Wenn man sich mit gestandenen Eisenbahnern über die Ablachtalbahn zwischen Stahringen und Mengen unterhält, bekommt man viel zu hören, was aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Dabei liegen nur ein paar Jahre zwischen Damals und Heute. Vor 47 Jahren fuhren beispielsweise noch Personenzüge nördlich von Stockach.

Erwin Thum aus Mühlingen ist einer von denen, die auf der Ablachtalbahn unterwegs waren. Ende der 1970er-Jahre sei er für ein Jahr „auf den Heuberg“ gefahren, wie der Güterzug nach Krauchenwies damals bei den Eisenbahnern geheißen habe, erzählt Thum. Dabei habe er den Rangiermeistern aus Radolfzell, die die Züge gefahren haben, gewissermaßen den Umgang mit der Strecke beigebracht.
Und er erzählt über den Bahnhof von Mühlingen-Schwackenreute, wo damals die Abzweigung nach Pfullendorf war. Dort sei der Heuberger Güterzug getrennt worden. Mit dem ersten Teil sei es nach Pfullendorf gegangen – auf Gleisen, die heute längst abgebaut sind. Nach der Rückkehr sei der zweite Teil des Zuges nach Krauchenwies gefahren und danach beide Zugteile wieder zurück nach Süden.

Helmar Wahl hat von 1972 bis 1975 seine Lehre bei der damaligen Bundesbahn am Stockacher Bahnhof absolviert. Damals sei auf den Stockacher Gleisen richtig viel los gewesen, erzählt er, es habe Güter- und Personenverkehr von morgens bis abends gegeben. Und die Unternehmen Eisen Pfeiffer, die Fahr-Fabrik, in der heute das Rival-Werk sitzt, und die Zentralgenossenschaft (ZG) hätten Gleisanschlüsse gehabt, über die Koks, Achsen für Traktoren und Mähdrescher, Stahl und Getreide transportiert worden seien. Unter dem Personal, das 1972 am Stockacher Bahnhof gearbeitet habe, zählt Wahl auch Rangierer, Schrankenwärter und einen Gepäckarbeiter auf. Auch den Gepäcktransport für Bahnreisende, heute längst Sache eine Spedition, habe die Bahn damals noch selbst gemacht.


Doch in den 1970er-Jahren war auch die Zeit, in der viele Strecken stillgelegt wurden. 1972 endete der Personenverkehr nördlich von Stockach, 1982 wurde dann auch die Verbindung nach Radolfzell eingestellt, auf nördlicheren Abschnitten der Ablachtalbahn erfolgte die Einstellung teilweise schon deutlich früher. Güterverkehr gab es allerdings noch länger, wie Helmar Wahl ebenfalls zu berichten weiß.
Denn er war auch der letzte Bahnbeamte, der am Stockacher Bahnhof Dienst tat. In dieser Zeit, von 1983 bis 1984, sei morgens und nachmittags ein Güterzug durch Stockach gefahren. Er habe dann zum Beispiel Expressgüter abgefertigt, aber auch Fahrkarten verkauft und Auskünfte erteilt, erzählt Wahl. Das hört sich an nach einer Zeit, in der die Kosten, die der Staat für den Bahnverkehr zu tragen hatte, eher weniger interessiert haben. Über das Ende des Betriebs sagt Wahl: „Es ist schon bedrückend, wenn man die Tür zumacht und weiß, dass danach auf der Strecke nichts mehr passiert.“

Dass es die Strecke überhaupt gibt, liegt an strategischen Überlegungen des damaligen Großherzogtums Baden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Karlsruhe habe man eine Konkurrenz zur damals schon bestehenden württembergischen Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen schaffen wollen, heißt es in dem Buch „Die Eisenbahn am Bodensee„ von Hans-Wolfgang Scharf und Burkhard Wollny.
Das Ziel: Ablenkung des über Ulm aufkommenden Verkehrs, auch in Richtung Schweiz, über eine zumindest teilweise badische Strecke. Außerdem sei mit strategischen Gesichtspunkten argumentiert worden, heißt es in dem Buch – und zwar erstmals für einen Eisenbahnbau. Indes: Für einen Schnellzug von Ulm zum Bodensee habe es damals an Reisenden gefehlt.

Und heute? Auch wenn die Bahnstrecke nicht mehr still liegt, ist es im Vergleich zu den Hochzeiten des Bahnverkehrs auf den Gleisen heutzutage sehr viel ruhiger geworden. Seit September 1996 fahren wieder Personenzüge von Stockach nach Radolfzell – offenbar damals ein Ereignis von Tragweite, zumindest wurden Erinnerungsplaketten an den Bahnsteigen angebracht.
Und es gibt starke Bestrebungen, die Ablachtalbahn auch nördlich von Stockach wieder für den Personenverkehr zu nutzen. Die Befürworter hoffen unter anderem darauf, dass die Ablachtalbahn angesichts von Bauarbeiten auf der Gäubahn zwischen Stuttgart und Singen und auf der Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen als Ausweichstrecke bedeutsam wird. Dass für einen regelmäßigen Personenverkehr genügend Reisende zusammenkommen, hat ein Gutachten vor einigen Jahren bezweifelt. Doch eines wird wohl kaum passieren: eine Rückkehr zum Betrieb früherer Jahre.

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