Klimakrise, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, Corona-Pandemie, globale Migration – an allen Ecken und Enden ist die Rede von Krisen. Das geht auch an der Stadt Singen nicht vorbei. Denn vielen ist klar: Einfach so weiterzumachen wie bisher, dürfte in der Zukunft einen hohen Preis kosten. Daher ist auch in der Hegau-Metropole der Wandel hin zum grünen Industriestandort im Gang, und in diesem Umfeld hat der Standortmarketingverein Singen aktiv in diesem Jahr seine Abendgesellschaft platziert.
Das prestigeträchtige Ereignis für Entscheider aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft der Region findet, abgesehen von einer Unterbrechung durch die Corona-Pandemie, alljährlich im Herbst statt. Kernstück ist ein Vortrag eines hochkarätigen Redners zu einem Thema der Zeit. In diesem Jahr widmete sich Maren Urner unter dem Titel „Raus aus der ewigen Dauerkrise“ gerade nicht den Krisen der Zeit – sondern der Frage, wie man zu Lösungen kommt, statt auf Probleme fixiert zu bleiben.

Angesichts der Transformation, vor der die gesamte Gesellschaft steht, hat das Thema offensichtlich das Publikum interessiert. Schon vor Ende der Anmeldefrist sei der Abend mit 580 Anmeldungen ausverkauft gewesen, sagte der Singen aktiv-Vorsitzende Wilfried Trah am Rande der Veranstaltung. Und während Urners Vortrag hätte man im Saal die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können.
Was hatte Urner, ausgebildet als Kognitionswissenschaftlerin, zwischenzeitlich im Journalismus tätig und derzeit Professorin an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln, als Rezept für den Ausweg aus der Dauerkrise im Gepäck? Sie wolle nichts weniger als die Gehirne der Zuhörer verändern, lautete ihre Ansage. Dahinter steckte kein chirurgischer Eingriff, sondern eine Änderung durch Gedanken und Ideen. Urner, gefragte Rednerin und als Expertin auch immer wieder in Talkshows und Nachrichtensendungen zu Gast, argumentierte aus neurowissenschaftlicher Sicht dafür, anders über Krisen zu kommunizieren.

In Kurzform: Es sei zwar unbestritten dringlich, gegen die Klimakrise zu arbeiten. Dennoch passiere dafür zu wenig. Als Hinderungsgrund machte Urner das Steinzeithirn aus. Denn dieses sei zu stark auf negative Erlebnisse fixiert, es mache Menschen dümmer, sobald sie Angst haben, und könne eine Krise zur Gewohnheit werden lassen. Die Folge davon sei etwas, das in der Fachsprache erlernte Hilflosigkeit genannt werde, so Urner. Vereinfacht gesagt: Da man sich ohnehin hilflos fühle, arbeite man auch nicht an einem Ausweg.
Welche Gegenmittel helfen? Maren Urner hat Vorschläge
Als Gegenmittel schlug Urner vor allem vor, sich klarzuwerden, wofür man sei statt wogegen – Ziele also positiv zu formulieren. Schließlich könne sich kein anderes Lebewesen Dinge vorstellen, die gar nicht da sind. Und sie appellierte daran, erlernte Hilflosigkeit durch Selbstwirksamkeit zu ersetzen – am besten noch in einer Gruppe mit anderen, denn das würde für eine psychische Belohnung sorgen. „Das Erfolgsgeheimnis der Menschheit ist Kooperation“, so Urner. Und sie gab den Zuhörern ein Zitat des US-amerikanischen Psychotherapeuten Steve de Shazer mit: „Über Probleme reden, schafft Probleme. Über Lösungen reden, schafft Lösungen.“

Wie kam all das beim Publikum an? Stefan Kienzler gefiel der lösungsorientierte Ansatz. Der Kommandant der Gottmadinger Feuerwehr und Vorsitzende des Kreisfeuerwehrverbandes, der mit einer Gruppe seines Arbeitgebers bei dem Abend zu Gast war, sagte: „Es ist wie bei der Feuerwehr. Ein Problem geht nicht weg, wenn man nicht über die Lösung redet.“

Clemens Fleischmann, Geschäftsführer der Randegger Ottilienquelle, lobte die Rednerin: „Den Vortrag fand ich fantastisch.“ Und er liebe die Stimmung und Atmosphäre bei der Abendgesellschaft. Auch Kerstin Schaper-Lang, Geschäftsführerin des Weiterbildungsinstituts LCGS der Konstanzer Hochschule Technik Wirtschaft Gestaltung (HTWG), lobte den interessanten und temperamentvollen Vortrag.

Die HTWG spielt für den Verein Singen aktiv derzeit allgemein eine besondere Rolle, wie Claudia Kessler-Franzen, Geschäftsführerin des Standortmarketingvereins, und dessen Vorsitzender Wilfried Trah in ihrer Begrüßung erklärten. Die Transformation der Industrieregion Singen zum grünen Industriestandort wolle man nicht dem Zufall überlassen, so Kessler-Franzen. Daher habe die Stadt mit der HTWG den Aufbau eines Reallabors vereinbart. Dessen Zweck beschreibt Trah damit, das Ziel einer grünen Industriestadt mithilfe von Wissen aus der Forschung zu erreichen. Gleichzeitig rücke die Hochschule näher an Singen – und damit auch die Fachkräfte, so Kessler-Franzen.
Zahlreiche Unternehmen, deren Vertreter Trah und Kessler-Franzen begrüßten, seien schon auf dem Weg der Transformation, hieß es in der Begrüßung weiter, etwa durch papierloses Arbeiten, Digitalisierung, Energieeinsparung oder Abwasseraufbereitung – mit durchaus klaren Vorstellungen, was Krisen entgegenzusetzen ist.