Die Stockacherin Annette Gräber hat einen Wunsch: Sie will eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen und freilaufende Katzen ohne Besitzer. Bundesweit gibt es eine solche nicht, eine Städte und Gemeinden haben jedoch selbst eine Kastrationsverordnung für streunende Katzen erlassen. Stockach gehört nicht dazu.
Dass Annette Gräber möchte, dass sich daran etwas ändert, hat einen persönlichen Grund und trägt den Namen Charly. Vor knapp vier Jahren habe sie den Kater geimpft, kastriert und gechipt aus dem Tierheim geholt, berichtet sie – „um ihm hier bei uns ein schönes und artgerechtes Leben mit Freigang zu schenken“.
Revierkämpfe gehen böse aus
Das Zusammenleben mit dem Tier sei glücklich und harmonisch gewesen, bis Annette Gräber an Weihnachten des vergangenen Jahres bemerkte, dass Charly wiederholt Kämpfe mit einem Kater aus der Nachbarschaft hatte, die für ihr Haustier zunehmend mit schwereren Verletzungen endeten. Sie habe schließlich erfahren, dass der Kater, mit dem Charly aneinander geraten war, nicht kastriert und nicht gechipt war. Dadurch sorge das Tier nicht nur für unkontrollierten Nachwuchs, sondern zeige auch ein aggressiveres Kampf– und Revierverhalten als ein kastrierter Kater, beklagt sie.
Da es ihr zu gefährlich erschien, Charly weiter draußen herumlaufen zu lassen, sie aber gleichzeitig keine Hauskatze aus ihm machen wollte, habe sie sich „schweren und gebrochenen Herzens“ zwischenzeitlich sogar dazu entschieden, ihn ins Tierheim Radolfzell in Sicherheit zu bringen. Mittlerweile lebt der Kater zwar wieder bei Annette Gräber – aber nur, weil die Experten es ihm zutrauen, sich an ein Leben im Haus, wo er nicht wieder verletzt wird, zu gewöhnen.
Zwei- bis dreimal Nachwuchs pro Jahr
Wie die Landestierschutzbeauftragte, Julia Stubenbord, auf Nachfrage berichtet, kann eine Katzenschutzverordnung auch eine Kastrations- sowie Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht von freilaufenden Katzen mit Besitzern regeln. „Allerdings ist vor einer Verordnung, die sich auch an Halterkatzen richtet, stets festzustellen, dass andere Maßnahmen – wie eben die Kastration verwilderter Katzen, Aufklärungsmaßnahmen mittels Flyer et cetera nicht ausreichend waren“, betont sie.
Dass eine Kastration für einen Rückgang von Revierkämpfen sorgen kann, bestätigt der Tierschutzverein Stockach. Und wie problematisch es ist, wenn sich Katzen unkontrolliert fortpflanzen – egal, ob in freier Wildbahn oder durch Kontakt zwischen freilaufenden Katzen mit Besitzern und wildlebenden Katzen – davon kann der Tierschutzverein Radolfzell, der auch für Stockach im Einsatz ist, ein Lied singen. 46 herrenlose Katzenbabys habe man bis Anfang Oktober schon versorgt, berichtet Nicole Weber. Und je mehr unkastrierte Katzen es gibt, desto mehr Nachwuchs zeugen diese wiederum und desto mehr Revierkämpfe und Kämpfe um Futter gebe es, ergänzt Stephanie Merz, die stellvertretende Vorsitzende des Tierschutzvereins Radolfzell. Pro Wurf bekomme eine Katze drei bis sechs Babys – und sie könne zwei bis dreimal pro Jahr werfen.
Krankheiten werden verbreitet
Doch das sei nicht alles, sagt die Stockacher Tierärztin Franka Eylandt, die für Tierschutzverein Radolfzell aktiv ist. So würden freilaufende Katzen im Gegensatz zur europäischen Wildkatze auch „in Massen“ Vögel fangen. Und: „Wir haben kaum Katzen aus freilebenden Populationen, die nicht krank sind“, berichtet die Tierärztin. Dabei seien die Krankheiten nicht nur auf andere Tiere, sondern zum Teil auch auf den Menschen übertragbar. Auch der Tierschutzverein Stockach teilt mit, dass durch Kastration die Übertragung von Infektionskrankheiten sinke.
Bereits jetzt versuchen die Tierschutzvereine in Stockach und Radolfzell, die Katzenpopulation einzudämmen. So berichtet der Tierschutzverein Stockach, man stelle Kontakt zu Besitzern freilebender Katzen her und leite dann in Absprache die Kastration in die Wege. Der Tierschutzverein Radolfzell arbeitet außerdem daran, wildlebende Hauskatzen ohne Besitzer einzufangen und kastrieren zu lassen. In 24 Fällen sei das in diesem Jahr auch schon gelungen, sagt Nicole Weber.
Tierschutzvereine kommen nicht hinterher
Zwar höre sich das erst einmal nicht nach viel an – aber es sei ein enormer Aufwand und anschließend müssten die Tiere auch noch eine Nacht untergebracht und gegebenenfalls weiter zu vermittelt werden, wenn sie nicht an ihren Herkunftsort zurückgebracht werden können. Außerdem muss das Ganze erst einmal finanziert werden. Der Bedarf sei also viel höher, die Tierschützer kommen aber nicht nach. „Die Katzen, die wir kastrieren, sind nur ein geringer Prozentsatz“, sagt auch Franka Eylandt. Außerdem werde nicht jede Katze gefunden, die Tiere verstecken sich. „Wir sind angewiesen, dass sie gemeldet werden“, sagt sie. „Und das machen die wenigsten.“
Der Tenor der Radolfzeller Tierschützerinnen: Die Population müsse durch eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen kontrolliert und eingeschränkt werden. „Das ist sonst ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Nicole Weber zur Vermehrung der Katzen. „Man wird nicht Herr.“ Und gleichzeitig brauche es auch eine Registrierungspflicht. Die Katzen, die ein Zuhause haben, müssten gechipt werden, damit sie einem Besitzer zugeordnet werden können. Auf diese Weise könnte zum einen die Kastrationspflicht kontrolliert werden, zum anderen könnten Katzen, die gefunden und beim Tierarzt oder Tierschutzverein abgegeben werden, auch wieder zu ihren Besitzern zurückgebracht werden. „Ich finde es komisch, dass es bei Hunden normal ist, die Tiere zu registrieren, bei Katzen aber nicht“, wundert sich Franka Eylandt.
In Stockach ist erst einmal keine Kastrationspflicht geplant
In Stockach ist jedoch erst einmal keine Kastrationspflicht geplant. So teilt Carsten Tilsner, Leiter des Baurechts- und Ordnungsamts, auf Nachfrage zwar mit, es gebe gute Gründe für eine Kastration von Freigängerkatzen. Ab und zu gebe es auch Fälle von wild lebenden Katzenpopulationen, die sich ungehindert vermehren. Aber: „Solange das kein ausuferndes Problem ist, das uns regelmäßig oder besonders stark beschäftigt, würden wir gern auf die Regelung einer Kastrationspflicht verzichten.“ Sollte sich die Situation ändern, werde das neu bewertet.
Franka Eylandt widerspricht der Einschätzung: Auch wenn die streunenden Katzen nicht gesehen werden, seien sie trotzdem da, sagt sie. „Ich weiß von mindestens fünf Stellen in Stockach, wo es ein Problem ist.“ Wichtig sei, dass mehr über die Problematik aufgeklärt werde. „Ich glaube, es besteht ein ganz großer Nachholbedarf an Informationen.“