Die Apfelernte am Bodensee ist in vollem Gange und die Obstbauern sind dementsprechend auf helfende Hände angewiesen. Viele der Erntehelfer, die in der deutschen Landwirtschaft aushelfen, sind Saisonkräfte aus Osteuropa. Bei Alexander Buhl auf dem Seeblickhof in Wahlwies sind in diesem Jahr etwa zwölf Erntehelfer aus Polen tätig. Eine Erntehelferin der besonderen Art konnte Buhl jedoch vergangene Woche für einen Tag zur Mitarbeit auf seinem Betrieb einsetzen. Es handelte sich dabei um die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl.
Einblicke in die Arbeitswelt
Die Politikerin besucht seit Juni alle paar Wochen ganz unterschiedliche Betriebe im Landkreis, um zu erfahren, wie die Menschen leben und arbeiten. Bei Familie Buhl steht im August und September die Apfelernte im Vordergrund. Sie macht aber nur einen Teil der Arbeit aus. Auch das Ausfahren des Obstes, das Herrichten der Ferienwohnungen und der Verkauf im Hofladen müssen organisiert werden.

Im Hofladen wird neben eigenem Obst und Gemüse auch Ware anderer regionaler Landwirte verkauft. Ein beträchtlicher Teil des Umsatzes wird außerdem durch eigene Backerzeugnisse erzielt. Hierfür ist Marianne Buhl zuständig. Ihr Arbeitstag beginnt deshalb schon am frühen Morgen.
Von Berlin in die Backstube
Lina Seitzl kam um sieben Uhr dazu und fuhr mit Alexander Buhl Obst zu Kunden aus. Danach ging es in die Backstube. „Ich backe sehr gerne, leider fehlt mir oft die Zeit dazu“, erklärte die Politikerin, die im Jahr für 22 Sitzungswochen in Berlin ist. Sie formte Plätzchen und lernte Tricks, um einen perfekten Hefezopf zu flechten. Im Hofladen bediente sie nach kurzer Anleitung direkt die ersten Kunden.

Später brachte Alexander Buhl seine Tages-Praktikantin zum Ernteteam in die Apfelanlage; nach der Mittagspause wurden noch Himbeeren geerntet. Lina Seitzl stellte fest, dass diese Arbeit zwar meditativ, aber auch recht mühsam ist. Alexander Buhl informierte parallel über die Möglichkeiten, die Himbeeren vor dem Befall der Kirschessigfliege zu schützen.
„Bei den Betrieben herrscht viel Unsicherheit“
Der im Ortschaftsrat Wahlwies und mehreren landwirtschaftlichen Organisationen engagierte Obstbauer nutzte auch die Gelegenheit, mit der Politikerin über drängende Fragen zu sprechen. Ein Riesenthema ist für ihn die Diskussion um die Biodiversitätsstärkung. Baden-Württemberg habe 2019 ein Gesetz verabschiedet und darin viele gute Kompromisse gefunden.
Der Bund folgte, jetzt würden EU-weit Maßnahmen diskutiert. Alexander Buhl machte klar: „Bei den Betrieben herrscht viel Unsicherheit und große Angst vor dem Vorschlag der EU-Kommission.“ Etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Fläche in Baden-Württemberg wäre von sehr starken Einschränkungen betroffen. Es würden sehr strenge Vorgaben gelten, auch für den Bio-Anbau.
Der Bereich von Ludwigshafen bis Lindau sei ausgewiesenes Landschaftsschutzgebiet. „Dort dürfte man nach dem recht scharf formulierten Vorschlag nicht mehr viel machen, was zur Landwirtschaft gehört“, erklärte Buhl. Seitzl nahm die Sorgen und Anregungen auf.
Landwirtschaft und Biodiversität sind kein Gegensatz
Lina Sietzl betonte in diesem Zusammenhang: „Ich lerne viel von diesen Arbeitseinsätzen. Zum Beispiel, dass Landwirtschaft und Biodiversität kein Gegensatz sind. Die Landwirte brauchen natürlich Wildbienen zum Bestäuben ihrer Obstbäume. Sie legen Blühstreifen an, verzichten auf Glyphosat. Solche Maßnahmen kosten Geld. Und die Obstbaubetriebe wollen dabei unterstützt werden und verlangen Ausgleichszahlungen.“

Auch über die große Weltpolitik wurde gesprochen. Durch den Ukraine-Krieg sei die Bedeutung von Souveränität und Unabhängigkeit bei Energie und Lebensmittelsicherheit deutlich geworden. Deshalb müsse man aber auch „die Rahmenbedingungen schaffen, damit wir diesen Obstbau hier haben können“, so Seitzl.
Ernten für den Mindestlohn
Alexander Buhl sprach noch die Bezahlung für Saisonkräfte an, die maximal 70 Tage in der Landwirtschaft arbeiten. Der Mindestlohn von 10,45 Euro (ab 1. Oktober 12 Euro) gehe ohne Abzüge an die Erntehelfer und mache die Arbeit attraktiv, so Buhl.
Lina Seitzl versprach, alle Eindrücke in ihre Meinungsbildung und Arbeit einfließen zu lassen. „Das sind die Ziele meiner Praktikumsreihe: erfahren, was die Leute im Landkreis tagtäglich arbeiten, die Erkenntnisse mitnehmen in die Entscheidungsprozesse in Berlin und Netzwerke bilden.“