verwaltungschefs der beiden deutschen Anliegerkommunen, Bürgermeister Ralf Baumert in Rielasingen-Worblingen und Oberbürgermeister Bernd Häusler in Singen, bewusst. Als es im Sommer im Singener Gemeinderatsausschuss für Stadtplanung, Bauen und Umwelt um die Machbarkeitsstudie ging, sagte Häusler, dass sich diese Haltung der Schweizer Seite möglicherweise noch ändere. Und auch Ralf Baumert interpretierte die Schweizer Haltung bei einem Pressegespräch im Februar eher als abwartend.
Schweizer Kantone sehen in der Wiederbelebung keinen Sinn
Was Vertreter der Kantone Schaffhausen und Thurgau sowie der Gemeinde Wagenhausen, auf deren Gebiet Etzwilen liegt, dazu nun öffentlich mitteilen, klingt indes nach deutlich weniger Gegenliebe. Herbert Glatt von der Koordinationsstelle öffentlicher Verkehr des Kantons Schaffhausen schreibt auf Anfrage in einer mit dem Leiter der Koordinationsstelle, René Meyer, abgestimmten Stellungnahme: „Für die Koordinationsstelle Öffentlicher Verkehr des Kantons Schaffhausen macht eine Wiederbelebung der Bahnstrecke Singen – Etzwilen keinen Sinn.“ Reisende von Singen, Ramsen und Hemishofen würden nach Stein am Rhein wollen und nicht nach Etzwilen. Doch Stein am Rhein wäre über die Bahn nur per Umstieg in Etzwilen erreichbar.
Ähnlich klingt das im Thurgau: „Eine Reaktivierung der Bahnstrecke Etzwilen – Singen hätte für den Kanton Thurgau keinen Vorteil“, schreibt Stefan Thalmann, Abteilungsleiter öffentlicher Verkehr im kantonalen Departement für Inneres und Volkswirtschaft, was in etwa einem deutschen Innenministerium vergleichbar ist. Mit der bestehenden Buslinie ab Stein am Rhein sei der Kanton besser an Singen angebunden als mit einer möglichen Bahnlinie.
Nachfrage wird als gering erachtet
Vorteile sehen die Vertreter der Kantone beide nicht. Und auch die Begründung ist bei beiden gleich: Die Nachfrage wird als zu gering eingeschätzt. Das haben die Schweizer Kantonsvertreter übrigens mit den Gutachtern gemeinsam, die die Potentialanalyse des Landes erstellt haben. Auch sie erwarten südlich von Rielasingen nur noch weniger als 500 Personen pro Tag, die mit der Bahn mitfahren wollen. Für den Abschnitt zwischen Singen und Rielasingen gehen sie hingegen von mehr als 2000 Personen am Tag aus. Daher haben sie die Gesamtstrecke in der zweitbesten Kategorie einsortiert. Weitere Hindernisse aus Sicht der Kantone: Die wiederbelebte Bahnlinie würde der Buslinie von Stein am Rhein nach Singen Konkurrenz machen – und die Kosten für beides gleichzeitig wären für die öffentliche Hand zu hoch, so der Tenor der Rückmeldungen.
Geld aus der Schweiz stellen Thalmann und Glatt jedenfalls nicht in Aussicht: „Aufgrund der Interessenlage würde sich der Kanton Thurgau, nach Einschätzung der Abteilung öffentlicher Verkehr, weder an den Infrastrukturkosten noch an den ungedeckten Betriebskosten beteiligen“, schreibt Stefan Thalmann. „Die Koordinationsstelle Öffentlicher Verkehr des Kantons Schaffhausen sieht derzeit keinen Anlass, Mittel für die Wiederbelebung der Bahnstrecke Singen – Etzwilen bereitzustellen“, heißt es bei Herbert Glatt.
Nutzen wird bei hohen Kosten in Frage gestellt
Roland Tuchschmid, Gemeindepräsident von Wagenhausen, wozu Etzwilen gehört, sieht die Sache ebenfalls skeptisch: „Es kostet einen Haufen Geld. Ob da genügend Nutzen da ist für die paar Leute, die im Zug sitzen?“, lautet die rhetorische Frage, die Tuchschmid, der mit einem deutschen Bürgermeister vergleichbar ist, aufwirft. Die Erschließung mit dem Bus funktioniere sehr gut, sagt er. Eine Schwierigkeit sieht er zudem beim Antrieb, denn die Etzwiler Bahn ist eine der wenigen schweizerischen Strecken ohne Oberleitung. Dieselzüge wolle man aber sicher auch nicht, was im Übrigen ausdrücklich eine Bedingung der Machbarkeitsstudie ist. Tuchschmid ist eindeutig: „Man muss die Kosten auf den Tisch legen und dann entscheiden, ob es gut ist oder nicht.“ Und er ergänzt: „Aus irgendeinem Grund hat man es ja auch mal stillgelegt.“
Auch die Hoffnung auf Schweizer, die mit der Bahn zum Einkaufen in die Hegaumetropole kommen, dürfte sich nicht erfüllen, was die Kritiker der Reaktivierung von der Bürgerinitiative Riwo-Bahn ebenfalls schon befürchtet haben. Mark Eferl, Pressesprecher des Singener Hauptzollamtes, macht die Dimensionen deutlich: Im Jahr 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, das Eferl als repräsentativ betrachtet, habe seine Behörde in ihrem gesamten Zuständigkeitsbereich fast 10 Millionen Ausfuhrscheine ausgestellt. Am Bahnhof Singen seien es davon lediglich eine niedrige fünfstellige Zahl gewesen. Am Autobahnzoll in Thayngen seien es erheblich mehr. Und: Durch die Einführung der Bagatellgrenze von 50 Euro und vor allem durch die Corona-Pandemie sei die Zahl der Ausfuhrscheine insgesamt stark zurückgegangen. Auch wenn diese Anfang des Jahres wieder gewachsen sei, würden die Werte weiterhin unter 50 Prozent des Vor-Corona-Niveaus liegen.