105 Millionen Euro: Das ist der Betrag, den die Gutachter der Firma Lohfert und Lohfert für die Ertüchtigung des Singener Krankenhauses ansetzen, wenn man es in den jetzigen Gebäuden weiterbetreiben will. Mehr als 94 Millionen Euro davon sollen allein beim Hauptgebäude anfallen. Diese Zahlen stehen in der Abschlusspräsentation zum Strukturgutachten, die auf der Internetseite des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz (GLKN) zu finden ist. Der Kreistag hatte das Strukturgutachten in Auftrag gegeben, die zentralen Punkte wurden im März der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Vertreter der GLKN-Gesellschafter haben dabei keinen Zweifel daran gelassen, den Vorschlägen auch folgen zu wollen.

GLKN-Geschäftsführer Bernd Sieber erklärt nun auf Anfrage, wie sich die hohe Summe für den Instandhaltungsbedarf zusammensetzt. Schon 2011, vor der Gründung des GLKN, habe es ein Gutachten dazu gegeben. Als Hauptgebäude wird darin der Komplex vom Ostflügel über den Ursprungsbau bis zum westlich gelegenen gelben Haus bezeichnet. Nachdem die Arbeiten nur „sehr zurückhaltend“ (Sieber) erfolgt seien, habe sich daran nicht viel geändert, was von Lohfert und Lohfert bestätigt worden sei. Zum Bedarf gehören unter anderem die Bereiche Elektrotechnik, Heizung und Lüftung, Wärmedämmung, aber auch Brandschutz und medizintechnische Ausstattung.
Der Sanierungsstau an den teilweise denkmalgeschützten Gebäuden ist in den Augen der Gutachter also groß. Ein neues Krankenhaus mit etwa 180 Betten könnte man für den Betrag bekommen, der allein in die Instandhaltung in Singen fließen müsste, heißt es in der Präsentation. Die Autoren des Strukturgutachtens schlagen einen kompletten Neubau vor, der das bisherige Singener Krankenhaus ersetzen soll. Und der Neubau, der mit dem Stichwort „westlicher Hegau“ bezeichnet wird, soll auch das Radolfzeller Krankenhaus ersetzen. Dieses lasse sich nicht rentabel betreiben, so die Gutachter.
Ein Neubau könnte deutlich kleiner ausfallen als die beiden bisherigen Krankenhäuser
Sollte es so kommen, steht dem größten Krankenhaus des GLKN eine Umwälzung bevor. Das Singener Krankenhaus hat knapp 450 Betten, das in Radolfzell knapp 150. Zum Vergleich: Das Konstanzer Krankenhaus hat nur 380 Betten. Dennoch müsste ein Neubau für den westlichen Hegau nicht 600 Betten haben, sondern nur 450, so gibt die GLKN-Geschäftsführung die Einschätzung der Gutachter weiter. Einerseits könnten medizinische Abteilungen aus Radolfzell in Konstanz integriert werden. Andererseits würden Eingriffe immer mehr ambulant erfolgen und stationäre Patienten immer kürzer im Krankenhaus bleiben.
„Damit liegt das Leistungsvolumen eines 450-Betten Neubaus deutlich oberhalb der derzeitigen HBK-Standorte“ in Singen und Radolfzell, heißt es in der Einschätzung weiter. Auf dieser Zahl beruhe auch der geschätzte Baupreis von etwa 270 Millionen Euro, wobei eine Prognose schwierig sei – und auf der Annahme, dass ein Teil der Medizintechnik aus dem Bestand übernommen werden kann. Ob es so kommt, liegt vor allem am Kreistag (siehe Text unten).
Dabei verschwindet selbst bei einem Grundsatzbeschluss für den Neubau nicht der Baubedarf am jetzigen Singener Krankenhaus. Bereits im Bau in Singen sind laut GLKN-Geschäftsführer Sieber Arbeiten an der kardiologischen Funktionsdiagnostik und für die Erweiterung der Kreißsäle, Kostenprognose etwa 4,25 Millionen Euro, eine interdisziplinäre Aufnahmestation für prognostizierte 4,64 Millionen Euro und eine Wahlleistungsstation für etwa 1,6 Millionen Euro – zusammen also mehr als 10 Millionen Euro. „Das sind alles absolut notwendige Investitionen“, sagt Sieber. Denn selbst wenn morgen der Baubeschluss fiele, würde man von acht bis zehn Jahren reden, bis ein Neubau da wäre: „Darauf können wir nicht warten.“ Er lässt durchblicken, dass ziemlich lang zu wenig investiert wurde.
Nicht der erste große Plan
Es ist indes nicht das erste Mal, dass weitreichende Pläne für das Singener Krankenhaus geschmiedet wurden. Schon im Vorfeld der Bildung des GLKN im Jahr 2012 hat die Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers vorgeschlagen, nur die großen Krankenhausstandorte in Singen und Konstanz beizubehalten. Auch ein Großkrankenhaus bei Steißlingen für den ganzen Landkreis haben sie ins Gespräch gebracht, wogegen der Kreistag aber heftig protestiert habe, wie der damalige Landrat Frank Hämmerle kürzlich dem SÜDKURIER berichtete.

Wenn man noch weiter zurückgeht, kommt man auf einen groß angelegten Architektenwettbewerb zur Ertüchtigung des Singener Krankenhauses in den 1990er-Jahren. Schon damals sei der Grund ein Investitionsstau gewesen, sagt Andreas Renner. Er war von 1993 bis 2005 Oberbürgermeister von Singen und erinnert sich noch gut an die Vorgänge zu Beginn seiner Amtszeit. Damals habe er das Krankenhaus, zuvor ein städtischer Eigenbetrieb, in eine städtische GmbH überführt – ein Vorgang, den sein Vorgänger Friedhelm Möhrle vorbereitet habe, so Renner. „Das Krankenhaus musste die notwendigen Investitionen selbst erwirtschaften“, erklärt er zum Zustand nach der Überführung in die GmbH.
Um den Gewinnerentwurf des Architekturwettbewerbs umzusetzen, wären damals mehrere hundert Millionen D-Mark nötig gewesen: „Das konnten wir nicht stemmen“, sagt Renner heute. Am Ende habe man so modernisiert, wie man konnte. 2005 wurde ein neuer Funktionstrakt in Betrieb genommen, zuvor gab es weitere Anbauten und Sanierungen. Laut einem SÜDKURIER-Bericht von 2003 sind in dieser Zeit etwa 80 Millionen Euro investiert worden.
Eins zu eins umgesetzt wurde bislang also kein Plan zur Neustrukturierung. Und das aktuelle Gutachten löst auch Fragen aus. Zum Beispiel die nach der Lage eines möglichen neuen Krankenhauses, für das die Stadtverwaltung den Grundstücksmarkt bereits sondiert. Das jetzige Krankenhaus liegt stadtnah und hat mit dem Haltepunkt Landesgartenschau einen Bahnhof in Laufdistanz. Andrea Jagode, Pressesprecherin des GLKN, sagte zudem schon bei einer früheren Gelegenheit, dass es noch eine Erweiterungsfläche direkt neben dem jetzigen Krankenhaus gebe.
Und: Rund um das Krankenhaus hat sich eine Reihe anderer Gesundheitseinrichtungen angesiedelt. Das Rote Kreuz hat seine neue Rettungswache in der Nähe kürzlich bezogen, unter anderem das Labor Dr. Blessing und ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) Strahlentherapie liegen beim Krankenhaus. Für Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler ist die DRK-Rettungswache indes kein Grund, am bisherigen Krankenhausstandort festzuhalten. In Radolfzell sei die Rettungswache auch nicht neben dem Krankenhaus, sagte er am Rande des Pressetermins zur Vorstellung des Strukturgutachtens.
Ratschläge für die aktuelle Situation will Renner, der vor etwa 17 Jahren sein Amt als Singener OB abgegeben hat, nicht geben. Er sagt aber doch: „Bei allem, was man hier diskutiert, muss man bedenken: Das Krankenhaus gehört zur DNA dieser Stadt.“ Als junger Industriestandort habe die Stadt damals enorme Summen in die Gesundheitsversorgung investiert: „Es tut weh, wenn ein fast 100-jähriger Standort den modernen Gegebenheiten nicht mehr genügt.“