Frau Federle, mit 17 Jahren haben Sie das Elternhaus ohne Schulabschluss verlassen, im Alter von 19 waren Sie bereits zweifache Mutter, schließlich sogar alleinerziehend. Erst dann haben Sie Ihren Schulabschluss nachgeholt und mit 30 Jahren ein Medizinstudium aufgenommen. Was haben Sie aus diesem schwierigen und krummen Weg für sich mitgenommen?

Dass es immer einen Weg gibt, außer man ist so schwer krank, wie beispielsweise bei einer Krebserkrankung im Endstadium. Ansonsten hast du immer eine Chance im Leben, auch wenn sie noch so klein ist.

Sie engagieren sich sozial. Im Jahr 2015 haben Sie in einem umgebauten Wohnwagen eine mobile Arztpraxis für Flüchtlinge initiiert. Wie kam es zu dieser Idee?

Flüchtlinge hatten damals, wenn sie ärztliche Hilfe benötigten, die Nummer 112 gewählt, sodass wir Notärzte ständig im Einsatz waren. Wenn wir zu einem Kind gefahren sind, weil es 38 Grad Temperatur hat, dann mussten wir uns natürlich das Kind erst anschauen – der nächste Einsatz musste jedoch warten. Das war eine bedrohliche Situation für die medizinische Versorgung, weil wir als Notärzte schlichtweg nicht für schwere Fälle zur Verfügung standen. Daher habe ich die mobile Arztpraxis initiiert, in der wir Flüchtlinge versorgen und Medikamente austeilen konnten. Als die Flüchtlinge nach und nach einen Hausarzt gefunden hatten, haben wir in dem Mobil Obdachlose behandelt und diejenigen, die nicht krankenversichert sind.

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Und während der Pandemie spielte der Wagen erneut eine große Rolle.

Ja, das ist richtig, er wurde mit dem „Tübinger Weg“ bekannt. Das Mobil stand als kostenlose Teststation vor dem Rathaus. Und während sich ganz Deutschland im Lockdown befand, konnten die Menschen in Tübingen weiterhin einkaufen gehen und sich in einem der Cafés verabreden.

Wenn Sie Ideen umsetzen, holen Sie auch Hilfe mit ins Boot. Unter anderem konnten Sie Schauspieler Jan Josef Liefers sowie TV-Moderator Michael Antwerpes gewinnen, mit Ihnen den gemeinnützigen Verein „BewegtEuch“ zu gründen.

Synergien zu nutzen, das funktioniert immer am besten.

Welche Idee steckt hinter diesem Projekt?

Mit Jan Josef Liefers und seiner Frau Anna Loos verbindet mich seit vielen Jahren eine enge Freundschaft. Wir haben uns in Corona-Zeiten getroffen und über die Situation der Kinder gesprochen, die wahrscheinlich am meisten unter der Isolation des Lockdowns gelitten haben. Das haben wir nicht nur in unserer eigenen Familie gesehen, sondern diese Beobachtung machte ich auch in meiner Praxis.

Aus meiner eigenen Biografie weiß ich, wie wichtig es ist, in Krisenzeiten etwas zu haben, an dem man sich festhalten kann. Als mein Vater starb, war ich elf Jahre alt und mich hat das Lesen gerettet. Andere Kinder können sich vielleicht im Sport verwirklichen oder Bestätigung finden, Zuspruch oder einfach nur ein soziales Miteinander. Wenn ein Kind gerne boxen möchte oder so wie die beste Freundin zum Ballettunterricht, die Eltern sich das jedoch nicht leisten können, dann übernehmen wir die Kosten. Bisher haben wir schon über 1000 Kindern geholfen.

Wie generieren Sie Spenden?

Indem wir Mitglieder gewinnen, über meine Lesungen und durch den Verkauf meiner Bücher, deren Erlös fast eins zu eins in das Projekt fließt.

Ihnen wurde für Ihr Engagement der Bundesverdienstorden verliehen. Was bedeutet Ihnen das?

Was ich klasse fand, dass ich anders gehört und auch anders in der Politik wahrgenommen wurde. Das birgt Chancen für meine Arbeit.

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Sie haben mehrere Bücher geschrieben, in der Biografie geben Sie viel von sich selbst preis. Fiel Ihnen das schwer?

Bereits vor zwölf Jahren habe ich einen Vertrag unterschrieben, meine Biografie herauszubringen. Die Unterschrift habe ich zurückgezogen, weil mir klar war, dass ich damit öffentlich werden würde. Während der Corona-Zeit bin ich dann ohnehin in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt. Daher konnte ich die Biografie, zu der im Laufe der Jahre viele Anfragen kamen, schließlich auch schreiben. Wichtig war mir, dass sie authentisch ist, und damit war klar, dass ich viel von mir preisgeben muss.

Im April erscheint ein Buch, das Sie mit Boris Palmer geschrieben haben. Worum geht es da?

Es ist in erster Linie ein politisches Buch. Wir zeichnen reale Fallbeispiele auf und geben konkrete Vorschläge, wie man es hätte anders machen können – anders machen kann.

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Zum Beispiel?

Wir stellen Fragen wie: Was beinhaltet das Heizungsgesetz? Was bedeutet das konkret für eine alte Frau? Welche Auswirkungen hat es? Oder: Boris wollte die Grundsteuer erhöhen und die Leute zwingen, ihren Bauplatz zu verkaufen. In dem Buch schreibe ich über eine Patientin von mir, die Auswirkungen auf sie und wie sehr sie darunter gelitten hat. Man kann sicherlich nicht alle Einzelschicksale betrachten, aber aufzeigen, wie politische Entscheidungen einzelne Menschen schädigen können.

Mit Kabarettist Bernd Kohlhepp – bekannt als „Herr Hämmerle“ – kommen Sie am 6. Februar zu einer Lesung in die Singener Gems. Was ist das für eine Veranstaltung?

Es ist weit mehr als eine Lesung, sondern eine Kombination aus Lesung, Gespräch und Interaktion mit dem Publikum, denn das darf schriftlich Fragen stellen, die ich beantworten werde. Bernd hat ein großartiges Gefühl für die Menschen, und der Abend bewegt sich zwischen tiefsinnigen und teils traurigen Gesprächen, sowie humorvollen, sehr lustigen Episoden und mutmachenden Sequenzen. In Krisenzeiten, in denen die Menschen wahnsinnig belastet sind, wird sich das Publikum an einem Abend für das Hirn und für die Seele garantiert erfreuen.