Wer das erste Exponat der Stadtgeschichtlichen Sammlung sehen möchte, muss viele Hürden bewältigen. Erst die fast unscheinbare Kellertür am Fuß der Johann-Peter-Hebel-Schule, die sich als Zugang zu einem Bunker entpuppt. Dann eine gasdichte Schleuse und dahinter ein langer Flur, an dessen Ende sich im Techniktrakt die frühere Küche befindet. Hier stehen allerdings keine Geräte, sondern zahlreiche gefüllte Regale mit historischen Schätzen. Wo in den 60er-Jahren ein Reserve-Lazarett entstand, schlummert nun in Seidenpapier gehüllt und in einem Papierkarton verpackt eine alte Maggi-Flasche.

Im langen Flur, früher als Dreh- und Angelpunkt geplant, stehen einige Schulmaterialien.
Im langen Flur, früher als Dreh- und Angelpunkt geplant, stehen einige Schulmaterialien. | Bild: Arndt, Isabelle

Sie ist das erste, aber bei weitem nicht einzige Exponat der Sammlung, die bis 2030 Platz in einem Stadtmuseum finden soll. Ralph Stephan ist als Leiter des Hegau-Museums einer von wenigen, die den Schlüssel zu den besonderen Lagerräumen hat. Bei einem Rundgang erlaubt er Einblicke in die Sammlung und den Bunker, der dank des Krieges in der Ukraine traurige Aktualität bekommt.

Würde der Schutzraum noch schützen? Die letzte Übung ist lange her

„Ich wollte die Anlage immer schützen, um jungen Menschen mal zu zeigen, wie man sich für den dritten Weltkrieg vorbereitet hat. Es ist schockierend, dass das nun wieder Thema ist“, erklärt der Museumsleiter im langen Flur des Bunkers. „Es ist wohl eines der wenigen Reserve-Lazarette in Baden-Württemberg, das erhalten geblieben ist“, sagt Ralph Stephan. Viele ähnliche Schutzräume seien zurückgebaut worden: „Der Zivilschutz ist in den 90er-Jahren total runtergefahren worden.“ So sei beispielsweise die medizinische Ausrüstung des Singener Reserve-Lazaretts an die Philippinen verschenkt worden.

Der erste Raum wird momentan als Fahrradwerkstatt genutzt.
Der erste Raum wird momentan als Fahrradwerkstatt genutzt. | Bild: Arndt, Isabelle

Theoretisch könnte der Bunker wieder als solcher genutzt werden, vermutet Ralph Stephan – auch wenn die letzte Übung sicher 30 Jahre zurückliege. Für Strom, Wasser und Atemluft sei weiterhin gesorgt. Praktisch nutzen verschiedene Einrichtungen die freien Räume: Hier lagern Materialien der Schule, Räder der Fahrradwerkstatt der Awo und eben die Exponate des Hegau-Museums.

Das könnte Sie auch interessieren

Welche Gegenstände aufbewahrt werden – und wie

Auf den ersten Blick wirken einige Stücke wie Überbleibsel aus Omas Wohnzimmer: Ein samtbespanntes Sofa, ein wuchtiger Schreibtisch und drei Herde stehen im Flur. Ein Nachlass der Familie Wetzstein, wie Ralph Stephan erklärt. Aufbewahrt werde, was selten oder einzigartig sei. In diesem Fall sei es einzigartig gewesen, drei funktionstüchtige Herde zum Kochen mit Holz, Gas oder Strom vorzufinden.

Ralph Stephan leitet das Hegau-Museum Singen und ist damit auch Herr über die Stadtgeschichtliche Sammlung, die unterhalb der ...
Ralph Stephan leitet das Hegau-Museum Singen und ist damit auch Herr über die Stadtgeschichtliche Sammlung, die unterhalb der Johann-Peter-Hebel-Schule in einem Bunker schlummert. | Bild: Arndt, Isabelle

Die seien in der Villa Wetzstein bis zuletzt benutzt worden. Staub bedeckt diese im Flur gelagerten Exponate – auch weil es an Zeit fehle, sich darum zu kümmern. „Ich bin vielleicht einmal pro Quartal hier, um nach dem Rechten zu sehen. Doch es fehlt jemand, der die Sammlung aufarbeitet“, sagt der Museumsleiter. Einer solchen Stelle hätte der Gemeinderat im Februar zustimmen sollen, doch dieser Punkt wurde wieder von der Tagesordnung genommen.

Ein Lagerraum bietet noch viel Platz

Dennoch sind schon einige Gegenstände in Seidenpapier und Kartons verpackt. In einem Lagerraum sind die Regale schon voll, ein weiterer hat noch viel Platz für Zeugnisse der Vergangenheit. Neben der Maggi-Flasche sind das zum Beispiel ein Wehrmachtshelm oder eine alte Feuerwehruniform. Wem die gehört hat, kann der Museumsleiter spontan nicht sagen. „In vielen Fällen können wir das nicht mehr nachvollziehen“, sagt er. Im Fall der Uniformen seien diese meist auch von mehreren Feuerwehrleuten getragen wollen.

Eine der alten Feuerwehruniformen. Die sind nach heutigem Maßstab etwas klein und schmal geraten.
Eine der alten Feuerwehruniformen. Die sind nach heutigem Maßstab etwas klein und schmal geraten. | Bild: Arndt, Isabelle

Interessant sei auch die Größe der Uniformen, denn damals seien die Menschen kleiner und schmaler gewesen. In anderen Fällen mache das Material nach so vielen Jahren Probleme: „Kunststoff zerfällt einfach“, schildert Ralph Stephan.

In Singens Scheunen lagern viele Schätze

Der Traum eines jeden Archivars sei übrigens, wenn es entsprechende dokumentierende Bilder gebe – und das sei in Singen gar nicht so selten. Ein großer Vorteil der Stadt sei nämlich, dass es im Gegensatz etwa zu Konstanz immer genügend Platz gegeben habe: „Deshalb gibt es viele Schätze in den Scheunen.“ Neulich habe er beispielsweise per Post den Original-Wehrpass des Maggi-Gründers zugeschickt bekommen. Einfach so, weil jemand ihn im Keller gefunden hatte.

Triage am Eingang, Entgiftungstrakt im Inneren

In den vergangenen Jahren hat sich auch der Bunker unter der Johann-Peter-Hebel-Schule zum Keller gewandelt. Was markant geblieben ist: Der Flur, der Dreh- und Angelpunkt des Lazaretts sein sollte. Denn falls die oberirdischen Klassenzimmer der Schule nicht mehr als Krankenzimmer hätten genutzt werden können, wären die Kranken einfach im langen unterirdischen Flur versorgt worden. Mehrere hundert Lazarett-Betten hätten laut Ralph Stephan nebeneinander in den langen Flur gepasst. Aber nicht alle: „Vorne an der Schleuse hätte die Triage begonnen“, vermutet er. Da hätten man dann entscheiden müssen, wer draußen bleiben – und sterben – muss. Außerdem gab es im Bunker zwei Operationssäle, deren Türen heute verschlossen sind. Duschen sollten im sogenannten Entgiftungstrakt dabei helfen, schädliche Partikel abzuwaschen. „Da wäre man dann mit dem Geigerzähler an die Leute gegangen und hätte geschaut, wie sehr sie noch strahlen“, erklärt der Museumsleiter das Szenario eines Atomangriffs.

Das könnte Sie auch interessieren

Allerdings hätte der Bunker unter der Hebelschule nur einen Bruchteil der Bevölkerung schützen können: „Von den damals 20- bis 30.000 Einwohnern Singens hätten vermutlich nur wenige tausend einen Schutzraum gehabt.“