Anina Kemmerling

Du arbeitest seit Herbst vergangenen Jahres im Blauen Haus. Welche Aufgaben übernimmst du dort und wie sehr schränkt dich das Blindsein ein?

Bei meinem FSJ im Blauen Haus helfe ich beim Einkauf von Lebensmitteln, kümmere mich um Getränke oder räume die Spülmaschine aus. Außerdem spiele ich Gesellschaftsspiele mit Jugendlichen und tausche mich mit ihnen aus. Anfangs habe ich mit üblichen Barrieren zu kämpfen gehabt. Ich musste mich erstmal an den neuen Raum gewöhnen. Doch mittlerweile laufe ich ohne Blindenstock Treppen hoch und runter, weiß wo mein Büro ist und wo ich Besteck und Geschirr einräumen muss. Glücklicherweise habe ich trotz fehlender Sehkraft ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen und kann mich gut meinem Umfeld anpassen.

Das Blaue Haus ist ein Lebensraum für Kinder und Jugendliche in Singen. Er bietet verschiedene Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, ist ...
Das Blaue Haus ist ein Lebensraum für Kinder und Jugendliche in Singen. Er bietet verschiedene Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, ist ein Bildungs- und Rückzugsort.

Konntest du schon immer so gut mit deiner Einschränkung umgehen?

Da ich schon von Geburt an blind bin, kenne ich es gar nicht anders. Ich hatte das Glück in einer verständnisvollen Familie aufzuwachsen, die mich – vor allem als ich noch jünger war – sehr unterstützt hat. Mein Schicksal habe ich schnell akzeptiert. Für mich ist blind sein eine dankbare Behinderung. Einem wird viel geholfen und ich bin von Natur aus eine sehr selbstständige Person, die kein Problem damit hat, auf andere zuzugehen.

Wie hat das Blaue Haus auf deine Bewerbung für den FSJ-Platz reagiert?

Als ich von der Stelle im Blauen Haus erfahren habe, habe ich direkt dort angerufen und mich erkundigt. Mir war klar, dass nicht jede Einrichtung einen Sehbehinderten einstellen würde. Doch zu meinem Glück haben Selina Brix und Sarah Prause vom Blauen Haus sehr offen und entgegenkommend reagiert. Es wäre kein größeres Problem mich einzustellen, sagten sie, denn alles andere wäre Diskriminierung.

Mit den Jugendlichen spielt Moritz zum Beispiel ein blindengerechtes UNO-Kartenspiel.
Mit den Jugendlichen spielt Moritz zum Beispiel ein blindengerechtes UNO-Kartenspiel.

Wurdest du jemals wegen deiner Blindheit diskriminiert?

Ehrlich gesagt finde ich Diskriminierungsdebatten in meinem Fall ziemlich blöd. Auch mit übersensiblem Handeln kann ich nicht viel anfangen. Klar lebe ich als Blinder in einer nicht-barrierefreien Welt. Da muss ich mich Sehenden einfach unterordnen. Gleichzeitig nehme ich mich selbst nicht zu ernst und liebe Witze. Vieles ist Empfindungssache und für mich steht Ehrlichkeit an oberster Stelle. Lieber werde ich diskriminiert als angelogen. Ich könnte bis auf ein einziges Erlebnis kaum von negativen Erfahrungen berichten.

Möchtest du von diesem schlechten Erlebnis erzählen?

Das war vor ein paar Jahren. Ich bin allein nach Leipzig zu einem Heavy Metal Konzert gereist, weil ich niemanden gefunden habe, der Zeit hatte mich zu begleiten. Auf dem Konzert habe ich dann einen Jungen kennengelernt, den ich anschließend darum gebeten habe, mich zum Bahnhof zu begleiten. Er glaubte mir allerdings nicht, dass ich blind bin und dachte, ich wolle ihm etwas vormachen. Das ging so weit, bis ich beinahe vor eine fahrende Straßenbahn gelaufen wäre.

Als Blinder allein in eine fremde Stadt zu reisen kostet bestimmt viel Mut. Woher nimmst du deine Kraft?

Ich liebe Musik, ich liebe es auf Konzerte zu gehen und ich liebe es zu feiern. Wenn ich Konzertkarten für eine Band habe, die ich unbedingt live erleben möchte, dann freue ich mich wochenlang darauf, dorthin zu gehen. Und finde ich niemanden, der Zeit hat mitzukommen, gehe ich eben allein. Natürlich ist es mit Begleitung immer angenehmer für mich. Doch ich lasse mir die Freiheit nicht von meiner Blindheit berauben. Gerade weil ich selbst seit der zweiten Klasse Schlagzeugunterricht nehme und immer wieder in Heavy Metal Gruppen gespielt habe, ist es spannend, den Profis zuzuhören.

War es schwer für dich, ein Instrument zu lernen?

Ob es besonders leicht oder besonders schwer war, kann ich nicht sagen. Ich weiß ja nicht wie schnell andere lernen. Mein Schlagzeuglehrer hat mir sehr viel beigebracht und war stets eine Unterstützung für mich. Er hat immer gesagt: „Wenn man ein Instrument wirklich beherrscht, braucht man seine Augen nicht mehr.“ Blind Schlagzeug zu spielen ist ihm zufolge also nicht viel komplizierter.

Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Mein Traum wäre es, im kommenden Jahr in die Niederlande zu ziehen und in Eindhoven Heavy Metal zu studieren. Dafür fange ich gerade an, mir die holländische Sprache beizubringen und möchte künftig auch einen Sprachkurs belegen. Zudem würde ich mir wünschen, wieder als Schlagzeuger einer Band Konzerte spielen zu dürfen. Vielleicht auf großen Bühnen, vor großem Publikum.

Was könnte Singen verändern, um blindengerechter zu werden?

Ein großes Problem für Blinde ist der Verkehr. Ist man kurz unachtsam, gerät man schnell in gefährliche Situationen. Vor allem E-Autos und Fahrräder stellen eine Schwierigkeit dar, weil man diese nicht hört. In der Singener Innenstadt gibt es ein paar Ampelstellen, bei denen der Blindenton, also das Freigabesignal zum Überqueren der Ampel, nicht funktioniert. Sonst fällt mir allerdings nichts ein, was in Singen verändert werden sollte. Vor allem am Bahnhof komme ich als nicht-sehender Mensch sehr gut zurecht.